Samstag, 26. Juni 2021

Neue BaFin-Merkblätter für Geschäftsleiter und Aufsichtsräte

Unvoreingenommenheit bei Entscheidungsfindungen als (weitere) persönliche Voraussetzung

Peter Zawilla, Geschäftsführer, FMS Fraud & Compliance Management Services GmbH 
Michael Helfer, Geschäftsführer, FCH Consult GmbH

Einleitung

Mit den Ende Dezember 2020 veröffentlichten Neufassungen der beiden BaFin-Merkblätter für Geschäftsleiter und Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen hat die BaFin neben den bereits bestehenden Regelungen zur Zuverlässigkeit sowie zum Umgang bzw. zur Vermeidung von Interessenkonflikten mit der Anforderung an die „Unvoreingenommenheit“ von Organmitgliedern eine weitere personenbezogene Pflicht bzw. Persönlichkeitskomponente als Voraussetzung für Organmitglieder gestellt.

Mit der Aufnahme des Aspektes der Unvoreingenommenheit in ihre Merkblätter hat die BaFin die entsprechenden Anforderungen aus den „EBA-Leitlinien zur Bewertung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und Inhabern von Schlüsselfunktionen“ aus September 2017 umgesetzt und somit die persönlichkeitsbezogenen Voraussetzungen für Vorstände und Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen nochmals erweitert. 

 

Was ist eigentlich „Unvoreingenommenheit“?

Geschäftsleiter und Mitglieder von Aufsichtsorganen müssen gem. § 25c Abs. 1 KWG bzw. § 25d Abs. 1 KWG neben einer fachlichen Qualifikation insbesondere auch „zuverlässig“ sein, wobei Unzuverlässigkeit ausdrücklich kein Verschulden voraussetzt. Die Kriterien für die Zuverlässigkeit werden in den entsprechenden BaFin-Merkblättern für Geschäftsleiter und Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen konkretisiert. Demnach sind „weitere Aspekte, die für eine mangelnde Zuverlässigkeit sprechen könnten und die daher von den Instituten beurteilt werden sollten: 

  • das Bestehen von Interessenkonflikten, 
  • das Vorliegen von Tatsachen, aus denen sich eine fehlende Unvoreingenommenheit ergibt.“

Darüber hinaus werden in den BaFin-Merkblättern (nicht abschließende) Beispiele bzw. Verhaltensmuster für eine fehlende Unvoreingenommenheit genannt. Hierzu gehört u. a., wenn sich ein Organmitglied „nicht aktiv für seine Aufgaben einsetzt und nicht in der Lage ist, bei der Erfüllung seiner Funktion und Verantwortlichkeiten eigene, vernünftige, objektive und unabhängige Entscheidungen und Urteile zu fällen.“  

Weitere zu berücksichtigende Umstände können zudem sein: 

  • das Fehlen von Mut, Überzeugung und Stärke, die von anderen Geschäftsleitern vorgeschlagenen Entscheidungen zu bewerten und kritisch zu hinterfragen, 
  • die fehlende Fähigkeit, sich nicht dem Gruppendenken zu unterwerfen

Darüber hinaus handeln Organmitglieder nicht unvoreingenommen, wenn beispielsweise die Fähigkeit, ihre Aufgaben unabhängig und objektiv zu erfüllen, durch Interessenkonflikte behindert wird. 

Für Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen kommt als weiteres Kriterium hinzu, dass diese über die Fähigkeit verfügen müssen, den Geschäftsleitern kritische Fragen zu stellen. 

Selbstverständlich ist die Unvoreingenommenheit sowohl bei der Übernahme als auch während der Organtätigkeit zu beurteilen. Dies kann sich im Zeitverlauf durch sich ändernde Umstände und Rahmenbedingungen und Vorfälle ändern. 

Im Ergebnis bedeutet dies, dass Organmitglieder über eine angemessene Distanz und Kritikalität für die Erfüllung ihrer Aufgaben und Pflichten zu verfügen haben und persönliche Interessen und Einflüsse beim Handeln und Entscheiden gegenüber dem Wohl des Kreditinstitutes keine Rolle spielen dürfen.

 

Was bedeutet dies in der praktischen Umsetzung?

Immer wieder trifft man in der Praxis nach erwiesenen Fehlentscheidungen oder eingetretenen Fehlentwicklungen bzw. Risiken im Rahmen der Ursachenanalyse bei der Befragung einzelner Organmitglieder auf die Aussage: „Ich bin ja schon immer dagegen gewesen, aber ich konnte mich nicht durchsetzen.“ Stellt man dann die Nachfrage, ob sich diese Haltung des Organmitglieds auch im Verlaufsprotokoll einer Gremiensitzung oder als „Minderheitenvotum“ im Rahmen der protokollierten Beschlussfassung dokumentiert widerspiegelt, wird dies in aller Regel – von wenigen Ausnahmen abgesehen – verneint. In der Konsequenz führt dies dazu, dass bei der Festlegung von Verantwortlichkeiten und Identifizierung von Pflichtverletzungen sowie bei Haftungsfragen zwar eine mögliche und glaubwürdig vorhandene, aber nicht protokollierte Gegenstimme auch nicht entlastend für das einzelne Organmitglied wirkt.

