Montag, 11. März 2019

Aufklärung durch Prospekt

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

In seiner Entscheidung vom 10.01.2019, Az. III ZR 109/17 (WM 2019 S. 304), fasst der Bundesgerichtshof zunächst die Grundsätze der ordnungsgemäßen Aufklärung durch Prospektübergabe nochmals zusammen. Dabei legt er eingangs dar, dass eine ordnungsgemäße Anlageberatung nicht nur mündlich, sondern auch durch Übergabe von Prospektmaterial erfolgen kann, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen vollständig, wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und der Prospekt dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor Vertragsabschluss übergeben wird, dass sein Inhalt zur Kenntnis genommen werden kann (Rn. 26). Demgemäß entfällt die persönliche Aufklärungspflicht des Beraters nach Auffassung des Bundesgerichtshofs dann, wenn die entsprechende Belehrung in einem Prospekt enthalten ist und der Berater davon ausgehen darf, dass der Kunde diesen gelesen und verstanden hat (Rn. 27; bestätigt durch BGH-Urteil v. 07.02.2019, Az. III ZR 498/16, Rn. 15). Insofern muss sich der Anleger mit dem Prospektinhalt vertraut machen können, weswegen er ausreichend Zeit für eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Prospekts haben muss. Wenn dem aber so ist, dann liegt es sodann im Verantwortungsbereich des Anlegers zu entscheiden, ob er den Prospekt innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden – ausreichenden – Zeit zur Kenntnis nehmen will oder nicht. Insofern besteht eine Pflicht des Anlegers, im eigenen Interesse den ihm rechtzeitig ausgehändigten Prospekt sorgfältig und eingehend zu lesen (BGH, Urteil v. 09.05.2017, Az. II ZR 344/15, Rn. 19). Nimmt er die Informationen nicht zur Kenntnis, geht dies grundsätzlich zu seinen Lasten (Rn. 27). In diesem Zusammenhang hält der Bundesgerichtshof noch fest, dass dann, wenn der Anleger genügend Gelegenheit hatte, sich anhand des Emissionsprospekts zu informieren oder wenn der Anlageberater zumindest hiervon ausgehen durfte, der Anlageberater nicht gehalten ist, sich davon zu vergewissern, dass der Anleger von der Möglichkeit zur Information tatsächlich auch Gebrauch gemacht hat (Rn. 39).

SEMINARTIPP

Hamburger Wertpapier-Tage: Aufsichtsrecht & Verbraucherschutz, 15.–16.05.2019, Hamburg.




In seiner weiteren Entscheidung vom 07.02.2019, Az. III ZR 498/16, ergänzt der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshof seine Grundsätze zur Aufklärung mittels rechtzeitiger Übergabe eines Prospekts noch dahingehend, dass aus dem Umstand, dass ein Anleger die Entgegennahme eines Emissionsprospekts mit der Begründung ablehnt, dieser sei „zu dick und zu schwer“ und nur „Papierkram“, nicht ohne weitere Anhaltspunkte folgt, dass er an einer Aufklärung über die Risiken des Investments in anderer Form nicht interessiert ist und auf ein persönliches Beratungsgespräch verzichtet (Rn. 15). Insbesondere würde, so der Bundesgerichtshof weiter, der Anlageberater durch ein solches Verhalten nicht davon entbunden, den Anleger persönlich über die wesentlichen Risiken zu informieren oder aber den Anleger darauf aufmerksam zu machen, dass allein das mündliche Aufklärungsgespräch eine umfassende Aufklärung nicht zu gewährleisten vermag und der Prospekt weitere wichtige, über das Gespräch hinausgehende Hinweise enthalten kann (Rn. 16). Auf der anderen Seite führt der Bundesgerichtshof aus, dass dieses Verhalten des Anlegers bei der Widerlegung der Kausalitätsvermutung insofern eine Rolle spielen könnte, als darin ein Aspekt liegen könnte, welcher auf ein gewisses Desinteresse des Anlegers an einer umfassenden Aufklärung über die das Investment betreffenden Umstände für seine Anlageentscheidung hindeutet (Rn. 39).

