Montag, 25. Mai 2020

Bilanzanalyse während und nach der Krise 2020

Besondere Krisenindikatoren - Branchenbetrachtung - Analyse der nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeit - Handlungsempfehlungen

Christoph Hoeren, Senior Risk Manager, Risk Management, DEG Deutsche Investitions- und

Entwicklungsgesellschaft mbH


I. Ausgangslage

Mit der aktuellen Covid-19-Krise stellen sich für Unternehmen und Kreditgeber neue Herausforderungen. In einer ersten Phase waren die Unternehmen vielfach auf Liquiditätssicherung bedacht und haben u. a. diverse Darlehens- und Zuschussprogramme, die teilweise über die Hausbanken weitergeleitet wurden, genutzt. Die Banken konnten diesen Weg über teilweise schlanke Entscheidungs- und Analyseprozesse begleiten. 

In den nächsten Wochen werden allerdings aktuellere und qualifizierte Informationen bei den Banken, wie z. B. der Jahresabschluss für 2019 oder Zwischenzahlen eingehen. Worauf ist aus Kreditgebersicht bei den Jahresabschlüssen auch unter Berücksichtigung regulatorischer Anforderungen (z. B. § 18 KWG, vorgesehene EBA-Leitlinien zur Kapitaldienstfähigkeit) zu achten? Welche Besonderheiten sind bei der anstehenden „Berichtssaison“ per 31.12.19 zu berücksichtigen? Wie aussagekräftig sind die Zwischenzahlen und wie kann die Kapitaldienstfähigkeit für die Zukunft plausibel eingeschätzt werden? 

 

II. Umgang mit Jahresabschlüssen mit Bilanzstichtag 31.12.2019

IFRS und HGB haben bezüglich des Ansatzes und der Bewertung per 31.12.2019 ein gleichlautendes Vorgehen (Stichwort „wertaufhellende“ versus „wertbegründende“ Tatsachen). Demnach sind die im ersten Quartal 2020 eskalierenden Covid-19 Entwicklungen grundsätzlich nicht in den am 31.12.2019 aufzustellenden Jahresabschlüssen beim Ansatz und der Bewertung zu berücksichtigen.  Wichtig wird der Blick auf die Einschätzung des Going-Concern bei Aufstellung des Jahresabschlusses sein, die unter Abkehr des Stichtagsprinzips und unter Einbeziehung sämtlicher Informationen (inkl. staatlicher Stützungsmaßnahmen) zu erfolgen hat.


 


Die „klassische“ Auswertung der Kennzahlen, Einschätzung der Bilanzpolitik, Trendanalysen etc. hat zwar nach wie vor ihre Bedeutung und Relevanz. Sie eignen sich jedoch nur sehr eingeschränkt für die zukünftige Entwicklung bzw. sind die Zahlen anders zu würdigen und zu nutzen.

Zum einen ist die historische Auswertung nicht nur regulatorisch essentiell, sondern auch für die Risikoeinschätzung, die zu unterscheiden ist nach Unternehmen, die bereits vor Covid-19 in einer beginnenden oder anhaltenden Krise waren und oder die erst durch aktuellen Entwicklungen in Schwierigkeiten geraten sind. Diese Analyse und Kategorisierung ist äußerst wichtig, um die Erfolgsaussichten für die Zukunft besser einzuschätzen. Zudem sind damit auch aufsichtsrechtliche Themen verbunden (wie z. B. die Frage, ob eine „echte“ Intensivbetreuung nach MaRisk erforderlich ist). 

 

Umgang mit Jahresabschlüssen nach dem 31.12.2019 

Bei einem Abschlussstichtag per 31.01.2020 ist eine Einzelfallentscheidung erforderlich, ob Covid-19 ein wertbegründendes Ereignis ist; für danach liegende Bilanzstichtage stellt die Krise in der Regel ein wertbegründendes Ereignis mit in der Regel unmittelbaren Auswirkungen auf den Ansatz und die Bewertung dar.   Dies gilt für HGB und IFRS-Jahresabschlüsse.  Belastend könnten verschiedene Aspekte, wie zum Beispiel Wertberichtungen auf Vorräte, langfristige Stilllegung von Produktionsstätten, Ausfälle und Wertberichtigungen auf Forderungen oder Rückstellungen sein. Die hohe Preisvolatilität an Rohstoff- und Finanzmärkten verstärkt den Druck, Bewertungen gegebenenfalls anzupassen.

Für die Kreditanalyse sind diese Unwägbarkeiten und zu erwartenden deutlichen Volatilitäten in Bilanz und GuV (mit evtl. hohen Verlusten) insbesondere für die von der Krise am stärksten betroffenen Branchen (z. B. Einzelhandel, Tourismus, Gastronomie, Luftfahrt) zu antizipieren. Es wird zum einen auf eine Trennung von liquiditätswirksamen und -unwirksamen Veränderungen ankommen und zum anderen neben dem Blick auf die aktuelle Liquiditätslage auf die Einschätzung der Zukunft. 


