Mittwoch, 23. März 2022

Selbstständige Tätigkeit des Schuldners gegen den Gläubigerwillen?

Holger Bruhn, RA, Interne Revision Sparkasse Hohenlohekreis, Lehrbeauftragter an der FH Heilbronn

 

Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger des Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen. Dabei können die Gläubiger erheblichen Einfluss auf das Insolvenzverfahren nehmen. Als wirtschaftlich Leidtragende sollen sie nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht bloß lediglich passive Beteiligte sein. Gläubiger als diejenigen, die letztlich Verluste hinnehmen müssen, haben umfangreiche Mitwirkungsmöglichkeiten und können sich aktiv einbringen und das Verfahren mitgestalten. Zentrales Organ für eine solche aktive Mitwirkung sind die Gläubigerversammlung und insbesondere der Gläubigerausschuss (vgl. hierzu sowie im Folgenden das Praktikerhandbuch Gläubigerausschuss und Gläubigerbeirat in Restrukturierung und Insolvenz des Firmenkunden, erschienen im Finanz Colloquium Heidelberg in der 3. Auflage 2021).

Mit dem Gläubigerausschuss soll der ständige Einfluss der beteiligten Gläubiger auf den Ablauf des Insolvenzverfahrens sichergestellt werden. Neben der Unterstützungspflicht dem Insolvenzverwalter gegenüber obliegt ihm die Überwachung des Insolvenzverfahrens. Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten bestehen sowohl im Antrags- als auch im weiteren Verfahren. Soweit die wesentlichen Aufgaben in § 69 InsO normiert sind, ergeben sich eine Reihe von Antragsrechten, z. B. zum Verfahrensablauf, der Einberufung der Gläubigerversammlung, der Entlassung des Insolvenzverwalters oder aber auch, worauf nachfolgend eingegangen werden soll, dem Antrag auf Unwirksamkeit der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO.

Nach § 35 Abs. 2 InsO hat der Insolvenzverwalter dem Schuldner, der eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder beabsichtigt, dies demnächst zu tun, gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Rechte der Gläubiger werden dadurch gewahrt, dass die Freigabeerklärung durch eine Entscheidung des Gerichts ihre Wirksamkeit verliert, wenn dies vom Gläubigerausschuss (bzw. wenn dieser nicht bestellt ist, von der Gläubigerversammlung) beantragt wird (§ 35 Abs. 2 Satz 3 InsO).

Ein rechtlich schutzwürdiges Interesse an einer Freigabe besteht, wenn zur Masse Gegenstände gehören, die wertlos sind oder Kosten verursachen, welche den zu erwartenden Veräußerungserlös übersteigen. Der Schuldner soll also zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit motiviert, zugleich soll eine Gefährdung der Masse verhindert werden. Die Abwägung trifft der Insolvenzverwalter. Aufgabe des Gläubigerausschusses ist es, diese Prognoseentscheidung zu überprüfen, wobei Anlass für ein Intervenieren wohl stets wirtschaftliche Überlegungen sein werden. 

Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners erstreckt sich sowohl auf die Vermögensverhältnisse als auch auf das Vermögen, dass der Schuldner aus seiner selbstständigen Tätigkeit erzielt. Diese Vermögenswerte gehören also nicht zur Insolvenzmasse, sondern bilden ein insolvenzfreies Vermögen des Schuldners, dass allein dessen Neugläubigern haftet. Die Gläubiger des Insolvenzverfahrens profitieren insoweit von der Freigabe, als der Schuldner sie durch Zahlungen in die Masse so zu stellen hat, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre (§§ 35 Abs. 2 Satz 2, 295a InsO).

Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit kann ein wichtiges Sanierungstool darstellen. Denn § 12 Satz 1 GewO verhindert, dass eine freigegebene Tätigkeit wegen Unzuverlässigkeit zugleich wieder nach § 35 GewO untersagt wird.

