Freitag, 8. November 2019

„Viele wollen weg“

Aktuelle Hinweise zur Vorbereitung des Wegzugs aus Deutschland in die Schweiz.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Maximilian A. Werkmüller, LL.M., Düsseldorf

SSP-LAW (Of Counsel), Rechtsanwaltsgesellschaft, Düsseldorf,

Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine BWL, Finance und Family Office Management an der Allensbach-Hochschule In Konstanz

I. Einleitung

Gespräche mit vermögenden Privatiers oder Unternehmern über einen Wegzug aus Deutschland gab es auch in der Vergangenheit immer mal wieder. Zuletzt war dies in größerem Umfang im Jahr 1998 der Fall, als die frisch gewählte rot-grüne Bundesregierung an die Macht kam und Oskar Lafontaine Bundesfinanzminister wurde. Damals waren derartige Gespräche im Schwerpunkt steuerlich motiviert. Aus Sicht des gestaltenden Beraters galt es damals, die steuerliche Motivation zu hinterfragen und aufzuzeigen, welche optionalen Gestaltungsmöglichkeiten es auch nach deutschem Recht gab – oftmals waren sie den Mandanten nicht bekannt. Die Gespräche über den Wegzug aus Deutschland, die in diesen Tagen geführt werden, haben eine andere Motivation. Erstmals steht nicht die Erzielung steuerlicher Gestaltungsvorteile im Mittelpunkt der Überlegungen, sondern die generelle Frage, ob Deutschland noch der richtige Ort für die Familie und insbesondere für die Zukunft der Kinder ist. Aus Beratersicht gilt es deshalb, neben den technischen Themen (hierzu sogleich) zumindest auch darum, dafür Sorge zu tragen, dass der Wegzug problemlos gelingt und der Aufenthalt in der neuen Umgebung auch die notwendige „Wärme“ erzeugt, die erforderlich ist, um der Entscheidung die entsprechende Legitimation zu geben – insbesondere auch nach „innen“ gegenüber den übrigen Familienmitgliedern. Ausgesprochen beliebt ist bei deutschen Auswanderern nach wie vor die Schweiz. Allein im Jahr 2018 stellten die Deutschen bei insgesamt 170.100 Einwanderungsfällen mit 20.800 Fällen die größte Gruppe dar, sowohl verglichen mit Zuwanderern aus anderen EWR-Staaten aber auch absolut gegenüber Einwanderern z. B. aus Asien[1]. Die nachfolgenden Ausführungen möchten die Aspekte einer Wohnsitzverlagerung in die Schweiz näher beleuchten.

II. Wegzug und Aufenthalt in der Schweiz

Die Schweiz bietet neben einem ausgeprägten traditionellen und kulturellen Wertegerüst stabile politische und wirtschaftliche Verhältnisse. Als sog. Nicht-EU-Staat bietet sie zwar keinen unmittelbaren Anschluss an die Grundfreiheiten der Europäischen Union; dennoch können Staatsbürger der EU und der EFTA-Staaten auf der Grundlage des im Jahr 2002 in Kraft getretenen bilateralen Freizügigkeitsabkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union[2] ihren Aufenthaltsort innerhalb der Schweiz grundsätzlich frei wählen. Für die Angehörigen von Drittstaaten gelten hingegen verschärfte und deutlich restriktivere Regeln. Angehörigen der EU- bzw. EFTA-Staaten wird i. d. R. eine Aufenthaltsbewilligung in Form der sog. „B-Bewilligung“ erteilt. Das Schweizer Recht unterscheidet auch, ob der Zuzügler in der Schweiz einer Beschäftigung nachgehen möchte oder nicht.