In seiner anfänglich zitierten Entscheidung vom 10.01.2019 weist der Bundesgerichtshof ferner auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach die nicht rechtzeitige Übergabe des Emissionsprospekts stets der Anleger darzulegen und zu beweisen hat, wobei die Frage der Rechtzeitigkeit als solche eine rechtliche Bewertung darstellt. Welche Frist seit Empfang des Prospektes bis zum Abschluss des Anlagegeschäfts angemessen und erforderlich ist, hänge wiederum entscheidend von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei es eine Regelfrist, die nach Übergabe des Prospekts einzuhalten ist, nicht gibt (Rn. 28).

Da die Vorinstanz im Rahmen der rechtlichen Bewertung der Rechtzeitigkeit der Prospektübergabe ganz entscheidend auf die vom Anleger unterzeichnete und mit der Überschrift „Empfangsbestätigung/Weitere Erklärungen und Hinweise“ versehene und in die Beitrittserklärung integrierte Erklärung zu Lasten des Anlegers abgestellt hatte, in welchem der Anleger bestätigte, den Prospekt nicht nur erhalten, sondern auch dessen Inhalt vollumfänglich zur Kenntnis genommen zu haben, musste sich der Bundesgerichtshof anschließend mit der Frage auseinandersetzen, ob solche vom Anleger abgegebene Erklärungen AGB-rechtlich zulässig sind (Rn. 31 ff.).

Diesbezüglich hält der Bundesgerichtshof zunächst fest, dass die Erklärungen des Anlegers, den Prospekt nicht nur erhalten, sondern auch dessen Inhalt einschließlich der darin enthaltenen Hinweise zur Kenntnis genommen zu haben, über die Ausnahmeregelung des § 309 Nr. 12 2. Hs. BGB – von welcher nur Empfangsbekenntnisse als rein tatsächlicher Vorgang der körperlichen Übergabe und Entgegennahme einer Erklärung umfasst seien – hinausgehen. Umfasst die Bestätigung nämlich (auch) die inhaltliche Kenntnisnahme, so verbleibe es beim Grundfall des § 309 Nr. 12 1. Hs. BGB, wonach eine Bestimmung, durch die der Verwender die Beweislast zum Nachteil des anderen Vertragsteils ändert, unwirksam ist (Rn. 33 und 39).

Sodann hält der Bundesgerichtshof fest, dass § 309 Nr. 12 1. Hs. BGB nicht nur dann eingreift, wenn eine Umkehr der Beweislast herbeigeführt wird, sondern stets auch dann, wenn – wie hier – die Beweisposition des Kunden (nur) dadurch verschlechtert wird (Rn. 34), dass Erklärungen des Anlegers im Rahmen der Beweiswürdigung zu dessen Lasten berücksichtigt werden. Schließlich führt der Bundesgerichtshof aus, dass das „reine“ Empfangsbekenntnis nach § 309 Nr. 12 2. Hs. BGB zudem räumlich und drucktechnisch abgehoben sein muss und sich die Unterschrift allein auf das Empfangsbekenntnis und nicht auch – wie hier – auf weitere Erklärungen beziehen darf.

Nachdem es sich wiederum bei der betroffenen Klausel nach Auffassung des Bundesgerichtshofs um eine solche, die Beweisposition des Anlegers verschlechternde Klausel mit einem über das bloße Empfangsbekenntnis hinausgehenden Inhalt handelt, gelangt der Bundesgerichtshof zum Ergebnis, dass die Klausel AGB-rechtswidrig sei, weswegen den darin enthaltenen Erklärungen des Anlegers keine wie auch immer geartete tatsächliche Wirkung zu Lasten des Anlegers beizumessen ist (Rn. 35).