Zum Zeitpunkt der Freigabeerklärung wird der Insolvenzverwalter also davon ausgehen, dass die selbstständige Tätigkeit des Schuldners keinen Erfolg verspricht, weshalb er die Masse mithilfe der Freigabe von weiteren Verbindlichkeiten schützen will. Wie der BGH aber bereits am 03.04.2014 (IX ZA 5/14) entschieden hat, kann der Insolvenzverwalter eine Fehleinschätzung, die er erst nach der getroffenen Entscheidung erkannt hat, nicht mehr revidieren. Weder ein Widerruf noch eine Anfechtung nach § 119 BGB kommen nach dieser Entscheidung in Betracht, da der Verwalter insoweit allenfalls einem unbeachtlichen Motivirrtum unterlegen ist. In dem Fall gingen die Verfahrensbeteiligten davon aus, dass die freigegebene Eigentumswohnung wertausschöpfend belastet und die Masse dementsprechend vor dem Wohngeld zu schützen war. Anders dürfte die Situation sein, wenn der Verwalter durch eine arglistige Täuschung (§ 123 BGB) bewogen wurde, eine selbstständige Tätigkeit freizugeben

Auch wenn letzteres nicht der Fall sein sollte, kann der Gläubigerausschuss nebst der Gläubigerversammlung für den Fall, dass kein Ausschuss bestellt wurde, unterstützen, indem er die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter für unwirksam erklärt. Der Beschluss, mit dem das Insolvenzgericht auf Antrag die Freigabe für unwirksam erklärt, wirkt allerdings nur für die Zukunft (ex nunc) und nicht rückwirkend auf den Zeitpunkt der Freigabeerklärung (ex tunc).

Der Antrag ist formfrei. Soweit diskutiert wird, ob der Beschluss eine Begründung enthalten muss, ist eine solche ratsam. Nicht beeinflusst dadurch ist die Entscheidung des Gerichts, die dem Antrag folgen muss, da ihm keine eigene Prüfungskompetenz zukommt. Seine Aufgabe erschöpft sich in der Umsetzung und Bekanntmachung des Beschlusses. Eine Prüfung ist allenfalls dann möglich, wenn das Gericht nicht von sich aus, sondern auf Antrag z. B. eines Minderheitengläubigers nach § 78 InsO tätig wird. Ein Antragsrecht des Insolvenzverwalters selbst besteht hingegen nicht.

 

PRAXISTIPPS

  • Wie der Beitrag zeigt, ist neben der Teilnahme an der Gläubigerversammlung die Mitgliedschaft in einem Gläubigerausschuss zielführend für die Mitgestaltung des Verfahrens. Soweit der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2021 das Vergütungsrecht für den Gläubigerausschuss neu gefasst hat und der BGH mit der Entscheidung vom 14.01.2021 (IX ZB 71/18) zu weiten Teilen zum Vergütungsrecht entschieden hat, ist auch der Weg zu einer (weiteren) Professionalisierung der Gläubigerausschussmitgliedschaft geebnet, die kein Teilnehmer – und damit insbesondere kein Kreditinstitut – eines Insolvenzverfahrens grundlos für sich ausschließen sollte.
  • Eine selbstständige Tätigkeit des Schuldners gegen den Willen des Gläubigerausschusses (der Gläubigerversammlung) gibt es nicht, weshalb die Prognoseentscheidung des Insolvenzverwalters stets kritisch zu hinterfragen ist. 
  • Berücksichtigung verdient gerade in der betriebswirtschaftlichen Abwägung der Entscheidung, dass die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit mit Blick auf § 12 GewO auch ein Sanierungstool sein kann.
  • Zu beachten ist, dass das Einschreiten des Gläubigerausschusses bei Fehlprognosen des Insolvenzverwalters weiteren Schaden für die Befriedigung der Gläubiger abwenden kann – wenn auch nicht rückwirkend, so jedenfalls zukunftsgerichtet. 

Beitragsnummer: 20642

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