Dienstag, 14. Mai 2024

Wirksamkeit der deutschen 3-jährigen Verjährungsfrist

Nichtübertragbarkeit der Dreijahreslösung

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

In seinem Muster-Feststellungsurteil vom 27.03.2024, 26 MK 1/21, hatte das Kammergericht Berlin über mehrere vom Bundesverband der Verbraucherzentralen aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit der Rückforderung von im Wege der Zustimmungsfiktionsklausel vereinbarten oder erhöhten Entgelte zu entscheiden, die in der hiesigen Anmerkung nicht alle vollständig besprochen werden können. Insofern wird nur auf einzelne Aspekte der Entscheidung eingegangen.

 

So führt das KG Berlin u.a. aus, dass es zwischenzeitlich allgemeiner Ansicht entspricht, dass dem Bankkunden wegen der auf die Zustimmungsfiktion gestützten Entgelterhöhungen – und/oder Entgelteinführungen Ansprüche gegen die Bank aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 BGB zustehen, die auf Herausgabe desjenigen Anteils der vereinnahmten Entgelte gerichtet sind, der auf eine unwirksame Entgeltanpassung/-einführung zurückzuführen ist. Einem solchen Entgeltrückforderungsanspruch stehe nach Auffassung des KG Berlin auch nicht entgegen, dass die Bankkunden gemäß Ziffer 7 Abs. 3 Satz 2 AGB Sparkassen durch die widerspruchslose Hinnahme der quartalsweisen Rechnungsabschlüsse, in denen die Entgeltposten eingestellt sind, diese Rechnungsabschlüsse regelmäßig genehmigt haben. Das in der Genehmigung liegende abstrakte Schuldanerkenntnis könne wiederum selbst gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 2 BGB kondiziert werden, weil keine Verpflichtung zur Abgabe eines unrichtigen Anerkenntnisses bestünde und ein zutreffendes Anerkenntnis mithin ohne Rechtsgrund abgegeben worden ist. Insofern bewirke das Anerkenntnis primär nur eine Umkehr der Beweislast. Sei der anerkannte Saldo somit zu niedrig festgestellt, könne das eigene Saldoanerkenntnis kondiziert und mit einer Zahlungsklage verbunden werden. In der Zahlungsklage würde wiederum, so das KG Berlin, zugleich die Geltendmachung des Kondiktionsanspruchs liegen. Statt der Rückbuchung, welcher lediglich rechtsbestätigende deklaratorische Bedeutung zukommen würde, könne der Kunde gemäß § 667 BGB grundsätzlich auch sogleich Auszahlung des rückzubuchenden Betrages verlangen, sofern ihm ein solcher Zahlungsanspruch ohne die rechtsgrundlose Abbuchung zugestanden hätte.

 

Was die Frage anbelangt, ob ein schlüssiges Verhalten des Bankkunden als konkludente Willenserklärung und damit als Zustimmung für die Einführung oder Erhöhung von Entgelten oder Gebühren verstanden werden könne, so führt das KG Berlin aus, dass aus der allein maßgeblichen objektiven Sicht der Bankkunden die schlichte Weiternutzung ihres Girokontos im bisherigen Umfang nicht als Annahme des Änderungsangebotes der Bank gedeutet werden könne. Dies deshalb, weil die Bankkunden mit der Weiternutzung ihres Kontos zum einen bloß ihre vertraglichen Rechte in Anspruch nehmen würden. Zum anderen dürfe/könne das Kreditinstitut dem Verhalten ihrer Kunden insoweit keinerlei Erklärungswert beimessen; dies deshalb, weil beide Seiten davon ausgingen, dass aufgrund der vermeintlich wirksamen Zustimmungsfiktionsklausel die Zustimmung zur Vertragsänderung fingiert wird und ein weiteres rechtsgeschäftliches Handeln der Verbraucher gerade nicht erforderlich ist.

 

Was wiederum die vom VIII. Zivilsenat bei der Feststellung der Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in Energielieferungsverträgen vielfach herangezogene sog. Dreijahreslösung anbelangt, wonach der Verbraucher die Unwirksamkeit derjenigen Entgelterhöhungen, die das bei Vertragsschluss ursprünglich vereinbarte Entgelt übersteigen, nicht mehr geltend machen kann, wenn er diese nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Zugang des Rechnungsabschlusses, indem das geänderte Gebührenmodell erstmals zur Anwendung kam, beanstandet hat, so lehnt das KG Berlin die Übertragung dieser Rechtsprechung auf das Bankrecht ab.