1. Wegzug ohne Aufnahme einer Beschäftigung in der Schweiz

Um in den Genuss des Aufenthaltsrechts zu kommen, müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: Nichterwerbstätige müssen über genügend finanzielle Mittel verfügen, damit sie nicht sozialhilfeabhängig werden und dem Aufnahmestaat zur Last fallen; dabei werden die finanziellen Mittel als ausreichend beurteilt, wenn sie den Ansatz überschreiten, der nach schweizerischem Recht Anspruch auf Fürsorgeleistungen gibt. Maßgebend in diesem Zusammenhang sind die Ansätze der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien)[3]. Bei der Berechnung der finanziellen Mittel werden auch die Renten und die Leistungen anderer Sozialversicherungsträger angerechnet. Sie müssen darüber hinaus über einen Krankenversicherungsschutz verfügen, der alle Risiken (auch Unfall) abdeckt.

2. Wegzug mit geplanter Aufnahme einer Beschäftigung in der Schweiz

Bei einem Stellenantritt bei einem Unternehmen in der Schweiz mit einer Beschäftigung von bis zu drei Monaten pro Kalenderjahr, brauchen EU- bzw. EFTA-Staatsangehörige keine Aufenthaltsbewilligung. Sie müssen sich jedoch über das elektronische Meldeverfahren anmelden und die Meldung hat spätestens am Tag vor der Arbeitsaufnahme zu erfolgen. Der Bewilligungspflicht unterstellt sind hingegen die Aufenthalte zur Erwerbstätigkeit, welche länger als drei Monate pro Kalenderjahr dauern. Aufenthaltsbewilligungen zur Erwerbstätigkeit von EU/EFTA-Staatsangehörigen werden ausgestellt, wenn eine Arbeitsbescheinigung (Arbeitsvertrag) vorgelegt wird. Diese Bewilligung ist in der ganzen Schweiz gültig und berechtigt zum Stellen- und Berufswechsel. Die Gültigkeitsdauer dieser Aufenthaltsbewilligungen richtet sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses[4]. Bei einem Arbeitsverhältnis zwischen drei Monaten und einem Jahr haben die Arbeitnehmenden der EU- bzw. EFTA-Staaten Anspruch auf eine Kurzaufenthaltsbewilligung, welche auf die in der Arbeitsbescheinigung vorgesehene Vertragsdauer begrenzt ist. Auf Vorweisen einer Arbeitsbescheinigung von einjähriger, überjähriger oder unbefristeter Dauer erhalten die Arbeitnehmenden eine sog. „B-Aufenthaltsbewilligung“ mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren. EU- bzw. EFTA-Staatsangehörige, die zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit in die Schweiz einreisen, erhalten eine erstmalige Aufenthaltsbewilligung mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren – sofern sie bereits bei der Einreichung des Gesuchs den Nachweis der effektiven selbstständigen Erwerbstätigkeit erbringen können.

III. Immobilienerwerb durch Ausländer in der Schweiz

Der Erwerb von Immobilieneigentum durch Ausländer war in der Schweiz über viele Jahre ausgesprochen schwierig. Die sog. „Lex Friedrich“ verhinderte praktisch, dass Ausländer, die über keine Aufenthaltsbewilligung verfügten, Immobilieneigentum erwerben konnten. Seit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz können Staatsangehörige der EU- bzw. EFTA-Staaten hingegen problemlos und bewilligungsfrei Immobilieneigentum in der Schweiz erwerben. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sie ihren Hauptwohnsitz in der Schweiz haben. Soweit sie über eine gültige Aufenthaltsbewilligung verfügen, gelten die gleichen Regeln auch für Ausländer aus anderen Staaten.

IV. Steuerliche Situation beim Wegzug in die Schweiz

Der Wegzug aus Deutschland in die Schweiz erfordert in jedem Fall und unabhängig vom jeweiligen Zuzugsstaat eine umfassende steuerliche Planung[5]. Je nachdem, ob der Wegziehende nach Aufgabe seines deutschen Wohnsitzes noch Einkünfte aus deutschen Quellen erzielt, können diese – je nach Regelung im Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) – entweder Deutschland oder der Schweiz zustehen. Je nachdem, welchen Aufenthaltsstatus der Wegzügler in der Schweiz genießt und für welches Steuerregime er sich entscheidet, kann der deutsche Anspruch, das Welteinkommen zu besteuern, ganz oder teilweise aufrecht erhalten bleiben.

