Donnerstag, 14. September 2023

Insiderstraftaten in der Strafrechtspraxis

Dr. Hans Richter, OStA a. D., ehem. Hauptabteilungsleiter der Schwerpunktabteilungen für Wirtschaftsstraftaten der Staatsanwaltschaft Stuttgart

Ich hatte Ihnen, liebe Leserinnen und Leser des BP, in meiner Kolumne im Doppelheft 07-08/2023 rechtliche Grundlagen des „Kapitalmarktstrafrechts“ aus der Praxis der Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Wirtschaftsstrafsachen und deren „Gewinnung“ eines Anfangsverdachtes – insbesondere die enge Zusammenarbeit mit der (Frankfurter) Wertpapieraufsicht der BaFin – skizziert. Dabei habe ich auf die besonderen (beruflichen) Gefahren für Verantwortliche und Mitarbeiter von Banken und Kreditinstituten angesichts der Vernetzung mit der „Bankenaufsicht“, der BaFin in Bonn, hingewiesen. Zudem hatte ich angekündigt, Ihnen die Vorgehensweise in Fällen der „Marktmanipulation“ im nächsten Heft vorzustellen. Davon bin ich ja im Heft 09/2023 abgewichen und habe Ihnen stattdessen einen ganz aktuellen Fall des Insiderhandels vorgestellt, von dem ich – nicht nur wegen der erheblichen Schäden (= Tatgewinne) und Strafen für die Täter – mir Ihr besonderes Interesse erhofft hatte: Enthielt er doch die für solche Fälle nahezu typische Verbindung zwischen „Kapitalmarkt-Insidern“ und „Kapitalmarkt-Gewinnern“ und den nicht seltenen Fall der Preisgabe von Informationen zunächst aus freundschaftlicher Verbundenheit und sodann mit „Sogwirkung“ zum „Dauerdelikt“. Die positiven Reaktionen aus Ihrem Kreis veranlassen mich, einen „aktuellen Praxisfall“ auch in Zukunft bei hinreichendem Bankbezug „einzuschieben“. 

Um aber die neu gelegte „Kontinuität“ meiner Strafrechts-Schilderungen nicht zu unterbrechen, will ich die Marktmanipulation erneut zurückstellen und stattdessen das Insiderstrafrecht weiter vertiefen:

Vorauszuschicken ist eher sehr Allgemeines: Die meisten Strafnormen des Wirtschaftsstrafrechtes sind sogen. „Erfolgsdelikte“. Damit ist gemeint, dass dem Täter neben seiner Tathandlung, die auch in einem „Unterlassen“ liegen kann, wenn eine „Handlungspflicht“ besteht (nicht nur bei der Aufsicht über Kinder, sondern auch z. B. bei der Verantwortung in Unternehmen zur Abwendung von Schäden im Vermögen des Unternehmens oder der Gesundheit und des Lebens der Mitarbeiter). In diesen Fällen muss dem Täter dieser Erfolg (mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit, wenn diese strafbar ist) ebenso nachgewiesen werden wie bei der Vornahme der pflichtwidrigen Handlung. Das kennen sie ja schon aus verschiedenen Beispielen in meiner Kolumne. 

Das Insiderstrafrecht gehört aber zu der kleineren Gruppe der „Handlungsdelikte“. Der Strafgesetzgeber geht bei dieser davon aus, dass allein menschliche Handlungen (Tun/Unterlassen) das Zusammenleben in der Gemeinschaft oder „überindividuelle Rechtsgüter“ so stark gefährden/beeinträchtigen, dass diese schon deshalb mit dem Einsatz des Strafrechtes geschützt werden müssen. Das ist nicht nur vom deutschen, sondern auch vom europäischen Verordnungs- und Richtliniengesetzgeber für die „Insidertat“ bejaht worden. 

Über die genaue Bestimmung des hierbei zu schützenden Rechtsgutes herrscht zwar keine Einigkeit, wohl aber, dass – und dem werden gerade Sie, liebe Leserinnen und Leser sicher zustimmen – in unserem konkreten Zusammenleben die Grundlagen der Wettbewerbsordnung und damit auch deren Finanzierungsgrundlagen (wird doch diese Ordnung häufig und zutreffend auch „Kreditwirtschaft“ genannt) ein solches Rechtsgut sein können. So können Sie sich vielleicht mit der häufig verwendeten Definition „Funktionsfähigkeit der organisierten Kapitalmärkte“ anfreunden. Hierzu zählt auch die von mir im BP 09/2023 genannte „marktgerechte“ Bildung der Preise am Kapitalmarkt. Jedenfalls nach der Wertung des Gesetzgebers kann dieses Rechtsgut durch die im Gesetz genannten Handlungen konkret gefährdet werden. Um es zu wiederholen: Für den Nachweis der Straftat reicht es aus, dass diese Handlungen dem Täter (als vorsätzlich oder fahrlässig) nachgewiesen werden.  