PRAXISTIPP

Zu begrüßen ist, dass der Bundesgerichtshof in vorstehender Entscheidung vom 10.01.2019 bestätigt hat, dass es grundsätzlich dem Kapitalanleger obliegt, substantiiert darzulegen und auch zu beweisen, dass er den sämtliche Risikohinweise enthaltenden umfassenden Emissionsprospekt nicht rechtzeitig erhalten hat. Zu begrüßen ist weiter der neue konkretisierende Hinweis des Bundesgerichtshofs in dieser Entscheidung, wonach dann, wenn der Anlageberater davon ausgehen durfte, dass dem Kapitalanleger unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände genügend Zeit und Gelegenheit zustand, sich anhand des Prospektes zu informieren, er, der Anlageberater, nicht verpflichtet ist, sich zu vergewissern, ob der Anleger tatsächlich von der Möglichkeit der Information auch Gebrauch gemacht hat.

Was wiederum die Aussage des III. Zivilsenats in seiner vorstehend ebenfalls angesprochenen Entscheidung vom 07.02.2019 anbelangt, wonach die klare Aussage des Kapitalanlegers, er lehne die Entgegennahme des Prospekts ab, weil dieser zu dick und zu schwer und nur Papierkram sei, nicht ohne weitere Anhaltspunkte als Verzicht auf eine mündliche Beratung aufzufassen ist, so muss man den Inhalt dieser Aussage des Bundesgerichtshofs vor dem Hintergrund der Besonderheiten des konkreten Einzelfalles sehen sowie vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es sich bei dieser Aussage um eine „auf der Grundlage tatrichterlicher Würdigung getroffene Beurteilung des Berufungsgerichts“ handelt, welche vom Bundesgerichtshof zu Gunsten des Anlegers als wahr unterstellt wurde (Rn. 13). Insofern ist nicht auszuschließen, dass der Bundesgerichtshof, wenn er den Sachverhalt selbst zu beurteilen gehabt hätte, bei Würdigung der Gesamtumstände in dem Verhalten des Anlegers doch einen Verzicht auf umfassende Aufklärung bejaht hätte. Denn immerhin lässt sich dem Tatbestand der BGH-Entscheidung entnehmen, dass der Anlageberater dem Anleger durchaus die Möglichkeit eröffnet hat, Fragen zum Inhalt des Prospekts zu stellen und ihm den Inhalt des Prospekts zu erläutern, was der Anleger ausdrücklich abgelehnt hat (Rn. 4); ein Umstand, aus welchem der Anlageberater zu Recht hätte schließen können und dürfen, dass der Anleger keinerlei weitere Beratung wünscht. Dass der III. Zivilsenat dem diesbezüglichen Verhalten des Anlegers durchaus wesentliche Relevanz beimisst, lässt sich im Übrigen der Tatsache entnehmen, dass der Bundesgerichtshof im Rahmen seiner Ausführungen zur Kausalität deutlich hervorhebt, dass in einem solchen Verhalten das Desinteresse des Anlegers an einer umfassenden Aufklärung offenkundig wird (Rn. 39).

Was wiederum die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 10.01.2019 zu § 309 Nr. 12 BGB anbelangt, so bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob man trotz des im vorliegenden konkreten Fall vom sonstigen Vertragstext der Beitrittserklärung sowohl drucktechnisch als auch räumlich deutlich abgehobenen und mit einer klaren und unmissverständlichen Überschrift „Empfangsbestätigung/Weitere Erklärungen und Hinweise“ versehenen sowie auf dessen Inhalt hinweisenden Empfangsbekenntnisses allein wegen der im Empfangsbekenntnis mitenthaltenen und in der Überschrift angesprochenen weiteren Erklärungen davon ausgehen kann, es liege kein vom Kapitalanleger unterschriebenes Empfangsbekenntnis i. S. v. § 309 Nr. 12 2. Hs. BGB vor, mit der Folge, dass sämtliche im „Empfangsbekenntnis“ enthaltenen Erklärungen AGB-nichtig i. S. v. § 309 Nr. 12 BGB sind. Denn die im Empfangsbekenntnis enthaltenen weiteren „Wissens-Erklärungen“ waren zum einen neben dem Empfangsbekenntnis in der Überschrift mitaufgeführt, sodass es für einen „normal denkenden und lesenden“ Kapitalanleger offenkundig war, dass er die Abgabe mehrerer „überschaubarer“ Erklärungen mit seiner Unterschrift bestätigt. Zum anderen bestätigt der Kapitalanleger quasi als Annex zum Empfangsbekenntnis lediglich, dass er, der Anleger, den Prospekt nicht nur erhalten, sondern diesen auch vollinhaltlich zur Kenntnis genommen hat, was durchaus als reines Empfangsbekenntnis hätte gewertet werden können.

