Freitag, 18. Februar 2022

Wieviel „Grün“ darf es sein? – Nachhaltigkeit in der Anlageberatung

Mag. Karin Lenhard, ESG Experte, Erste Group Bank AG

Regulatorische Grundlagen 

Die Europäische Kommission hat 2021 zur Integrierung von Nachhaltigkeitspräferenzen in der MiFID II-Richtlinie 2014/65/EU entsprechende Änderungen sowohl in der Delegierten Richtlinie (EU) 2017/5935 als auch in der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 vorgenommen, welche stufenweise ab August 2022 in Kraft treten werden ((EU) 2021/1253 und (EU) 2021/1269). Es wird vorgesehen, dass sowohl in der Anlageberatung als auch in der Portfolioverwaltung zukünftig die Bewertung der Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden oder potenziellen Kunden verpflichtend wird. Dies bedeutet konkret, dass die Eignungsbeurteilung um den Aspekt der Nachhaltigkeit erweitert wird und Finanzinstrumente, die im Rahmen einer Anlageberatung empfohlen werden, im Hinblick auf die individuellen Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden geprüft werden müssen. Für die Einordnung der Nachhaltigkeitspräferenzen werden hierbei drei Kategorien vorgesehen:

  1. Finanzinstrumente, die einen Mindestanteil an Wirtschaftstätigkeiten im Sinne der Taxonomie-Verordnung beinhalten,
  2. Finanzinstrumente, die einen Mindestanteil an nachhaltigen Investitionen im Sinne der Offenlegungs-Verordnung beinhalten und
  3. Finanzinstrumente, bei denen die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren im Sinne des Kundenwunsches berücksichtigt werden ((EU) 2021/1253).

Die neuen Vorschriften sollen das politische Ziel, „Greenwashing“ und unlautere Verkaufspraktiken eindämmen und den Wandel des Finanzsystems vorantreiben, fördern und stärken. Unternehmen sollen in weiterer Folge auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit eine Unterstützung erhalten oder weiter unterstützt werden (Europäische Kommission, C(2021) 2612).

Wie schaut es in der Praxis aus?

Auf den ersten Blick mag das Konzept ziemlich kompliziert klingen, auf den zweiten Blick erkennt man, dass dies tatsächlich der Fall ist. Das Feld der Nachhaltigkeit in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance ist ein sehr großes und sehr viele Kriterien gilt es noch vom EU-Regulator zu definieren (Stichwort: Social Taxonomie).

Die Überleitung der sehr allgemein formulierten Nachhaltigkeitsziele der Produktüberwachung (Originalwortlaut: any sustainability related objectives) in die für die Eignungsprüfung geforderten spezifizierten Nachhaltigkeitspräferenzen stellt die erste Schwierigkeit dar (EU) 2021/1269). Diese vom Regulator nicht harmonisierte Regelung – man muss bedenken, dass es sich bei den Regelungen der Produktüberwachung und jener der Eignungsprüfung um ein und dieselbe Rechtsvorschrift (MiFID II) handelt – musste von den Finanzmarktteilnehmern selbst gelöst werden. Genauer gesagt von jenen Datenprovidern, welche Zielmarktdaten zur Verfügung stellen, wie z. B. die WM Datenservice GmbH (https://www.wmdaten.de/index.php) oder die FinDatEx (https://findatex.eu/). Anders als von der Regulatorik vorgesehen, können Produkthersteller sämtliche Daten gemäß Offenlegungs-Verordnung bzw. Taxonomie-Verordnung in die Templates eintragen und schon auf dieser Ebene eine Zuordnung zu den oben genannten drei Nachhaltigkeitspräferenzen (wobei hier auch eine Kombination gewählt werden kann) vornehmen. 

Eine weitere Schwierigkeit bereitet wohl die Zuordnung jener Finanzinstrumente, welche weder der Offenlegungs-Verordnung noch der Taxonomie-Verordnung unterliegen. Dies betrifft u. a. Zertifikate, Aktien und OTC-Derivate. Auch hier mussten die Finanzmarktteilnehmer vorangehen und diese Lücke schließen. So wurden gerade im letzten Jahr einheitliche Marktstandards entwickelt, wie z. B. der Nachhaltigkeitskodex vom Deutschen Derivateverband (Final_DDV_ESG_Kodex_A4quer_DE_AUSDRUCK_01.pdf (derivateverband.de)) oder die Leitlinien der ISDA zu grünen Derivaten (Sustainability-linked-Derivatives-KPI-Guidelines-Sept-2021.pdf (isda.org)). Inwiefern diese Marktstandards auch von den nationalen Aufsichtsbehörden akzeptiert werden, bleibt abzuwarten.

Weiters wird seitens der Kunden ein sehr detailliertes Wissen in Bezug auf ihre Nachhaltigkeitspräferenzen zugemutet. Es bleibt abzuwarten, ob die Kunden diesem gerecht werden und tatsächlich individuelle „maßgeschneiderte“ Finanzinstrumente fordern oder ob sich diese mit standardisierten Nachhaltigkeitsprodukten „von der Stange“ zufriedengeben.

PRAXISTIPPS

  • Rechtzeitig mit den Schulungen der Mitarbeiter beginnen, damit diese das komplexe Thema der „Nachhaltigkeitspräferenzen“ gut an die Kunden kommunizieren können.
  • Seitens der Emittenten ist es wichtig, bereits in deren Zielmarktkonzept eine sehr detaillierte Beschreibung jener Nachhaltigkeitskriterien des Finanzinstruments vorzunehmen, sodass Vertreiber eine korrekte Zuordnung im Rahmen des Vertriebs machen können.
  • Für jene Finanzinstrumente, die weder der Offenlegungs-Verordnung noch der Taxonomie-Verordnung unterliegen, sollte eine strikte Anlehnung an den jeweiligen Marktstandard erfolgen, um der Gefahr eines „Greenwashing“ vorzubeugen.
  • Transparente und einfache Beschreibung der Nachhaltigkeitspräferenzen für die Kunden (evtl. eigenes Informationsblatt oder Broschüre).  

Beitragsnummer: 20601

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