1. Steuersystem in der Schweiz

Das Steuersystem der Schweiz folgt einem streng föderalen Aufbau, d. h., es ist zwischen Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern zu unterscheiden. Das „Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG)“ vom 14.12.1990[6], zuletzt geändert am 09.07.2019, regelt die jeweiligen Steuererhebungskompetenzen. Werden nach dem Wegzug weiterhin Einkünfte in Deutschland erzielt, so regelt das entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), welchem Staat das Besteuerungsrecht zusteht. Von besonderem Interesse für Wegzügler ist die Gemeindeebene. Einige Gemeinden erheben nur sehr geringe oder gar keine Gemeindesteuern. Bekannt ist hierfür z. B. die Gemeinde Wollerau im Kanto Schwyz, welche sich von den südwestlichen Ausläufern des Zürichsees in Richtung des Kantons Zürich erstreckt. „Die Wohnlage in Wollerau ist einmalig. Nicht nur die Aussicht auf den Zürichsee ist bemerkenswert; auch der Blick auf das angrenzende Mittelland, auf den Alpstein und auf die Glarneralpen machen das Wohnen in Wollerau zu etwas Besonderem. Die Gemeinde Wollerau zählt seit Jahren zu den steuergünstigsten Gemeinden der ganzen Schweiz“ – mit diesen Worten wirbt die Gemeinde für sich ganz offiziell auf ihrer Website[7].

2. „Besteuerung nach dem Aufwand“ (sog. Pauschalsteuer)

Für Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz sieht das Schweizer Steuerrecht eine Besonderheit vor: die sog. „Pauschalsteuer“ bzw. die „Besteuerung nach dem Aufwand“. Diese ist in Art. 6 des Gesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern von Kantonen und Gemeinden (StHG) geregelt. In der Schweiz lebenden Ausländern gewährt das nationale Steuerrecht seit dem Jahr 1993 die Möglichkeit, ihre in der Schweiz zu zahlende Einkommensteuer nicht auf Basis des tatsächlichen Welteinkommens, sondern pauschal auf Basis des tatsächlichen Lebenshaltungsaufwands in der Schweiz zu ermitteln. Diese auf Bundesebene geschaffene Möglichkeit ist auch von den meisten Kantonen übernommen worden. In jüngerer Zeit ist die Pauschalsteuer allerdings immer wieder in den Fokus der Schweizer Medien geraten. Einige Kantone haben die Pauschalsteuer für kantonale Steuern abgeschafft[8]. In der Gestaltungsberatung für wegzugswillige Deutsche spielt die Möglichkeit, in der Schweiz zur Pauschalsteuer zu optieren, dennoch nach wie vor eine große Rolle.

a) Funktionsweise der Pauschalsteuer

Nur Ausländer, d. h. „Nicht-Schweizer“, die erstmals oder nach mindestens 10-jähriger Landesabwesenheit in der Schweiz ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt nehmen und dort keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, können zur Pauschalsteuer optieren[9]. Dieses Recht erlischt, sobald der Steuerpflichtige eine Erwerbstätigkeit aufnimmt. Eine die Besteuerung nach dem Aufwand ausschließende Erwerbstätigkeit in der Schweiz übt aus, wer dort einem irgendwie gearteten Haupt- oder Nebenberuf nachgeht und daraus im In- oder Ausland Einkünfte aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit i. S. d. Art. 17 Abs. 1 DBG (Gesetz über direkte Bundessteuern - Einkünfte aus privatrechtlichem oder öffentlich-rechtlichem Arbeitsverhältnis mit Einschluss der Nebeneinkünfte) oder aus selbstständiger Erwerbstätigkeit i. S. d. Art. 18 Abs. 1 DBG (Einkünfte aus Handels-, Gewerbe-, Land- und Forstwirtschaftsbetrieb, aus freien Berufen sowie aus jeder anderen selbstständigen Erwerbstätigkeit) erzielt.

