Montag, 22. Mai 2023

Negativzinsen bei Schuldscheindarlehen

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

Am 09.05.2023, XI ZR. 544/21, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Negativzinsen im Rahmen eines Schuldscheindarlehens nicht anfallen können.

Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof zunächst aus, dass nach der Zinsdefinition im Rechtssinne ein Zins, weil ein Entgelt, nicht negativ werden könne. Dies habe im normativen Zusammenhang von § 488 Abs. 1 BGB zur Folge, dass dem Zins eine definitorische Untergrenze bei 0 % immanent sei, bei deren Erreichen die Pflicht des Darlehensnehmers zur Zinszahlung entfällt.

In diesem Zusammenhang führt der Bundesgerichtshof noch aus, dass aus der Ausstellung von Schuldscheinen nicht geschlossen werden könne, dass die Parteien ein vom gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB abweichendes Pflichtenprogramm vereinbaren wollten. Der äußeren Form der Vertragsgestaltung könne nämlich keine größere Bedeutung beigemessen werden als ihr nach dem Vertragsinhalt zukommt.

Schließlich führt der Bundesgerichtshof aus, dass sich etwas anderes auch nicht aus dem Umstand ergebe, dass die Zinsklauseln im Unterschied zu der Zinsobergrenze keine ausdrückliche Zinsuntergrenze enthalten. Die unterbliebene ausdrückliche Vereinbarung einer Zinsuntergrenze beruhe nämlich darauf, dass die Parteien bei Vertragsabschluss entweder davon ausgegangen sind, dass der variable Zins nach der von ihnen vereinbarten Zinsformel aufgrund der zu erwartenden Marktentwicklung nicht negativ werden könne, oder dass sie aufgrund des Leitbilds und der vertragstypischen Pflichten eines Darlehensvertrages angenommen haben, dass ohnehin nur den Darlehensnehmer, nicht aber den Darlehensgeber, eine Zinszahlungspflicht treffen könne.

Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus dem Äquivalenzprinzip. Denn dieses könne im Rahmen der Vertragsauslegung nicht dazu herangezogen werden, die Wertigkeit von Leistung und Gegenleistung neu zu bestimmen. Es sei deshalb ohne Belang, ob die Bank bei Absinken des Referenzzinssatzes einschließlich des Zinsaufschlags unter null ihre Gewinn- oder Refinanzierungsmarge ausweiten könnte, je weiter sich der Referenzzinssatz in den negativen Bereich entwickelt.

 

PRAXISTIPP

Auch wenn der Bundesgerichtshof nunmehr entschieden hat, dass Negativzinsen bei sogenannten Schuldscheindarlehen nicht anfallen können, bedeutet dies nicht zugleich auch, dass ein Verwahrentgelt bei Girokonten nicht eingenommen werden kann. Dies deshalb, weil die Beantwortung letzterer Frage sich nach anderen rechtlichen Grundsätzen orientiert als die Beantwortung der Frage des Anfalls von Negativzinsen bei „alten" Schuldscheindarlehen (vgl. hierzu vorstehende Ausführungen zum Verwahrentgelt).


Beitragsnummer: 22146

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