Dienstag, 15. Mai 2018

Totgesagte leben länger: IT und der Lindy-Effekt

Dr. Patrick Hedfeld, Senior Project Manager, IT, Deutsche Leasing Gruppe

Nach Nassim Nicholas Talebs Buch - Antifragilität[1] ist der Lindy-Effekt ein Konzept, welches feststellt, dass die zukünftige Lebenserwartung einiger nicht verderblicher Dinge – wie einer Technologie oder einer Idee – proportional zu ihrem aktuellen Alter ist, so dass jede zusätzliche weitere Überlebensperiode auch eine längere verbleibende Lebenserwartung hervorruft. Das ist deshalb merkwürdig, weil wir es gewohnt sind, dass es genau andersherum funktioniert. Je länger wir leben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir – aufgrund unseres immer höheren Alters – sterben. Bei Technologie soll es nun genau andersherum sein? Je länger etwas existiert, je länger wird es existieren?

Nehmen wir die seit Jahrzehnten „ausgestorbene“ Programmiersprache COBOL.[2] Obwohl viele Firmen ihre Kernsysteme getauscht haben oder das noch vorhaben, stellt man fest, dass diese Technologie noch lange nicht tot ist. Die Universität Karlsruhe geht beispielsweise davon aus, dass weltweit 200 Milliarden Zeilen COBOL existieren und weitere 5 Milliarden Zeilen hinzukommen[3] – jedes Jahr. Tot sieht anders aus. Darüber hinaus bleibt als kleiner Hinweis für die IT-Geschichtsbücher noch die Tatsache, dass ein Tauschen eines alten Hostsystems mit der Hilfe von SAP oft dazu führt, dass ABAP Code in der IT-Landschaft auftaucht. Eine proprietäre SAP Sprache, die stark an COBOL angelehnt ist[4]. Technologien erscheinen auch gerne wieder.

1.Change Management

Aber das Ganze hat sicherlich auch Vorteile: Alte „Hosties“, die es noch gewohnt sind, auf Großrechnern zu arbeiten, kennen sich gut mit Speicherthemen aus. Ein moderner Programmierer, der einfach nur den Garbage Collector[5] anwirft und sich notwendigerweise generell nicht um Heap oder Stack kümmert, kann viel von den sogenannten Alten lernen. Jedes Feld ist kostbar und damit ergeben sich auch viele Möglichkeiten, dieses zu komprimieren oder zu packen. Will ein Gerät – wie eine elektrische Zahnbürste mit einer Programmierung – kostengünstig auf Speicher verzichten, kann sich ein verändertes Element schnell auf hunderttausende Produkte auswirken. Die Einsparung wird auf diese Weise durch die Massenherstellung hindurch multipliziert. Auch in diesem Fall lohnt sich das Wissen um speicheroptimierte Felder ganz schnell.

Man landet mit dieser Überlegung im Change Management[6]. Wie kann man den Unternehmenswandel bei sich ändernder IT gestalten? Und dabei liegt die Betonung auf dem Wandel. Nicht alle Elemente einer sogenannten „alten IT“ stehen auf dem Spiel. Der Datendurchsatz des Hosts ist kaum vergleichbar mit dem moderner Systeme. Addiert man einen CICS (Transaktionsmonitor) dazu, dann hat man einen modernen Webserver. Alle reden von Cloud, Digitalisierung, Agilität usf., doch keiner redet von der Integration bereits bestehender Anlagen in moderne Strukturen. Nicht alle Technologie ist schlecht, nur weil sie alt ist. Nicht alles Wissen ist überholt, nur weil es aus einem anderen Jahrzehnt stammt.

2. Altes und neues zusammenbringen?

Es ist wie das Bibelzitat[7] des alten Weines in neuen Schläuchen. Indem man sich oft trifft und über das Projekt spricht und das ganze Projekt in regelmäßigen Abständen berichtet, braucht man noch lange nicht zu behaupten, dass man gleich „agil“ wäre. Indem man alle IT-Systeme einer gewachsenen Landschaft austauscht, braucht es noch lange keinen, der sagt, man wäre mit der modernen Struktur auch gleich um Längen besser. Eine aufgehübschte GUI (Grafische Benutzeroberfläche) macht noch lange kein System besser.

Es ist wie so oft: Man muss altes und neues zusammenbringen. Auch das Management sollte diesen Gedanken verinnerlichen. In einer Bank gibt es kaum eine wichtigere Einheit als die IT. Alles läuft über die Anwendungen und wird dort auch gespeichert. Gute Entscheidungen können zu kostengünstigeren Geschäftsjahren führen und darüber hinaus auch gleichzeitig zu einer starken und leistungsfähigen IT-Landschaft.