Deutschen Staatsangehörigen, bei denen die oben genannten Voraussetzungen vorliegen, steht das Recht auf Besteuerung nach dem Aufwand mit dem Beginn der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, d. h. mit der Begründung eines steuerrechtlichen Wohnsitzes oder Aufenthaltes in der Schweiz zu (vgl. Art. 8 DBG). Das Recht erlischt, wenn der steuerrechtliche Wohnsitz oder Aufenthalt wegfällt, eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz aufgenommen oder wenn das schweizerische Bürgerrecht erworben wird[10]. In diesem Fall erfolgt eine ordentliche Einkommensbesteuerung (Welteinkommensprinzip). Eine Ausnahme gilt im Fall des schweizerischen Bürgerrechts, wenn bei Ehegatten nur einer von beiden oder die Kinder dieses Recht besitzen. Dann behalten beide Ehegatten das Recht auf die Besteuerung nach dem Aufwand.

Für die Bemessung der Pauschalsteuer sind die jährlichen Kosten der Lebenshaltung maßgebend. Darunter fallen u. a. die Kosten für Verpflegung, Bekleidung sowie die Kosten für Unterkunft, Bildung und Ähnliches. Da all diese Ausgaben nur schwer zu spezifizieren sind, setzt hier die Pauschalierung ein: Maßgeblich ist der in der Schweiz bezahlte Mietzins für die selbstbewohnte Liegenschaft oder – im Falle des Eigentumserwerbs – der entsprechende Ertragswert[11]. Auf das Fünffache dieser Bemessungsgrundlage wird sodann der normale Einkommensteuertarif in der Schweiz angewendet. Die Steuer muss jedoch mindestens gleich hoch angesetzt werden wie die nach dem ordentlichen Tarif berechnete Steuer vom gesamten Bruttobetrag (sog. „Kontrollrechnung“). Pauschalbesteuerte Personen werden von der Pflicht befreit, ihr ausländisches Vermögen und ihre Einkünfte anzugeben. Es wird jedoch verlangt, dass sie ihr Bruttovermögen in der Schweiz und ihre Bruttoeinkünfte aus inländischen Quellen angeben, um die Kontrollrechnung durchführen zu können[12]. Bei geschickter Planung lassen sich freilich schweizerische und auch deutsche Einkünfte reduzieren oder sogar ganz vermeiden.

b) Einschränkungen der Möglichkeiten zur Nutzung der Pauschalbesteuerung durch das DBA Schweiz

Das Einkommensteuer-DBA Deutschland-Schweiz beinhaltet für den wegzugswilligen Inländer einige „Überraschungen“, auf welche der Vollständigkeit halber an dieser Stelle kurz hingewiesen werden soll: Nur der vollständige Wegzug aus Deutschland unter Aufgabe sämtlicher inländischer (Zweit-)Wohnsitze oder ständiger Wohnstätten i. S. des DBA führt zur Aktivierung der Abkommensschutzes an sich. Die Beibehaltung eines Inlandsbezugs im oben beschriebenen Sinne führt gem. Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz dazu, dass Deutschland den Wegzügler weiterhin uneingeschränkt auf Basis des Welteinkommens besteuern darf[13]. Aus diesem Grund ist Wegzüglern zu empfehlen, ihre in Deutschland zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilien vor dem Wegzug zu veräußern.