 

In diesem Zusammenhang verweist das KG Berlin zunächst darauf, dass bereits der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Anwendbarkeit dieser Dreijahreslösung auf unwirksame Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung mangels Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen abgelehnt habe, weil es bei diesen Verträgen nicht darum gehe, die Gesamtnichtigkeit eines Vertrages im Interesse beider Vertragsbestandteile zu vermeiden (so BGH, Urteil vom 19.12.2018, IV ZR 255/17, Rn. 23).

 

Sodann verweist das KG Berlin darauf, dass, anders als bei der Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in Energielieferungsverträgen, allein aus der Existenz der Fiktionsänderungsklausel nicht der Schluss gezogen werden könne, dass die Kostensteigerungen in jedem Fall ohne Weiteres von den Bankkunden zu tragen seien. Während nämlich die zu beurteilende Preisanpassungsklausel in den Energielieferungsverträgen unmittelbar den Preis selbst betraf und damit deutlich machte, dass dieser volatil sei, fingiere die vorliegende Klausel die Zustimmung zu einer unter Umständen schrankenlosen Änderung der Hauptleistung und des gesamten Vertragsverhältnisses. Hier liege es daher für den Bankkunden nicht ohne Weiteres auf der Hand, dass der vereinbarte Preis volatil sei. Auch liege keine vergleichbare Interessenlage vor. Wenngleich der Bundesgerichtshof zu Recht betont habe, dass gerade bei langfristigen Austauschverhältnissen ein anerkennenswertes Bedürfnis bestehe, das bei Vertragsabschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten, könne der dargestellten Rechtsprechung kein allgemeiner Grundsatz entnommen werden, dass vermeintliche Äquivalezstörungen, die nachträglich dadurch entstehen, dass sich Allgemeine Geschäftsbedingungen als unwirksam erweisen, stets oder im Regelfall im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu vermeiden seien. Vielmehr trage das Risiko derartiger Störungen grundsätzlich der Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, der das Risiko mit seiner Vertragsgestaltung geschaffen und übernommen habe.

 

Was schließlich die dreijährige Verjährungsregelung im deutschen Recht anbelangt, so führt das Kammergericht Berlin aus, dass dieser deutschen dreijährigen Grundsatzverjährung auch nicht das vom EuGH in mehreren Entscheidungen (vgl. zuletzt EuGH, Urteil vom 25.01.2024, C-810/21 sowie C-813/21, WM 2024, 343) angesprochene europäische Effektivitätsgebot entgegenstünde. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGHs sei zwar eine Verjährungsfrist mit dem Effektivitätsgrundsatz erst dann vereinbar, wenn der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von seinen Rechten Kenntnis zu nehmen, bevor die Frist zu laufen beginnt oder abgelaufen ist. Entgegen der Ansicht des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen sowie eines Teils der Literatur sei diese Möglichkeit zur Kenntnisnahme offenkundig im Sinne eines Acte-Clair nicht gleichzusetzen mit der Kenntnis von der Unwirksamkeit der Klausel (so auch Herresthal, ZHR 86 (2022), 373, 405 f.). Selbst wenn man dies anders sehen wollte, so das KG Berlin, käme eine dahingehende richtlinienkonforme Auslegung aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht in Betracht. Eine richtlinienkonforme Auslegung käme nämlich nur dann in Betracht, wenn die betroffene Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulasse, was dem gesetzgeberischen Zweck- sowie dessen Zielsetzung entspricht. Damit finde die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege ihre Grenze an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten (vgl. hierzu auch BGH, Urteil v. 27.02.2024, XI ZR 258/22, WM 2024, 736, 739, Rn. 23).

 

Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB komme es aber für den Beginn der regelmäßigen Verjährung grundsätzlich nur darauf an, dass der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Dabei beziehe sich die Kenntnis oder das Kennenmüssen grundsätzlich allein auf die tatsächlichen Umstände, mithin auf den Lebenssachverhalt, der die Grundlage des Anspruchs bildet, wohingegen das Risiko der fehlerhaften rechtlichen Bewertung des Sachverhalts grundsätzlich der Anspruchsinhaber trage. Nur ganz ausnahmsweise könne die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn wegen Unzumutbarkeit der Klageerhebung hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliege und der Klageerhebung eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegenstünde.