Junge und alte Kollegen zusammenbringen im Rahmen eines gut organisierten Change Managements. Informationsaustausch auf allen Ebenen: Geschäfte, Technologie, Prozesse, Anwendungen und handelnde Personen sind dabei nur ein paar der Aspekte, an denen man alte totgesagte und neue Elemente miteinander verbinden kann. Der Lindy-Effekt soll uns helfen zu verstehen, dass das neueste FinTech noch so attraktiv und modern erscheinen, aber dennoch in ein paar Jahren wieder verschwunden sein kann. Während eine Firma aus Walldorf, Redmond oder Armonk wahrscheinlich noch in vielen Jahren existieren wird[8].

 SEMINARTIPPS

Prozessmanagement 2.0 - Sicherheit im Regulatorikwahn, 13–14.09.2018, Berlin.

Prüfungsvorbereitende Dokumentation von MaRisk-Öffnungsklauseln, 08.10.2018, Berlin.

Prozessprüfungen im Risikomanagement, 15.10.2018, Frankfurt/M.

Schutzbedarfsanalyse Spezial: Konkretes Doing am Beispiel ausgewählter Risiko-/Kundendaten, 15.10.2018, Frankfurt/M.

Natürlich: Ein Kondratjew-Zyklus[9] kann genauso beweisen, dass wo einmal die Dampfmaschine war heute auch keine Eisenbahn mehr ist und morgen möglicherweise auch keine IT mehr. Es sind zyklische Wirtschaftsentwicklungen, die einen Dow Jones Index füllen oder verlassen, und es sind auch Wellen der Entwicklung, die immer neue Technologien entstehen und alte verschwinden lassen. Aber gilt das wirklich für alle Technologien? Muss man sich in der Entscheidungsfindung in dieser doch sehr großen Höhe bewegen.

3. Disruption der Technologien und Bankmanagement

In 30 Jahren werden ganz sicher neue Formen der Disruption auf uns warten, aber es ist wie so oft: Nichts davon wird eine Wunderwaffe für alles werden. Blicken wir in die Vergangenheit der IT, dann wurde schon oft gesagt, dass die neue Technik alles andere verwerfen wird: IF-THEN Sprungbefehle, Entscheidungstabellen, Objektorientierte Sprachen usf. Heute sind es: Digitalisierung, Blockchain, neuronale Netze etc. Selbstverständlich: Jede neue Technik wird Altes disruptiv hinter sich lassen. Aber: Nichts davon wird eine Wunderwaffe für alles werden. Die vermeintlich „alte“ relationale Datenbank kann bestehen bleiben, die alten Rechenmaschinen oder die einfachsten Programme können den Sprung in das 21. Jahrhundert schaffen. Es obliegt einem guten Management, zusammen mit der IT auch die entsprechenden Entscheidungen zu treffen und diese in die Finanzwelt zu übertragen. Denn erst dann gilt es, dass eine unterstützende IT Landschaft auch ihren Weg in die Banken und Finanzinstitute findet. Die alten Technologien einfach liegen zu lassen birgt dabei die zu große Gefahr, dass man alte Stärken ebenso über Bord wirft.

PRAXISTIPPS

  • Alte und neue Technologie passt zusammen und bietet ungeahnte Chancen.
  • Ein sorgfältiges Change Management führt zu Vorteilen in der IT-Landschaft.
  • IT-Wissensmanagement ist ein Treiber für ungeahnte Wettbewerbsvorteile.
  • Der Host ist nicht totgesagt, er ist schon längst im 21. Jahrhundert angekommen.

  1. Taleb, Nassim Nicholas: Antifragilität, Albrecht Knaus Verlag, München 2013.
  2. Raouf Habib gilt als Standardwerk-Autor für COBOL z.B.: Habib, Raouf: COBOL für PCs, mitp, Frechen 2008.
  3. Präsentation der Universität Karlsruhe (2003): (http://www.info.uni-karlsruhe.de/lehre/2002WS/hps/Cobol-X4.pdf) (Abruf 28.03.2018) bzw. für 2012 (https://www.dev-insider.de/cobol-lebt-im-21-jahrhundert-weiter-a-559363/) (Abruf 28.03.2018)
  4. Kühnhauser, Alfred: Einstieg in ABAP, Bonn 2015.
  5. Man muss sich als Programmierer oft nur im Falle von besonderen Situationen wie Memory Leaks um Speicher kümmern, vergleiche dazu auch: (https://web.archive.org/web/20120613190844/http://it-republik.de/jaxenter/artikel/Wie-funktioniert-der-Java-Garbage-Collector-2452.html) (Abruf 29.03.2018)
  6. Doppler, Klaus: Change Management: Den Unternehmenswandel gestalten, Campus Verlag Frankfurt 2002.
  7. Matthäus 9,17
  8. SAP in Walldorf, Microsoft in Redmond und IBM in Armonk.
  9. Kondratieff Waves in the World System Perspective. In: Leonid E. Grinin, Tessaleno C. Devezas, Andrey V. Korotayev (Hrsg.): Kondratieff Waves: Dimensions and Perspectives at the Dawn of the 21st Century.


Beitragsnummer: 682

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