Begründet wird diese fehlende Protokollierung einer kritischen Meinung zu Beschlussfassungen beispielsweise bei

  • Entscheidungen zur zukünftigen geschäftsstrategischen Ausrichtung,
  • Personalauswahlentscheidungen sowie 
  • bei Investitionsentscheidungen für größere Investitionen (z. B. für Bauprojekte)

damit, dass dominante einzelne Organmitglieder (z. B. ein langjähriger Vorstands- bzw. Aufsichtsratsvorsitzender oder auch beide gemeinsam) „Widerspruch nicht mögen“ und diesen „noch weniger protokolliert haben möchten“.  

So kommt es in der Praxis nicht selten zu der eigentlich skurrilen Situation, dass es teilweise zu faktischen „Ein-Drittel-Mehrheiten“ oder sogar mehr kommt, das bedeutet, eine dominante Persönlichkeit führt eine von diesem gewünschte Entscheidung herbei, obwohl das aus zwei oder mehr weiteren Mitgliedern bestehende Gremium eigentlich eine andere Meinung vertritt. Wird eine derartige Entscheidung auf diese Weise getroffen, stehen alle Organmitglieder letztlich in gleicher Weise in der Verantwortung und auch Haftung. Werden einzelne dominante, aber fehlentscheidende Organmitglieder ggf. sogar wider besseren Wissens nicht aufgehalten, setzen sich jene dem Vorwurf des „Unterlassens durch Nichtstun bzw. Nichtverhinderns“ aus. 

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat die Bankenaufsicht nunmehr das persönlichkeitsbezogene Anforderungsprofil an Geschäftsleiter und Mitglieder von Aufsichtsorganen entsprechend erweitert.

Selbstverständlich hat der Aspekt der Unvoreingenommenheit ebenso wie die Thematik „Interessenkonflikte“ unmittelbaren Einfluss auf die Bewertung der Zuverlässigkeit von Organmitgliedern gem. §§ 25c und 25d KWG. Auch hierzu gibt es in den BaFin-Merkblättern und den EBA-Leitlinien entsprechende inhaltliche Ausführungen sowie Konkretisierungen.

Ergänzend ist zudem darauf hinzuweisen, dass gem. § 24 Abs. 1 Nr. 1 bzw. 15 KWG die gesetzliche Pflicht besteht, der BaFin unverzüglich anzuzeigen, wenn neue Tatsachen bekannt werden, die sich auf die ursprüngliche Beurteilung der Zuverlässigkeit erheblich auswirken.

 

PRAXISTIPPS

  • Bei der Auswahl von Organmitgliedern ist darauf zu achten, dass diese neben der entsprechenden Fachkompetenz die Persönlichkeitsmerkmale haben, ihre Aufgaben und Pflichten integer, unvoreingenommen und mit einer angemessenen „Risikokritikalität“ zu erfüllen (sowie bei Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen zudem mit der notwendigen Unabhängigkeit). Nur so kann gewährleistet werden, dass (Gremien-)Entscheidungen tatsächlich ausschließlich zum Wohl des Unternehmens getroffen werden.

  • Haben Sie den Mut (die Pflicht dazu besteht ohnehin), kritische Fragen zu stellen sowie zum Widerspruch und lassen Sie diesen bei Beschlussfassungen erforderlichenfalls auch in Form eines „Minderheitenvotums“ protokollieren. Es gibt keine zwingende Notwendigkeit, dass Gremienentscheidungen grundsätzlich einstimmig zu treffen sind!

  • Vermeiden Sie Interessenkonflikte und Angriffsflächen, die Sie als Organmitglied in Ihrer verpflichtend dem Wohl des Kreditinstitutes dienenden Entscheidungsfindung beeinflussen könnten. Sofern Derartiges unvermeidlich ist, zeigen Sie dieses an und nehmen Sie sich ggf. bewusst selbst aus der Beschlussfassung heraus (einschließlich entsprechender Protokollierung).

  • Die Protokollierung von Gremiensitzungen und Beschlussfassungen sollte transparent sein und den Verlauf und den Entscheidungsfindungsprozess nachvollziehbar dokumentieren. Hierzu gehört auch das Dokumentieren von kritischen Wortbeiträgen und Einwendungen sowie „Minderheitenvoten“. 

Beitragsnummer: 18262

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