Soweit der Bundesgerichtshof allerdings ausführt, man könne den im Empfangsbekenntnis enthaltenen weiteren Erklärungen aufgrund deren AGB-Nichtigkeit keine wie auch immer geartete tatsächliche Wirkung zu Lasten des Anlegers beimessen, so wird man den Bundesgerichtshof nicht dahingehend verstehen können, dass es einem Gericht im Rahmen der unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände vorzunehmenden Beweiswürdigung aufgrund der AGB-Nichtigkeit des Empfangsbekenntnisses untersagt ist, solchen deutlichen, hervorgehobenen sowie unmissverständlichen und vom Kapitalanleger durch Aufsetzung seiner Unterschrift bestätigten Erklärungen bei der rechtlichen Bewertung der Rechtzeitigkeit des Erhalts des Prospektes keinerlei Beachtung beizumessen. Dies gilt umso mehr, als der Anleger in der Regel nicht nur durch Unterzeichnung der „Empfangsbestätigung/Weitere Erklärungen und Hinweise“ bestätigt, den Prospekt erhalten und von dessen Inhalt vollumfänglich Kenntnis erlangt zu haben, sondern auch mit Unterzeichnung der sog. Checkliste oder des persönlichen Beratungsbogens sowie der Beitrittserklärung. Insofern wird es nach wie vor den Instanzgerichten erlaubt bleiben, solche Erklärungen des Kapitalanlegers – auch wenn sie nach § 309 Nr. 12 BGB nichtig sind – im Rahmen der Würdigung aller Tatsachen, Umstände und Interessen insbesondere bei der dem Beweis nicht zugänglichen Frage der rechtlichen Wertung der gegebenen oder fehlenden Rechtzeitigkeit der Prospektüberhabe (vgl. hierzu BGH, Urteil v. 19.10.2017, Az. III ZR 565/16, Rn. 30) zu berücksichtigen.

Hat daher der Kapitalanleger – wie im vorliegenden konkreten Fall – derart deutliche Erklärungen nicht nur abgegeben, sondern auch hierfür gesondert vorgesehene Dokumente unterzeichnet, in welchen er, möglicherweise auch mehrfach, bestätigt, nicht nur den Prospekt rechtzeitig erhalten, sondern dessen Inhalt auch rechtzeitig vor Zeichnung zur Kenntnis genommen zu haben, so wird man dies im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Bewertung der Rechtzeitigkeit des Erhalts des Prospekts nicht außer Acht lassen können. Dies gilt erst recht, wenn der Anleger, wie im konkret betroffenen Fall, noch nicht einmal erläutert, weshalb er den Prospekt entgegen seiner von ihm abgegebenen Bestätigungen tatsächlich nicht habe zur Kenntnis nehmen können (vgl. hierzu Rn. 9). Es bleibt somit abzuwarten, wie das Oberlandesgericht Celle nunmehr die rechtliche Bewertung der Rechtzeitigkeit vornehmen wird, insbesondere ob das Oberlandesgericht Celle sämtliche Umstände, Tatsachen und Indizien und damit auch die schriftlich dokumentierten Erklärungen des Kapitalanlegers sowie dessen Einlassungen hierzu im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranziehen wird (vgl. hierzu nachfolgend kommentiere Entscheidung des OLG München v. 13.09.2018, Az. 8 U 1117/15, WM 2019 S. 110, wonach auch beim blinden Unterschreiben von Dokumenten die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit gilt).



Beitragsnummer: 1257

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