Montag, 6. Mai 2024

Geopolitik und Auswirkungen auf das Risikomanagement

Neuer Risikotreiber für die Finanzindustrie?

Joachim Weeber, Honorarprofessor, NORDAKADEMIE Hochschule der Wirtschaft, ehemaliger Sachgebietsleiter im Bereich Banken und Finanzaufsicht der Deutschen Bundesbank

 

Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 haben sich die Herausforderungen für das Risikomanagement von Banken kontinuierlich erweitert. Zu diesen Herausforderungen zählen etwa die Schuldenkrise zahlreicher Eurostaaten (die der sogenannten PIIGS-Staaten: Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) sowie Zypern im Mai 2012, die darauffolgende Niedrig- bis Negativzinsphase, die Corona-Krise sowie die durch drastische Preissteigerungen ausgelöste Verschärfung des geldpolitischen Kurses zahlreicher Zentralbanken – mithin auch der Europäischen Zentralbank.

Zukünftige Krisen können auch aus einer Zuspitzung der geopolitischen Lage entstehen. Geopolitik stand jahrelang aber nicht im Fokus geschäftspolitischer Entscheidungen von Wirtschaftsführern. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat Geopolitik aber quasi über Nacht auf die Agenda für das Risikomanagement von Unternehmen der Realwirtschaft wie auch der Finanzindustrie gesetzt. Zwar haben sich auch zuvor Banken und die Regulatoren mit länderspezifischen Risiken beschäftigt. Im Wesentlichen betraf dies aber Situationen, in denen einzelne Staaten vor einer herausfordernden Finanzkrise oder einer gesamtwirtschaftlichen Problemlage standen. Mit den Ereignissen vom 24.02.2022 ist die Geopolitik aber in eine neue Phase eingetreten. Eine Zunahme der regionalen Konflikte bis hin zu einer Veränderung der weltpolitischen Gesamtlage scheint wahrscheinlich.   

Typisches Beispiel dafür sind die Verschärfung des Konfliktes um Taiwan, die Ausweitung des Einflusses Chinas in Ost- und Südostasien insgesamt oder die anhaltenden Spannungen im Mittleren und Nahen Osten. So geht ein Großteil der im Rahmen des Global Risks Report 2024 des World Economic Forum befragten Experten von einer zunehmend multipolaren oder fragmentierten Weltordnung aus (World Economic Forum, Global Risks Report 2024, Geneva 2024). Zwar ist die bipolare Weltordnung des Kalten Krieges durch den Zerfall der Sowjetunion und dem Auftreten Chinas als zusätzliches wirtschaftliches und politisches Zentrum im pazifischen Raum schon lange Geschichte. Doch zunehmend gesellen sich auch andere Staaten als Mittel- und neue Großmächte, wie Indien, auf die geopolitische Spielwiese hinzu. Daher warnt der Global Risks Report auch vor einer abnehmenden Kooperationsbereitschaft bei der Bewältigung drängender globaler Probleme.

Die Auswirkungsdimensionen dieser veränderten geopolitischen Weltordnung auf die Wirtschaft und Gesellschaft sind vielfältig. „The war in Ukraine, the Israel-Gaza conflict and tensions over Taiwan. Escalation in any one of these hotspots would radically disrupt global supply chains, financial markets, security dynamics and political stability, viscerally threatening the sense of security and safety of individuals worldwide.“ (World Economic Forum, Global Risks Report 2024, Geneva 2024, S. 23). Unmittelbare Probleme unterhalb einer solchen Eskalationsstufe können sich etwa im Bereich der Lieferketten, bei der Versorgung mit Rohstoffen oder bei der Stabilität von Absatzmärkten ergeben, um nur einige Beispiele zu nennen. So weist die Deutsche Rohstoffagentur unter Hinweis auf die Länder-, Preis- und Lieferrisiken bei kritischen Rohstoffen auf Beschaffungsrisiken hin (Deutsche Rohstoffagentur, 56 DERA-Rohstoffinformationen, DERA-Rohstoffliste 2023,

Angebotskonzentration bei mineralischen Rohstoffen und Zwischenprodukten – potenzielle Preis- und Lieferrisiken, Mai 2023, S. 8). Dabei bekommen mögliche Handelskonflikte Deutschlands bzw. der Europäischen Union insgesamt mit China eine besondere Bedeutung. So kommt die Europäische Kommission in einer Analyse über die Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe zu dem Ergebnis, dass „China is the largest supplier of several criticalraw materials“. (European Commission, Study on the Critical Raw Materials for the EU 2023, Luxembourg 2023, S. 7)

Unter geopolitischen Risiken kommen Cyberattacken zwecks Wirtschaftsspionage oder politischer Einflussnahme durch staatliche oder staatlich unterstützte Hackertruppen hinzu. Im Unterschied zu privaten Cyberattacken, bei denen finanzielle Entschädigungszahlungen im Vordergrund stehen, sind (halb)staatliche Hacker vor allem auf Datendiebstahl oder Sabotage aus. Dies gilt etwa für Unternehmen der kritischen Infrastruktur oder der geopolitischen Relevanz. Das Thema Cybersicherheit ist daher auch unter den wesentlichen Risiken, die das World Economic Forum in seinem Global Risks Report 2024 aufführt. Auch Reputationsschäden beim Bekanntwerden von erfolgreichem Eindringen in die IT-Infrastruktur von Unternehmen sind zu beachten.  

Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer veränderten geopolitischen Lage sind mit dem Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine deutlich geworden. Drastisch gestiegene Preise für Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel waren etwa die unmittelbaren Folgen. Dabei traf der durch die Energieverknappung ausgelöste Angebotsschock auf ein bereits sich zuvor verschlechterndes Preisklima. So sahen sich die Menschen im Euroraum und speziell auch in Deutschland ungewohnten Preissteigerungen gegenüber. Inflationsraten von rund 10 % kannte man nur aus den 70er Jahren. Auch auf den Finanzmärkten waren die Auswirkungen spürbar. Aufgrund der deutlich anziehenden Inflation kam es infolge einer Straffung der Geldpolitik (etwa durch eine kräftige Anhebung der Leitzinsen) wichtiger Notenbanken, auch der Europäischen Zentralbank, zu merklichen Kurskorrekturen. Abschreibungen auf Wertpapierportfolios mussten vorgenommen werden. Die Notierungen an den internationalen Aktienmärkten gerieten merklich unter Druck, Kursrückgänge auf breiter Front durch anziehende Zinsen waren die Folge. Risikoaufschläge gab es auch bei Unternehmensanleihen. Finanzstabilitätsrisiken durch eine Veränderung der geopolitischen Rahmenbedingungen sind also über verschiedene Transmissionskanäle sichtbar.

Für Unternehmen bedeutet dies eine stärkere Gewichtung des geopolitischen Risikos in ihrem internen Risikomanagement. Vorschläge zur adäquaten Berücksichtigung geopolitischer Risiken häufen sich. So haben Paulus/Eitel (PWC) geopolitische Einflussfaktoren und deren Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln untersucht (Renaissance der Geopolitik, Februar 2023). Auf einzelwirtschaftlicher Basis ist ihrer Analyse zufolge eine Anpassung des geschäftspolitischen Handelns und des Risikomanagements in sechs Dimensionen erforderlich: Sanktionen/Regulatorik, Investitionen/Finanzen (inkl. Korruptionsrisiken politischer Entscheidungen), Wertschöpfungsketten (etwa unter Berücksichtigung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes oder des EU-Lieferkettengesetz), Reputation, Cybersicherheit, Corporate Security. Diese Dimensionen seien nicht isoliert zu betrachten, sondern zeichnen sich durch wechselseitige Beziehungen aus. Schlussendlich müssen aus einer daraus folgenden, gegebenenfalls angepassten Geschäfts- und Risikostrategie Modifikationen der strategischen Unternehmensführung folgen.

Dabei sind die regulatorischen Anforderungen an die Kreditinstitute in dieser Hinsicht keine neuen. Schließlich hat die Bankenaufsicht auf nationaler und internationaler Ebene in ihren Anforderungskatalogen an die Institute zum Beispiel auch die Berücksichtigung von Länderrisiken im Rahmen von Adressenausfallrisiken abgestellt. Konzentrationen nach Kreditnehmern, Produkten oder Branchen für den Aspekt von geopolitischen Risiken aus Kreditgeschäften oder bei Wertpapieranlagen sind hier besonders relevant. Marktpreis- und Liquiditätsrisiken könnten ebenfalls bedeutsam werden. Ähnlich wie bei Adressenausfallrisiken können auch Reaktionen der Ratingagenturen auf Wertverluste von Aktien und/oder Staats- bzw. Unternehmensanleihen von Problemländern oder deren Unternehmen erfolgen (Marktpreisrisiken). Sanktionierte Vermögenswerte aus solchen Staaten können zu Liquiditätsproblemen führen. Hinzu kommen operationelle Risiken, die etwa durch Engagements in Problemstaaten entstehen und die unter der permanenten Gefahr einer verschärften nationalen und/oder internationalen Sanktionspolitik in Folge einer veränderten geopolitischen Einschätzung stehen. Und Sanktionspolitik und deren Folgen sind auch immer schon Teil bankaufsichtlicher Beobachtung gewesen, wie sich etwa in Bezug auf die verschiedenen Iran-Sanktionen der USA und deren Auswirkungen auf das Geschäftsmodell einiger deutscher Banken gezeigt hat. Die jüngst bekannt gewordenen Steuerzahlungen großer Banken an den russischen Staat dürften der Reputation dieser Banken sicherlich nicht zuträglich sein. Auch Cyberrisiken sind als wesentliches Risiko seitens der Bankenaufsicht unter Beobachtung und werden auch im Rahmen bankaufsichtlicher Prüfungen berücksichtigt. Damit sind sämtliche wesentliche Risiken angesprochen, die sich etwa aus den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) für die Unternehmen des Bankensektors ergeben.

Der Risikotreiber Geopolitik wird damit auch aus regulatorischer Sicht in Zukunft eine größere Bedeutung für das Risikomanagement von Banken erlangen. So hat die Europäische Zentralbank für die von ihr beaufsichtigten Institute in ihren Aufsichtsprioritäten für den Zeitraum 20242026 die Widerstandsfähigkeit gegen geopolitische Schocks zur Priorität 1 erklärt. Und auch die nationale Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsaufsicht bzw. der Deutschen Bundesbank wird für diesen Zeitraum einen Schwerpunkt im Bereich der geopolitischen Spannungen und dessen Auswirkungen auf das Kreditrisiko setzen.

 

PRAXISTIPPS

  • Überprüfung des eigenen Geschäftsmodells hinsichtlich der möglichen Betroffenheit von geopolitischen Risiken. Auch die Beobachtung von vorhandenen Political Risk Maps kann hier helfen.
  • Evaluierung des bestehenden Risikomanagementprozesses in Bezug auf geopolitische Risiken in Markt und Marktfolge. Gegebenenfalls interne Stresstests bei Vorliegen absehbarer geopolitischer Spannungen mit Problemstaaten.
  • Kritische Prüfung zur Anfälligkeit gegenüber Cyberrisiken und anderer geopolitischer Risikotreiber. Fortlaufende Beobachtung von Finanzstabilitätsrisiken, die sich aus einer veränderten geopolitischen Weltlage ergeben können.

 


Beitragsnummer: 22608

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