c) Aufhebung des Abkommensschutzes bei Optierung zur Pauschalbesteuerung

Auf eine weitere „Tücke“ soll an dieser Stelle hingewiesen werden: Sie liegt in Art. 4 Abs. 6a DBA Deutschland-Schweiz verborgen. Nach dieser selbst im internationalen Vergleich „überraschenden“ Bestimmung[14] gilt der Wegzügler dann „als nicht in einem Vertragsstaat ansässig“, wenn er in diesem Staat bevorzugt besteuert wird, wenn er also nicht mit sämtlichen Einkünften der allgemeinen erhobenen Besteuerung unterliegt. Genau dies ist aber bei der Optierung des deutschen Wegzüglers zur Pauschalbesteuerung in ihrer „Urform“ der Fall. Folge dieser Bestimmung ist, dass Deutschland weiterhin uneingeschränkt und trotz des Wegzugs nicht nur die inländischen Einkünfte besteuern darf, sondern das Welteinkommen des Wegzüglers, verbunden allerdings mit der Möglichkeit der einseitigen Anrechnung ausländischer Einkommensteuer gem. § 34c EStG.

Gegen diese Tücke des DBA Deutschland-Schweiz schützt die Optierung zur sog. „modifizierten Pauschalbesteuerung“ nach Maßgabe von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung über die Besteuerung nach dem Aufwand bei der direkten Bundessteuer vom 15.03.1993, welche dergestalt im Vergleich zur „Urform“ abgewandelt ist, dass alle nach schweizerischem Recht steuerbaren deutschen Einkünfte so behandelt werden, als wenn sie der ordentlichen schweizerischen Besteuerung unterliegen würden. Alle übrigen Welteinkünfte werden weiterhin der Pauschalbesteuerung unterworfen. Um den Wegzug steuerlich zu optimieren, gilt es deshalb nach wie vor, inländische, d. h. deutsche Einkünfte, abzubauen (z. B. durch Verlagerung der Einkunftsquellen in Drittstaaten) oder idealiter ganz zu vermeiden. Nur in diesem Fall kommt der Steuerpflichtige in den vollen Genuss der schweizerischen Pauschalbesteuerung und ist der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht wirksam entzogen.

3. Anwendung des Außensteuergesetzes (AStG)

Im Falle eines Wegzugs in die Schweiz ist neben den einkommensteuerlichen Vorschriften auch die Regelung des deutschen Außensteuergesetzes zu beachten. Hier ist Art. 6 von besonderer Bedeutung: Er betrifft Anteile an Kapitalgesellschaften im Sinne des § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) und sichert der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht an den dort bis zum Wegzug gebildeten sog. „stillen Reserven“. § 6 AStG ist – anders als die übrigen Vorschriften des AStG – nicht auf den Wegzug in ein Niedrigsteuergebiet beschränkt, sondern findet grundsätzlich auch auf die Fälle der Wohnsitznahme in einem anderen Staat des EU oder des EWR Anwendung. Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen seiner Entscheidung vom 11.03.2004 eine entsprechende Vorschrift des französischen Steuerrechts für mit den Grundfreiheiten des EU-Vertrages unvereinbar erklärt hatte und gegen die Bundesrepublik Deutschland bezüglich § 6 AStG ein Vertragsverletzungsverfahren anhängig war, wurde § 6 AStG durch den deutschen Gesetzgeber im Rahmen des sog. „Societas Europea Einführungsgesetzes – SEStEG“ vom 07.12.2006 „EU-konform“ ausgestaltet. Seitdem wird der Gewinn, der durch die fingierte Veräußerung entsteht, zwar ermittelt und eine entsprechende Einkommensteuer festgesetzt; diese wird jedoch (zinslos) gestundet, wenn der Steuerpflichtige das Wirtschaftsgut im Zuzugsstaat tatsächlich veräußert oder er in einen sog. Drittstaat wegzieht. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zuzugsstaat ein Amtshilfsabkommen zur gegenseitigen Unterstützung bei der Beitreibung der geschuldeten Steuern besteht.

