Mittwoch, 30. November 2022

EBA Leitlinien für Kreditvergabe und -überwachung sind rechtswirksam

Urteil des Conseil d’État (9ème – 10ème chambres réunies, 22 juillet 2022, 449898) bestätigt Rechtswirksamkeit der EBA-Leitlinien für Kreditvergabe und -überwachung


Christian König, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Privaten Bausparkassen, e.V. Berlin und Geschäftsführender Direktor der Europäischen Bausparkassenvereinigung, Brüssel; Mia Bade, ass. iur. Amsterdam, Berlin

I. Einleitung

In einem weiteren Versuch, die „comply“-Erklärung der französischen Bankenaufsicht (Autorité de contrôle prudentiel et de résolution) zu den EBA-Leitlinien für Überwachung und Governance von Bankprodukten im Privatkundengeschäft[1] gegenüber der EBA für nichtig zu erklären, hatte der französische Bankenverband (Fédération bancaire française) vor dem Conseil d’État gegen die „comply“-Erklärung geklagt[2]. Außerdem sollte geprüft werden, ob die Leitlinie für ein Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vorgelegt werden soll.

II. Hintergrund des Verfahrens

Zuvor hatte der französische Bankenverband die Kompetenz der EBA, Leitlinien zur product governance zu erlassen, angezweifelt und ebenfalls vor dem Conseil d’État geklagt. Dieser Rechtsstreit wurde durch den Conseil d’État dem EuGH vorgelegt, der wiederum die Kompetenz der EBA zum Erlass der strittigen Leitlinie bestätigt hat, aber die Verbindlichkeit der Leitlinien verneinte[3]. Nun strebte der französische Bankenverband an, die EBA-Leitlinie für Überwachung und Governance mittels einer weiteren Klage vor dem Conseil d’État in den Kompetenzfragen, fehlenden Rechtsgrundlagen und Unionsrechtswidrigkeiten auf die Probe zu stellen.

III. Inhalt des Urteils 

Am 22.07.2022 entschied der Conseil d´État, dass die „comply“-Erklärung der französischen Bankaufsicht (Autorité de contrôle prudentiel) zu den EBA-Leitlinien für Überwachung und Governance von Bankprodukten im Privatkundengeschäft für rechtswirksam erklärt wird. Im Folgenden werden die einzelnen Erwägungsgründe des Conseil d’État wiedergegeben:

  1. Der Klagegrund, dass die französische Bankenaufsicht ihre Kompetenzen überschritten hätte, indem sie in der angefochtenen Erklärung angegeben habe, dass sie die Umsetzung der EBA-Leitlinie, zu der sie eine „comply“-Erklärung abgegeben habe, durch die Finanzierungsgesellschaften „erwarte“, wurde durch den Conseil d’État zurückgewiesen. Der französische Bankenverband argumentierte, dass eine Überschreitung der Zuständigkeit durch Ausdehnung des Anwendungsbereiches der streitigen Leitlinie auf Finanzierungsgesellschaften, die nicht unter die Definition von „Finanzinstituten“ gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung der EBA fallen, vorliege. Der Conseil d’État leitet her, dass in Art. L. 511-1 des französischen Währungs- und Finanzgesetzbuchs Finanzierungsgesellschaften als Finanzinstitute i. S. d. Art. 4 Abs. 1 1 Nummer 26 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 definiert werden und rechtfertigt damit die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der streitigen Leitlinien auch auf Finanzierungsgesellschaften.
  2. Die streitige Leitlinie war nach der Meinung des französischen Bankenverbandes zu ungenau, da die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der Aufsicht durch die EZB und nationalen Behörden gemeinsam die Zuständigkeit der Aufsicht, welche ausschließlich in die Hände der nationalen Behörden fällt, wie der Kundenschutz oder die Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, nicht eindeutig genug abgegrenzt wären. Diesen Klagegrund wies der Conseil d’État ebenso zurück. Aus Art. 16 der Verordnung Nr. 1093/2010 ergebe sich, dass die Finanzinstitute Adressaten der streitigen Leitlinie seien und diese grundsätzlich einhalten/umsetzen müssen.
  3. Der Klagegrund, dass es der EBA an Befugnis mangele, Leitlinien für Verbraucherkreditverträge zu erlassen, wird vom Conseil d’État sehr knapp unter Verweis darauf zurückgewiesen, dass die Richtlinie 2014/17/EU als ein in Art. 1 Abs. 2 der EBA-VO Nr. 1093/2010 genannter Rechtsakt angesehen wird, insoweit als dass sie der EBA Aufgaben überträgt.
  4. Nr. 44 der streitigen Leitlinie macht Vorgaben zu der Risikobewertung und der Sorgfaltspflicht von Kreditgebern gegenüber ihren Kunden im Hinblick auf die Bekämpfung von Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung; dafür soll es, dem französischen Bankenverbandes folgend, keine Rechtsgrundlage gegeben haben. Der Conseil d’État verneint dies und hält dagegen: Art. 8 und 13 der Richtlinie 2015/849/EU würden hierfür eine Rechtsgrundlage bieten: Art. 8 fordere im Übrigen von den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, die der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung entgegenwirken – auch in den Bereichen Produkt, Dienstleistungen, Transaktionen oder Vertriebskanälen. Art. 13 der Geldwäscherichtlinie regelt die Maßnahmen zur Feststellung der Kundenidentität.
  5. Der Conseil d’État prüfte ebenso die Nr. 70 und 71 der strittigen Leitlinie, in denen die Ansprüche für die Entscheidungsfindung bei der Kreditvergabe geregelt werden. Um in diese Bereiche einzugreifen, fehlte es der EBA – nach der Auffassung des französischen Bankenverbandes – an der nötigen Rechtsgrundlage. Dieser Regelungsinhalt falle dem Conseil d’État folgend in den Anwendungsbereich der Art. 74 und 88 der Richtlinie 2013/36/EU, wodurch auch hier eine Rechtsgrundlage für Nr. 70 und 71 für die EBA vorhanden sei.
  6. Das Vorliegen einer Rechtgrundlage für Nr. 84–86 der streitigen Leitlinie, die das Verfahren für die Kreditvergabe regeln, wurde ebenfalls durch den französischen Bankenverband in Frage gestellt. Außerdem würden die Nr. 84–86 gegen Unionsrecht verstoßen und gegen die ständige Rechtsprechung des EuGH: Es soll durch Nr. 84–86 gegen die Bestimmungen des Art. 8 der Richtlinie 2008/48/EG verstoßen worden sein, in dem die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, sicherzustellen dass die Kreditwürdigkeit von Kreditnehmern durch die Kreditgeber anhand von ausreichenden Informationen überprüft wird. Hier argumentiert der Conseil d’État, dass durch das am 18.12.2014 ergangene Urteil des EuGH „CA Consumer Finance SA gegen Ingrid Bakkaus“ die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Verbraucherkreditrichtlinie (2008/48/EG) eine Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers einzig auf Grundlage der von diesem erteilten Auskünfte nicht untersagt ist, vorausgesetzt, dass diese Auskünfte ausreichen und einfache Angaben des Verbrauchers als Belege beigefügt sind, und dass er zum anderen den Kreditgeber nicht dazu verpflichtet, die Richtigkeit der vom Verbraucher erteilten Auskünfte systematisch zu überprüfen[4]. Als Rechtsgrundlage wurde von dem Conseil d’État Art. 79 der Richtlinie 2013/36/EU vorgebracht.
  7. Der französische Bankenverband brachte außerdem an, dass Nr. 111 der EBA-Leitlinie, welche die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers im Rahmen von durch Immobilien besicherte Darlehensverträge regelt, es an einer Rechtsgrundlage fehle. Die Zurückweisung dieses Klagegrunds begründet der Conseil d’État damit, dass die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers im Rahmen von durch Immobilien besicherte Darlehensverträge in den Anwendungsbereich von Art. 79 der Richtlinie (2013/36/EU) fällt.
  8. Auch zurückgewiesen wurden die Zweifel an der Befugnis der EBA, Anforderungen an die Berücksichtigung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG-Faktoren) bei der Kreditvergabe stellen zu können. Das stehe auch in keinem Widerspruch zu Art. 9 derselben Richtlinie. Hergeleitet wurde diese Befugnis aus Art. 79 der Richtlinie 2013/36/EU. Die kreditgebenden Institute sollen gem. Nr. 56–59 in Abschnitt 4 und in Nr. 126 f. und 146–149 in Abschnitt 5 die sogenannten ESG-Faktoren bei Kreditrisikoappetit und das Kreditrisikomanagement und für die Kreditnehmer im Allgemeinen berücksichtigen.
  9. Weiterhin hatte der französische Bankenverband bemängelt, dass es der umstritteneren Leitlinie an einer Rechtsgrundlage fehle, um den Abschnitt 7, der die Bewertung von Immobilien und beweglichen Vermögenswerten regelt, zu begründen. Die Leitlinie weite hier die Verpflichtungen aus den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 unzulässig aus. Auch diesen Klagegrund weist der Conseil d’État zurück und begründet das mit Art. 79 der Richtlinie 2013/36/EU des Rates vom 26.06.2013, in dem die Zuständigkeit für Behörden für „eine Kreditvergabe nach klaren und soliden Kriterien“ (/a) und für die Verfügbarkeit „interner Methoden, anhand derer das Kreditrisiko sowohl für einzelne Schuldner, Wertpapiere oder Verbriefungspositionen als auch für das gesamte Portfolio bewerten können“ (/b) gegeben ist.