 

Gegen eine richtlinienkonforme Auslegung würde nach Auffassung des KG Berlin auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 199 BGB sprechen. Denn hieraus ergebe sich eindeutig, dass der Gesetzgeber als Regelfall keine Rechtskenntnis voraussetzen, sondern allein an die Kenntnis grob fahrlässiger Unkenntnis der tatsächlichen Umstände anknüpfen wollte. Zudem habe der Gesetzgeber ausdrücklich auch an den Modellentwurf der Principles of European contract law angeknüpft, der eine Hemmung der dreijährigen Verjährung vorschlug, solange der Gläubiger die Person des Schuldners oder die Umstände, auf denen sein Anspruch beruht, nicht kennt und vernünftigerweise nicht kennen kann. Schließlich würde die von der Verbraucherzentrale befürwortete Auslegung jedenfalls für die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung aufgrund unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen eine Bereichsausnahme schaffen, in der das dargestellte Regel-Ausnahme-Verhältnis von Tatsachen- und Rechtskenntnis auf den Kopf gestellt würde und der gesetzgeberischen Zielsetzung einer einheitlichen Regelung des Verjährungsrechts zuwider liefe, womit die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten wären.

 

In diesem Zusammenhang führt das KG Berlin noch aus, dass die dreijährige regelmäßige Verjährungsfrist auch nicht wegen Unzumutbarkeit der Klageerhebung bis zum sogenannten Postbank-Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2021 hinausgeschoben werden könne. Dies deshalb, weil eine Klageerhebung vor diesem Postbank-Urteil nicht wegen einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung unzumutbar war. Der Bundesgerichtshof habe vielmehr in dieser Entscheidung selbst darauf hingewiesen, dass sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine ausdrückliche Billigung von entsprechenden Klauseln nicht entnehmen lässt und er weder bei Erlass seines Urteils vom 20.07.2010, XI ZR 236/07, noch bei Erlass seines Urteils vom 14.05.2019, XI ZR 345/18, zur Wirksamkeit von Zustimmungsfiktionsklauseln Stellung genommen habe.

 

Auch eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage habe, so das KG Berlin, nicht bestanden, so dass eine Klageerhebung auch aus diesem Grunde nicht unzumutbar war. Es gab nämlich zu der Frage der Wirksamkeit von Zustimmungsfiktionsklauseln in den AGB der Banken und Sparkassen keinen ernsthaften Meinungsstreit in der Rechtsprechung und der Literatur. Vielmehr gingen die Instanzgerichte und Meinungen im Schrifttum weit überwiegend von der Wirksamkeit derartiger Klauseln aus. Gegenteilige Äußerungen blieben vereinzelt, was die Unzumutbarkeit der Klageerhebung nicht zu begründen vermag.

 

 

PRAXISTIPP

Es ist zu bedauern, dass sich das KG Berlin mit der Frage, ob die sogenannte energiewirtschaftliche Dreijahreslösung auch auf das Bankrecht übertragen werden kann, nicht mit der Vielzahl der anderweitig vertretenen Literatur- und Rechtsprechungsmeinungen auseinandergesetzt hat (vgl. hierzu zuletzt Edelmann, BTS, Ausgabe April 2023, S. 21 m. w. N.). Auf der anderen Seite dürfte das Ergebnis schon allein vor dem Hintergrund vertretbar sein, dass jedenfalls der XI. Bankensenat des Bundesgerichtshofs bisher in keiner seiner Entgeltrückforderungsentscheidungen zur zeitlichen Begrenzung des Rückzahlungsanspruchs auf die energiewirtschaftliche Dreijahreslösung abgestellt hat. Insofern bleibt mit Spannung abzuwarten, wie sich der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs als Bankensenat zu der energiewirtschaftlichen Dreijahreslösung positionieren wird.

 

Sehr erfreulich ist wiederum, dass das KG Berlin mit deutlichen Worten der vollständigen Aushebelung der Deutschen Verjährungsvorschriften durch Entscheidungen des EuGHs eine deutliche Absage erteilt hat (vgl. zu dieser Thematik ausführlich auch Edelmann, BTS, Ausgabe Februar 2024, S. 2 ff. m. w. N.). Auch hier bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die Instanzrechtsprechung und vor allem der Bundesgerichtshof positionieren wird. Diesbezüglich wäre es allerdings sehr verwunderlich, wenn der Bundesgerichtshof aufgrund der bisher ergangenen EuGH-Entscheidungen sowie den darin aufgeführten Argumenten die dreijährige deutsche Grundsatzverjährung ebenso aushebeln würde wie die zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährung.


Beitragsnummer: 22613

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