Unlängst hatte nun das das Finanzgericht Baden-Württemberg dem EuGH mit Beschluss vom 14.06.2017 die Frage vorgelegt, ob diese innerhalb der EU geltenden Stundungsregelungen auch im Verhältnis zur Schweiz gelten. Hintergrund der Vorlage war das Freizügigkeitsabkommen der EU. Die wissenschaftliche Literatur hatte die Anwendung der Stundungsregelungen für Wegzüge in die Schweiz bereits seit Jahren gefordert. Nun ist der EuGH in der Frage der Auffassung des Schrifttums gefolgt[15]. Da das Amtshilfeabkommen mit der Schweiz bereits seit dem Jahr 2013 besteht, dürfte mit diesem Urteil eine große Hürde für potenzielle Wegzügler entschärft worden sein. Wer freilich alle Bindungen zu Deutschland abbrechen und nur noch nicht-deutsche Einkunftsquellen haben möchte, dem sei geraten, auch diese Beteiligung rechtzeitig vor dem Wegzug zu veräußern.

Praxistipps

  • Der Wegzug in die Schweiz ist gestaltbar – ebenso wie der Wegzug in jedes andere Land – er erfordert jedoch einen Planungsvorlauf von mindestens einem, besser zwei bis drei Jahren.
  • Nicht nur das „Weggehen“ sondern auch das „Ankommen“ sollte gut geplant sein, damit am Ende aller Tage alle mit der Entscheidung zufrieden sind.
  • Oft geben „weiche“ Faktoren den Ausschlag. Diese zu kennen und ihre Bedeutung richtig einzuschätzen, grenzt den „trusted advisor“ vom bloßen Dienstleister ab.
  1. Vgl. die Veröffentlichung des Bundesamts für Statistik der Schweiz, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/migration-integration.html
  2. Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 30.4.2002, ABl. Nr. L 114 S. 6.
  3. Vgl. Merkblatt des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartment EJPD, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/eu/fza/personenfreizuegigkeit/factsheets/fs-nichterwerbstaetige-d.pdf
  4. Vgl. Merkblatt des Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, a.a.O.
  5. Grundlegend hierzu noch immer Heeb/Koch, Internationale Steuerberatung, PIStB 2000 S. 84, (117) und Brand in: Weigell/Brand/Safarik, Investitions- u. Steuerstandort Schweiz, S. 16 f.
  6. SR 1012 Fassung gemäß Ziff. I 2 des BG vom 15.12.2000 zur Koordination und Vereinfachung der Veranlagungsverfahren für die direkten Steuern im interkantonalen Verhältnis, in Kraft seit 01.01.2001 (AS. 2001 S. 1.050; BBl 2000 S, 3.898).
  7. Vgl. https://www.wollerau.ch/steuern
  8. So hatte z. B. der Kanton Zürich die Pauschalsteuer per Beschluss vom 03.03.2009 auf kantonaler Ebene mit Wirkung zum 01.01.2010 abgeschafft. Ebenfalls abgeschafft ist sie in den Kantonen Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden, Basel-Land und Basel-Stadt. Der Vorschlag einer Volksinitiative aus dem Jahr 2011 zur Abschaffung der Pauschalsteuer in der gesamten Schweiz wurde am 30.11.2014 mit 59,2 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.
  9. Vgl. Heeb/Koch, a.a.O.; Brand, a.a.O.
  10. Vgl. Bron/Seidel, IStR 2009 S. 312, 313.
  11. Vgl. Heeb/Koch, PIStB 2000 S. 84.
  12. Heeb/Koch, a.a.O., S. 118
  13. Vgl. Heeb/Koch, a.a.O. S.121; Bischoff/Kotyrba, BB 2002 S. 382, 384 m. w. N.
  14. So Bischoff/Kotyrba, a.a.O.
  15. Vgl. – EuGH, Beschluss vom v. 26.02.2019 – C-581/17, „Wächtler“.


Beitragsnummer: 3703

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