Mittwoch, 16. Oktober 2019

Risiken bei der Löschung von Konten im Erbfall

Syndikusrechtsanwalt Christian Steiner, LL.M., Niedersächsische Bürgschaftsbank (NBB) GmbH, Hannover, Leiter Rechtsabteilung, MaRisk-Compliance-Beauftragter

Nach dem Todesfall geht die Verfügungsgewalt über das Konto auf die Erben über. Im Bestreben, den Erbfall schnell zu erledigen, handeln Erben und Banken gemeinsam, um die Konten zeitnah aufzulösen, die Guthaben an die Erben auszuzahlen und die Konten des Erblassers aufzulösen und zu löschen. Dies insbesondere, da es grundsätzlich keine gesetzlichen Löschfristen für Konten gibt. Dass dies riskant ist, zeigt ein Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG, Beschluss vom 20.02.2019 – GS 1/18, BeckRS 2019 2852).

Sachverhalt und Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG)

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) überwies an die Erblasserin monatlich Witwenrente auf deren Konto bei der Empfängerbank. Nach dem Tod der Erblasserin zahlte die DRV noch zwei Monatsrenten. Die Bank kehrte alle Bankguthaben an die Erben der Erblasserin aus und löschte das Empfängerkonto. Die DRV forderte von der Bank die Erstattung der überzahlten Rentenbeträge, was diese wegen der Kontoauflösung ablehnte. Der Große Senat des BSG schloss sich der Ansicht des 13. Senats an, wonach die Kontoauflösung dem Erstattungsanspruch des Rententrägers nicht entgegensteht (vgl. zur Auffassung des 5. Senats BSG, Vorlagebeschluss v. 17.08.2017 – B 5 R 26/14 R, BeckRS 2017, 137064).

SEMINARTIPPS

Nachlass – Betreuung – Vorsorgevollmacht, 05.11.2019, Köln.

Nachlass – Betreuung – Vorsorgevollmacht, 27.10.2020, Würzburg.


§ 118 Abs. 3 S. 2 SGB VI begründet nach Ansicht des Großen Senats des BSG einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Anspruch des Trägers der DRV gegen Geldinstitute auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind. Er begründet insoweit i. S. von § 675o Abs. 2 BGB das Recht von Geldinstituten als Zahlungsdienstleister, die Ausführung eines ihnen erteilten autorisierten Zahlungsauftrags abzulehnen.

Die Verpflichtung eines Kreditinstituts, Geldleistungen „zurückzuüberweisen“, die auf ein Konto eines Empfängers bei ihm überwiesen wurden, setzt nicht zwingend den Fortbestand des Empfängerkontos beim Geldinstitut voraus. Das Regelungssystem des § 118 Abs. 3 SGB VI verdeutlicht, dass der Anspruch auf Rücküberweisung gegen das Kreditinstitut (§ 118 Abs. 3 S. 2 SGB VI) nicht durch die Auflösung des Kontos des Rentenempfängers erlischt.

FILMTIPP

Führen/Abwicklung von Nachlasskonten.



Der Anspruch auf Rücküberweisung aus § 118 Abs. 3 S. 2 SGB VI richtet sich nicht gegen den Rechtsnachfolger (Erben) des verstorbenen Berechtigten als Leistungsempfänger, sondern unmittelbar gegen den Leistungsmittler „Geldinstitut“ (Kreditinstitut).

Die Geldinstitute dürfen Empfängerkonten bei Rückforderung der betroffenen Geldleistungen durch Rentenversicherungsträger mit den Rückforderungsbeträgen belasten und bis zur Rückforderung ein Zurückbehaltungsrecht in entsprechender Höhe gegenüber den Kontoführungsberechtigten geltend machen. Das Kreditinstitut kann die Sicherung mittels Zurückbehaltungsrechts und Kontobelastung den ihm erteilten Anweisungen der Kontoführungsberechtigten, insbesondere der Kontoauflösung entgegenhalten. Insoweit ist das Geldinstitut berechtigt, die Ausführung des (Auflösungs-)Auftrags abzulehnen (vgl. § 675o Abs. 2 BGB).

Es besteht jedoch keine Verpflichtung des Kreditinstituts zur Rücküberweisung, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung des Rentenversicherungsträgers – in Unkenntnis des Todes des Rentenempfängers – bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann (vgl. § 118 Abs. 3 S. 3 SGB VI).

BUCHTIPP

Kontoführung & Zahlungsverkehr, 5. Aufl. 2017.



Der Anspruch des Rentenversicherungsträgers auf Rücküberweisung erlischt jedoch nicht, wenn das Kreditinstitut das Konto auflöst, ohne von seinen Sicherungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Das Kreditinstitut trifft insoweit das wirtschaftliche Risiko, nach einer Rücküberweisung keinen Rückgriff bei den Begünstigten mehr nehmen zu können.

Der Anspruch aus § 118 Abs. 3 S. 2 SGB VI überlagert die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen den Kontoinhabern bzw. deren Erben oder anderen Verfügungsberechtigten einerseits und den Kreditinstituten andererseits insoweit, als er i.S. von § 675o Abs. 2 BGB das Recht von als Zahlungsdienstleister begründet, die Ausführung eines autorisierten Zahlungsauftrags abzulehnen. Daraus folgt, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlers (= Kreditinstitut des Zahlungsempfängers) berechtigt ist, die Ausführung eines autorisierten Zahlungsauftrags (z. B. Kontoauflösung durch Erben und Auszahlung des Kontoguthabens an sie) abzulehnen, wenn und soweit gesetzlich begründete Gegenrechte einer hinreichenden Deckung des Auftrags entgegenstehen.

Kreditinstitute haben als Zahlungsdienstleister ab Kenntnis vom Tod des Empfängers (Versicherter/Rentner) bei der Ausführung autorisierter Zahlungsaufträge der Rechtsnachfolger des Empfängers im Rahmen des § 675o Abs. 2 BGB ein auf Rentenzahlungen für die Zeit nach dem Tod des Empfängers ein begrenztes Zurückbehaltungsrecht bei Verfügungen über das Konto.

Praxistipp

  • Nach dem Tod eines Kunden verlangen die Banken aus der „Bankenpraxis heraus“ nicht selten von den Erben, dass die Erblasserkonten möglichst zügig aufgelöst und gelöscht werden. Im entschiedenen Fall lagen zwischen Todeszeitpunkt des Erblassers und Kontolöschung gerade einmal zwei Monate. Der Große Senat schreibt den Banken nun ausdrücklich vor, dass das wirtschaftliche Risiko, etwaige Überzahlungen wieder erstatten zu müssen, bei den Banken haften bleibt. Auf die zivilrechtlichen Rückgriffsmöglichkeiten kommt es aufgrund der „Überlagerung“ durch die SGB-Norm gerade nicht an. Hierauf wird sich die Bankenpraxis einzustellen haben. Sicherlich sollte man hier eine gewisse Zeit verstreichen lassen und die Rückmeldung der DRV abwarten, bevor die Konten gelöscht werden.
  • Banken sollten Zahlungsaufträge oder Kontolöschungswünsche der Erben zumindest insoweit begrenzen, als dass der strittige Rentenzahlungsbetrag als Guthaben auf dem Konto verbleibt und erst nach Klärung mit der DRV das Konto aufgelöst wird und ein verbleibender Restbetrag erst dann verteilt wird.
  • Will man dies nicht, muss man ggf. mögliche Verluste in der Preisgestaltung berücksichtigen.


Beitragsnummer: 3420

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