Montag, 15. April 2019

Ewiges Widerrufsrecht nicht mit Unionsrecht vereinbar

Kein Nutzungsersatzanspruch des Verbrauchers

Max Kirschhöfer, Rechtsanwalt, Thümmel, Schütze & Partner

Der Generalanwalt am EuGH, Giovanni Pitruzzella, hat am 28.03.2019 (Verfahren Rs C-143/18) in einem dem EuGH vom Landgericht Bonn zur Vorabentscheidung vorgelegten Verfahren seine Schlussanträge vorgelegt. Die Schlussanträge nehmen zwar das Urteil des EuGH nicht vorweg, sind aber bereits deswegen beachtlich und für die Praxis von Relevanz, da der EuGH sich in den meisten Fällen den Schlussanträgen der Generalanwälte anschließt. Entscheidet der EuGH in einem sog. Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV, ergeht keine Entscheidung in der Sache. Vielmehr entscheidet der EuGH darüber, wie das Unionsrecht auszulegen ist. Das vorlegende (nationale) Gericht muss dem EuGH daher konkrete und abstrakt formulierte (Rechts-)Fragen zur Entscheidung vorlegen.

SEMINARTIPPS

19. Heidelberger Bankrechts-Tage, 21.–22.10.2019, Heidelberg.

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In dem dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt hatte das beklagte Kreditinstitut mit zwei Verbrauchern unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Jahr 2007 einen Verbraucherdarlehensvertrag abgeschlossen. Die Verbraucher hatten im Jahr 2016 ihre Vertragsabschlusserklärungen widerrufen und begehrten u. a. die Zahlung von Nutzungsersatz auf bis zum Widerruf geleistete Zins- und Tilgungsleistungen, mithin für einen Zeitraum von rd. neun Jahren.



Das LG Bonn hat dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit der ersten Frage möchte das LG Bonn wissen, ob Art. 6 Abs. 2 lit. c RL 2002/65 (Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen) dahin auszulegen ist, dass die Norm einer nationalen Reglung entgegensteht, „die bei im Fernabsatz geschlossenen Darlehensverträgen nicht den Ausschluss des Widerrufsrechts vorsieht, wenn auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers der Vertrag“ beiderseits erfüllt wurde. Diese Frage betrifft somit die (Un-)Zulässigkeit des „ewigen“ Widerrufsrechts im Fernabsatz. Mit der zweiten Vorlagefrage möchte das LG Bonn wissen, welcher Verbraucherbegriff im vorliegenden Fall maßgeblich ist. Die dritte Vorlagefrage betrifft schließlich die Frage, ob eine Pflicht des Darlehensgebers zur Zahlung von Nutzungsersatz bei im Fernabsatz abgeschlossenen Geschäften besteht.

Die zweite Vorlagefrage betreffend führt der Generalanwalt am EuGH aus, dass in der Europäischen Union ein einheitliches Verbraucherleitbild anzulegen sei, welches der EuGH bereits in der Vergangenheit definiert habe (vgl. nur EuGH, Urt. v. 20.09.2017, Rs. C 2017/703). Es sei daher auch bei dem Widerrufsrecht im Fernabsatz auf „keinen anderen als einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher unter Berücksichtigung aller einschlägigen Tatsachen und sämtlicher den Abschluss des Vertrags begleitenden Umstände abzustellen.“ Dies sollte wohl dahingehend verstanden werden, dass das Verbraucherleitbild, dass zum Teil von deutschen Gerichten angelegt wird und den Verbraucher nahezu entmündigt, als deutlich überzogen anzusehen ist.

Für die Kreditwirtschaft von weitaus höherer Relevanz dürften hingegen die durch den Generalanwalt vorgeschlagenen Antworten auf die Vorlagefragen eins und drei sein. Denn mit der vorgeschlagenen Antwort des Generalanwalts auf die erste Vorlagefrage bringt dieser zum Ausdruck, dass er der Ansicht ist, ein ewiges Widerrufsrecht sei mit europäischem Recht unvereinbar. Anders als die nationalen (deutschen) Gerichte, die den sog. Widerrufsjoker betreffende Fälle oft nur durch die Brille des Verbraucherschutzes zu sehen scheinen, arbeitet der Generalanwalt am EuGH – dogmatisch vorbildlich – heraus, dass Ziel der RL 2002/65 EG zwar auch der Verbraucherschutz, aber auch die Gewährleistung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes sei. So sollen durch die Richtlinie „Hindernisse für den freien Verkehr von Finanzdienstleistungen“ aufgehoben werden sowie ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet werden. Wird aber in einzelnen Mitgliedstaaten der Verbraucherschutz überspannt und an diesen Anforderungen gestellt, die weit über die vollharmonisierende Richtlinie hinausgehen, steht dies der Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes entgegen.

Konsequent weist der Generalanwalt abschließend darauf hin, dass die dritte Vorlagefrage somit keiner Antwort mehr bedürfe, er im Übrigen aber die Rechtsfolgen eines wirksamen Widerrufs eines Fernabsatzvertrages betreffend der Ansicht sei, die „Beschränkung der Rückerstattung durch den Anbieter auf den Betrag, den er gemäß dem Fernabsatz erhalten hat“ sei angemessen, womit der Generalanwalt letztlich zum Ausdruck bringt, dass er die Nutzungsersatzplicht des Kreditinstituts jedenfalls im Fernabsatz für unzulässig hält. Wenn dieses Ergebnis auch zu begrüßen ist, so überzeugt die Begründung nur teilweise. Denn der Generalanwalt führt aus, dass in dem kurzen Zeitfenster, welches für die Ausübung des Widerrufs zur Verfügung steht, kein Raum dafür verbleibt, einen konkreten (wirtschaftlichen) Vorteil zu bestimmen, „der vom Darlehensnehmer in so kurzer Zeit erlagt wurde“.



Beitragsnummer: 1342

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