Einschätzung der Kapitaldienstfähigkeit

Eine große Herausforderung wird es sein, aufgrund der aktuellen Krise und der immer noch hohen Planungsunsicherheit die Kapitaldienstfähigkeit bei Kreditentscheidungen im Neu- und Bestandsgeschäft einzuschätzen. Die kurzfristige Liquidität kann für die nächsten Wochen/Monate trotz krisenbedingt nicht gegebener Kapitaldienstfähigkeit vielfach über kurzfristig wirkende Ressourcen (Stützungsmaßnahmen, Beiträge der Gesellschafter etc.) sichergestellt werden. Bei der Analyse ist hier auf eine gute Evidenz zu achten und Umsatz- und Kostenverläufe (insbesondere Fixkostenanpassungen) kritisch zu hinterfragen. 

Die Komplexität nimmt jedoch zu bei der Frage der Einschätzung der mittel- und langfristigen Kapitaldienstfähigkeit. Die im Zuge der Krise evtl. aufgenommenen Darlehen mit langen Tilgungsfreijahren lassen auf den ersten Blick den Kapitaldienst bzw. die Belastung für das Unternehmen gering erscheinen. Dennoch könnte die Verschuldungskapazität deutlich überschritten sein.

 Entscheidend werden die Abbildung verschiedener Szenarien sein (wie es auch die aktuelle „EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe-/überwachung“ im Entwurf vorsehen), mit denen unterschiedlichste und stark divergierende Umsatz-/Kostenverläufe berücksichtigt werden sollten. Branchen- und unternehmensindividuell sind die wesentlichen Treiber zu identifizieren und zu berücksichtigen. 

Dem Working-Capital-Management kommt sowohl kurz- als auch langfristig in einer Krisensituation besondere Bedeutung zu. Wie kann über Lagerbewirtschaftung, Debitoren- und Kreditorenmanagement die Liquidität verbessert und Ausfall- und Bewertungsrisiken minimiert werden? Welche Auswirkungen haben Veränderungen zum Beispiel der Rohstoffpreise oder der Währungen in wesentlichen Absatzmärkten? Bei der Einschätzung und Aufstellung von Planzahlen dürfen Änderungen wesentlicher Parameter für GuV und Bilanz durch Änderungen im Geschäftsmodell oder Strategie während oder nach der Krise nicht vergessen werden. Ändern sich die Absatzregionen? Wird die Beschaffung und Lieferkette überprüft und geändert? Werden ganz neue Produkte angeboten mit geänderten Kundenstrukturen und Zahlungszielen? 

 

PRAXISTIPPS

  • Wissenstransfer für Kreditanalysten und -entscheider sicherstellen mit Bezug auf Covid-19- Auswirkungen auf Bilanzierungs und Bewertung nach HGB und IFRS für den Jahresabschluss per 31.12.2019 und anstehende Reportings im Jahr 2020.
  • Plausibilitätsprüfungen von Planzahlen sind insbesondere auf Fixkostenanalyse und Einschätzung bzw. Bewertung des Working Capital Managements zu fokussieren.
  • Einschätzung der Kapitaldienstfähigkeit setzt in Krisenzeiten noch mehr den Einsatz von Szenarien voraus und hat auch evtl. Änderungen im Geschäftsmodell und/oder der Strategie nach der Krise zu berücksichtigen.
  • Die erhöhte Verschuldung der Unternehmen im Zuge der Liquiditätssicherung wird die Kapitaldienstfähigkeit in der Zukunft belasten. Die Bedienbarkeit nach Ablauf der Tilgungsfreijahre sollte möglichst frühzeitig mit allen Beteiligten thematisiert werden. 

 

 

Kredit-Jahrestagung 2020
… in der Krise und vor den neuen EBA-Kredit-Guidelines! 

„FCH-Kredit-Gipfeltreffen“: Top aktuelle Kreditthemen • Hochkarätige Referenten • Institutsübergreifender Erfahrungsaustausch

18.–19. November 2020 in Berlin

Auch 2020 bieten wir wieder unsere FCH-Premiumveranstaltung für das Kreditgeschäft an. Vertreter der Bankenaufsicht sowie erfahrene Bankpraktiker referieren zu aktuellen Themen und Trends rund um das Kreditgeschäft. Im besonderen Fokus in diesem Jahr die neuen „EBA-Guidelines zur Kreditvergabe/-überwachung“ mit zahlreichen Einschränkungen wertvoller MaRisk-Spielräume für gelebte und effiziente Kreditprozesse infolge neuer EBA-Kredit-Mindeststandards.

Die Tagung adressiert neben der Geschäftsleitung und Mitarbeitern aus den Bereichen Markt/Marktfolge, auch die Grundsatzbereiche Kredit, die Kreditrevision, Kreditsteuerung und nicht zuletzt auch Kredit-Compliance. Ein attraktives Rahmenprogramm dient der Pflege und Erweiterung persönlicher Netzwerke über den eigenen Verbund hinaus.

Mehr Infos und Anmeldung unter: https://www.fch-gruppe.de/Seminar/kreditjahrestagung-2020 

 

SeminarTIPPS:

Alle Seminare auch als Inhouse-Training buchbar:

www.FCH-Gruppe.de 


Beitragsnummer: 8906

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