Da beginnt allerdings das Problem des Insiderstrafrechts, dass seit spätestens 2018 auch in Deutschland ein EU-Strafrecht geworden ist. Das erstaunt, wird dem EU-Gesetzgeber doch in den EU-Verträgen von den Mitgliedsstaaten das Recht zur Setzung von (Kriminal-)Strafen gerade nicht eingeräumt. Vereinfacht gesagt: Zu der EU-(Kern-)Kompetenz gehört die Setzung unmittelbaren Rechts („Ge- und Verbote“) für alle Bürger der Mitgliedsstaaten – so etwa auch für deren Verhalten auf den Kapitalmärkten durch EU-Verordnungen. Auf dieser Grundlage wurde vom EU-Gesetzgeber 2016 die ab 2018 geltenden MAR-VO (EU) Nr. 596/2014 erlassen, wonach den Rechtsunterworfenen sowohl die Manipulation von Kapitalmarktpreisen als auch Verstöße gegen Insider-Ge-/-verbote untersagt sind.

Der EU-Gesetzgeber kann die Mitgliedstaaten im Rahmen von EU-Richtlinien zu gesetzgeberischem Handeln zwingen – notfalls durch (regelmäßig auch Staaten empfindlich treffende) Sanktionen. Von diesem Recht hat die EU mit der MAD-Richtlinie 2014/57/EU Gebrauch gemacht und den Mitgliedstaaten auferlegt, strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen die Handlungspflichten der MAR festzusetzen. 

Der deutsche Gesetzgeber hatte bereits kapitalrechtliche Regelungen mit kriminalstrafrechtlicher Sanktionierung im WpHG festgelegt, hätte diese jedoch nach der MAR anpassen müssen. Er wählte einen anderen Weg, um Divergenzen zwischen EU-Handlungspflicht und deutscher Strafbewehrung zu vermeiden: Das neue deutsche Strafrecht (§ 119 WpHG) stellt den Verstoß gegen die EU-Handlungsnorm unmittelbar unter Strafe. Für das Insiderstrafrecht gilt danach: 

§ 119 Abs. 1, Abs. 3 WpHG: Bestraft wird, wer als Täter: Ein Mensch, der über eine Insiderinformation verfügt (Art. 8 MAR) ein Insidergeschäft tätigt oder dies einem Dritten empfiehlt oder diesen anstiftet, oder wenn er eine Insiderinformation offenlegt.

Schon der Versuch solcher Handlungen ist strafbar (§ 119 Abs. 4 WpHG). Bei fahrlässigem Handeln („leichtfertig“) liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, die mit Geldbuße geahndet werden kann.

Wie in der Praxis die Insiderinformation bestimmt wird, die sowohl den Täter festlegt als auch das Insidergeschäft, die Insider-Empfehlung und die Anstiftung zur Insider-Tat determiniert, hat der im letzten BP 09/2023 vorgestellte Fall gezeigt. 

Für Ihre Hausarbeit (also mit der Auflösung im nächsten Heft) eine kleine Übung:

Eine bekannte, große AG beabsichtigt, eine kleine wenig bekannte E-AG zu „übernehmen“ und veröffentlicht am Tag X ein Übernahmeangebot. Wie zu erwarten, steigt der Kurswert der Aktien des Übernahme-Kandidaten nach diesem Tag erheblich. Wenige Tage vor dieser Veröffentlichung erwirbt U über Depots bei verschiedenen in- und ausländischen Banken für 85 T€ Call-Optionen auf E-Aktien und erlöst einen Gewinn von rd. einer Mio €.

  1. Woher könnte die StA diese Informationen haben?
  2. Begründen diese einen Anfangsverdacht und ermöglichen es dem zuständigen StA deshalb ein Verfahren einzuleiten und zu ermitteln?
  3. Benötigt die StA weitere Informationen – wo wird sie diese erlangen?
  4. Könnte Ihre Bank involviert sein – könnten Sie (in welcher Position? Wie?) betroffen sein? 
  5. Wie wird der StA ermitteln, wenn der Anfangsverdacht bejaht wird.

Im BP 11/2023 werden ich Ihnen die Tatmodalitäten an weiteren, eher im unteren Vorwurfs-Bereich angesiedelten Fällen zeigen und dabei auch die (von Art. 9 der MAR vorgesehenen) Ausnahmen, die legitimen Handlungen, erklären – solche Handlungen sind zulässig und belastungsfrei!  


Beitragsnummer: 22295

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