Der Conseil d’État bezieht abschließend noch Stellung zu dem rechtlichen Rahmen der streitigen EBA-Leitlinien und erkennt hier an, dass durch das Urteil des EuGH vom 15.07.2021 über die EBA-Leitlinien für die Überwachung und Governance von Bankprodukten die Unverbindlichkeit der Leitlinien und die Rechtsnatur der Leitlinien als „soft law“ anerkannt wurde. Trotzdem argumentiert der Conseil d’État nun, dass eine verhältnismäßige Umsetzung der umstrittenen Leitlinie erfolgen müsse und begründet dies mit dem in Art. 74 Abs. 2 der Richtlinie 2013/36/EU kodifizierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der sicherstellen soll, dass die internen Governance-Regelungen mit dem institutsspezifischen Risikoprofil und Geschäftsmodell im Einklang stehen, damit die Ziele der aufsichtsrechtlichen Anforderungen wirksam erreicht werden können.

IV. Bewertung des Urteils 

Nachdem der EuGH der EBA durch das Urteil C-911/19 vom 15.07.2021 die Kompetenz zum Erlass der Leitlinie zur Überwachung und Governance bestätigt hat, aber auch die unverbindliche Natur dieser Leitlinien klargestellt, ist der französische Conseil d’État nun noch einen weiteren Schritt gegangen und hat klargestellt, dass unter die Leitlinie zur Kreditvergabe auch Finanzierungsgesellschaften fallen können. Einen Verstoß gegen nationales oder Unionsrecht durch die EBA-Leitlinie sieht der Conseil d’État im Gegensatz zu dem Französischen Bankenverband nicht.

Die Bemühungen des Conseil d’État, die Umsetzung der EBA-Leitlinie trotz soft law-Charakters möglichst einheitlich/ganzheitlich anzustreben, kann nun als Bemühung gewertet werden, die europäische Integration weiter zu stärken. Außerdem könnte das Urteil des Conseil d’État dazu beitragen, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Erlasses von Leitlinien durch die EBA auch in Frankreich am Sitz der EBA nun final ausgeräumt sind.

[1] EBA/GL/2015/18.

[2] EBA/GL/2020/06 vom 29.05.2020.

[3] EuGH-Urteil vom 15.07.2021, C-911-19; EBA-Leitlinien für die Überwachung und Governance von Bankprodukten sind rechtswirksam EuGH-Urteil (C-911-19) zur juristischen Überprüfung von vermeintlichem soft law; S. König IP 08-09/2021, S. 179 ff.

[4] EuGH Urteil vom 19.12.2014 C-449/13.


Beitragsnummer: 21939

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