Dienstag, 21. April 2020

Urteil des EuGH zum „Kaskadenverweis“ sorgt für Aufregung

Tilman Hölldampf, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

 

Der EuGH hat mit seinem Urt. v. 26.03.2020 – C-66/19 – entschieden, dass der im deutschen gesetzlichen Muster nach Anlage 6 EGBGB a.F. enthaltene „Kaskadenverweis“ zur Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG nicht gerecht wird. Aufgrund der Verweisung auf eine nationale Gesetzesvorschrift, welche wiederum auf weitere nationale Gesetzesvorschriften weiterverweist, könne der Verbraucher nicht hinreichend deutlich ermitteln, welche Angaben für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich sind. Seine Zuständigkeit hat der EuGH trotz des Umstands, dass ein von der Verbraucherkreditrichtlinie nicht umfasstes Immobiliardarlehen gegenständlich war, bejaht. Diesbezüglich hat der EuGH allerdings klargestellt, dass die Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich durch das vorlegende nationale Gericht zu treffen ist, während der EuGH diesbezüglich nur eine eingeschränkte Prüfung vornimmt und seine Zuständigkeit nur dann verneint, wenn diese offenkundig nicht gegeben ist. Die Frage, ob das vorlegende Gericht den EuGH zu Recht angerufen hat, ist – wie der EuGH klarstellt – eine Frage des nationalen Rechts, über welche der EuGH nicht zu entscheiden hat.

 

SEMINARTIPPS

VerbraucherKreditRecht 2020, 22.09.2020, Frankfurt/M.

Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 23.11.2020, Frankfurt/M.

 

Genau diesen Punkt hat der XI. Zivilsenat des BGH in seinem Beschluss vom 31.03.2020 – XI ZR 581/18 – aufgegriffen und klargestellt, dass nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers Immobiliardarlehen den Regelungen der Verbraucherkreditrichtlinie nicht unterfallen. Eine zu einem Immobiliardarlehen erteilte Widerrufsinformation, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Anforderungen des nationalen Rechts genügt, kann daher nicht wegen eines Verstoßes gegen die Verbraucherkreditrichtlinie unwirksam sein.

 

Mit einem weiteren Beschluss vom 31.03.2020 – XI ZR 198/19 – hat der XI. Zivilsenat für ein Allgemein-Verbraucherdarlehen klargestellt, dass die Widerrufsinformation einer Bank, die der Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB entspricht, nicht entgegen dem Willen des deutschen Gesetzgebers contra legem dahingehend ausgelegt werden kann, dass diese den Anforderungen des nationalen Rechts nicht gerecht wird.

 

PRAXISTIPP

 

Das Urteil des EuGH vom 26.03.2020 wurde – wenig überraschend – von Verbraucheranwälten umgehend dazu genutzt, auf breiter Front Werbung für eine „Wiederbelebung des Widerrufsjokers“ zu machen. Darauf, dass der BGH mit Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18, Rn. 17, bereits klargestellt hat, dass Immobiliardarlehen der Verbraucherkreditrichtlinie nicht unterfallen und zudem das deutsche Recht nicht contra legem ausgelegt werden kann, weil der deutsche Gesetzgeber selbst den „Kaskadenverweis“ vorgegeben hat, wurde dabei freilich nicht hingewiesen.

 

Insofern ist es erfreulich, dass der XI. Zivilsenat mit den genannten Beschlüssen umgehend für Klarheit gesorgt hat. Immobiliardarlehen unterfallen der Verbraucherkreditrichtlinie bereits nicht, sodass die Wirksamkeit einer für ein solches Darlehen erteilten Widerrufsinformation allein am nationalen Recht zu messen ist. Für das nationale Recht hat der Bundesgerichtshof jedoch bereits mehrfach klargestellt, dass der „Kaskadenverweis“ dem Willen des Gesetzgebers entspricht und damit wirksam ist.

 

Auch soweit der Bundesgerichtshof klargestellt hat, dass eine Widerrufsinformation, die der Gesetzlichkeitsfiktion unterfällt, nicht contra legem als unwirksam ausgelegt werden kann, ist dies vollumfänglich zutreffend.

 

Was noch fehlt, ist eine Klarstellung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf Widerrufsinformationen, welche für ein Allgemein-Verbraucherdarlehen erteilt wurden und der Gesetzlichkeitsfiktion nicht unterfallen. Auch hier besteht infolge des Urteils des EuGH indes kein Grund, von der durch den XI. Zivilsenat in seinem Beschluss vom 19.03.2019 bereits klar geäußerten Rechtsauffassung abzuweichen, wonach das nationale Recht nicht contra legem ausgelegt werden kann. Denn der deutsche Gesetzgeber hat seinen Willen, den „Kaskadenverweis“ als wirksame Belehrung über den Fristbeginn anzusehen, auch über den Anwendungsbereich der Gesetzlichkeitsfiktion hinaus klar und deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl. Hölldampf, BKR 2019 S. 192 ff.). In diese Richtung haben sich auch bereits die Oberlandesgerichte Düsseldorf (Beschluss v. 31.3.2020 – I-6 U 160/19), München (Beschluss v. 30.3.2020 – 32 U 5462/19, BeckRS 2020, 5137, Rn. 49 f) und Stuttgart (Beschluss v. 5.4.2020 – 6 U 182/19) positioniert.


Beitragsnummer: 6781

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