Montag, 16. September 2019

Anwendungsbereich des KapMuG-Verfahrens

Eduard Meier, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

Mit Beschluss vom 30.04.2019, Az. XI ZB 13/18, hat der Bundesgerichtshof zunächst klargestellt, dass der Anwendungsbereich des KapMuG-Verfahrens nur dann eröffnet ist, wenn der Prospekt als Mittel der schriftlichen Aufklärung verwendet worden ist. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn der Anleger diesen so rechtzeitig vor Vertragsschluss erhalten hat, dass er dessen Inhalt noch zur Kenntnis nehmen konnte. Nicht ausreichend sei hingegen, dass der Anlageberater den Prospekt als Arbeitsgrundlage für die Beratung verwendet habe, da in diesem Fall allein die – im KapMuG-Verfahren nicht überprüfbare – mündliche Beratung maßgeblich sei.

SEMINARTIPPS

3. Kölner Wertpapierrevisions-Tage, 14.–15.10.2019, Köln.

WpHG-Compliance Kompakt, 23.10.2019, Frankfurt/M.


Ferner weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG nur dann in Betracht komme, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung gebildet hat, dass es auf die geltend gemachten Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen wird. Der Rechtsstreit hänge in diesem Sinne aber erst dann von den Feststellungszielen des Musterverfahrens ab, wenn nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen seien, die unabhängig vom Ausgang des Musterverfahrens nicht beantwortet werden könnten.

PRAXISTIPP

Mit obigem Beschluss hat der Bundesgerichtshof den Anwendungsbereich des KapMuG-Verfahrens in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Zum einen muss feststehen, dass der angegriffene Prospekt auch tatsächlich rechtzeitig übergeben worden ist. Dies führt unmittelbar zu der Frage, ob die klägerseits regelmäßig aufgestellte Behauptung, den Prospekt nicht rechtzeitig erhalten zu haben, bereits von vornherein zur Unzulässigkeit eines KapMuG-Verfahrens führt, oder aber das Gericht bei streitigem Vortrag zum Übergabezeitpunkt gleichwohl zunächst Beweis erheben müsste, der Kläger sich mithin im Zusammenhang mit seinem KapMuG-Antrag „hilfsweise“ den Beklagtenvortrag zum Übergabezeitpunkt zu eigen machen könnte (vgl. zur Zulässigkeit von Hilfsvorbringen BGH, Urt. v. 04.07.2019, Az. III ZR 202/18).

BUCHTIPP

Ellenberger/Clouth, Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft, 5. Aufl. 2018.


Zum anderen hat der Bundesgerichtshof einer in weiten Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie in der Literatur vertretenen Auffassung eine Absage erteilt, wonach die bloß abstrakte Möglichkeit bzw. hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Entscheidungserheblichkeit der Feststellungsziele für den Rechtsstreit für eine Aussetzung ausreichend sei. Folglich muss das Prozessgericht zunächst – gegebenenfalls mithilfe einer Beweisaufnahme – klären, ob die Klage nicht aus anderen Gründen begründet oder unbegründet ist und darf erst dann aussetzen, wenn nur noch solche Fragen offen sind, welche im KapMuG-Verfahren geklärt werden können (und gemäß der begehrten Feststellungsziele auch sollen).



Beitragsnummer: 3216

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