Mittwoch, 18. November 2020

AGB-Fiktionsänderungsmechanismus europarechtskonform

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

In seiner Entscheidung vom 11.11.2020, Az. C 287/19, BeckRS 2020, 30025, hat der Europäische Gerichtshof entgegen der Auffassung des Generalanwalts sowie entgegen der Auffassung des Obersten Gerichtshofs Österreichs klargestellt, dass die mit der im deutschen Recht für Zahlungsdiensterahmenverträge geltende und die Fiktionsänderungsmechanismusklausel enthaltende Norm des § 675g BGB vergleichbare Klausel 14 der AGB der betroffenen Deniz Bank europarechtskonform und somit zulässig ist. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass Art. 52 Nr. 6a) i. V. m. Art. 54 Abs. 1 der RL 2015/2366 zum einen keine Präzisierung oder Vorgaben hinsichtlich der Eigenschaft des Zahlungsdienstenutzers enthalten, sodass von diesen Regelungen sowohl Verbraucher als auch nicht Verbraucher betroffen sind (Rn. 48 f. u. 58, 66) und zum anderen damit, dass diese Regelungen keine Vorgaben zum Inhalt von Änderungen und somit auch keine Beschränkungen hinsichtlich der Art und dem Inhalt der abzuändernden Vertragsbedingungen enthalten mit der weiteren Folge, dass jedwede Änderung der Vertragsbedingungen mit der Zustimmungsfiktionsklausel herbeigeführt werden kann (Rn. 50, 58, 66). Maßgeblich sei insofern allein, dass es sich überhaupt um „Änderungen“ der Bedingungen des Rahmenvertrages handelt, d. h. um Anpassungen, die sich auf die Bedingungen des konkreten Rahmenvertrages nicht in einem solchen Maße auswirken, dass der Vorschlag des Dienstleisters in Wirklichkeit dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkomme (Rn. 47).

 

BUCHTIPP

Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger (Hrsg.): Kommentar zum Zahlungsverkehrsrecht 3. Aufl. 2020.

 

Auf der anderen Seite stellt der EuGH fest, dass es den nationalen Gerichten unbenommen bleibe zu prüfen, ob die betroffene Fiktionsänderungsklausel, wenn diese im Verhältnis zu einem Verbraucher verwendet würde, nicht missbräuchlich i. S. v. Art. 3 der neben der RL 2015/2366 weiterhin anwendbaren Richtlinie 93/13 sein könnte (Rn. 64-66). Diesbezüglich verweist der EuGH noch darauf, dass er in diesem Zusammenhang bereits entschieden habe, dass Standartklauseln, die eine einseitige Vertragsanpassung erlauben, den in der Richtlinie 93/13 aufgestellten Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügen müssten (Rn. 65).

 

SEMINARTIPP

(Un)Zulässige Bankentgelte, Verwahrentgelte & Zinsanpassungsklauseln, 02.11.2021, Köln.

 

Hiervon unabhängig hält der EuGH in seiner Entscheidung vom 11.11.2020 fest, dass es sich bei der Nahfeldkommunikationsfunktion (Near Field Communication) einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte, mit welcher Kleinbetragszahlungen zu Lasten des verknüpften Kundenkontos getätigt werden können, um ein Zahlungsinstrument im Sinne von Art. 4 Nr. 14 RL 2015/2366 handelt (Rn. 79) und dass es sich bei kontaktlosen Kleinbetragszahlungen unter Verwendung der Nahfeldkommunikationsfunktion um die anonymisierte Nutzung des fraglichen Zahlungsinstruments i. S. v. Art. 63 Abs. 1b RL 2015/2366 handelt (Rn. 93). Ungeachtet dessen hebt der EuGH hervor, dass eine Bank, die ein solches Zahlungsinstrument herausgibt und welche sich auf die ihr eingeräumten Haftungserleichterungen beruft, nicht einfach behaupten könne, dass das Sperren der Karte technisch unmöglich sei, obwohl dies nach dem objektiven Stand der Technik nachweislich nicht unmöglich ist (Rn. 106).

 

PRAXISTIPPS:

 

Es ist für die Bankenpraxis sehr erfreulich, dass der EuGH die von der Instanzrechtsprechung in Deutschland vertretene Rechtsauffassung bestätigt hat, wonach die Fiktionsänderungsmechanismusklausel rechtswirksam und mit den europäischen Regelungen vereinbar ist (vgl. hierzu Edelmann, WuB 2020, 451, ders. BTS 2020, 68 m.j.w.N.).

 

Nachdem wiederum ein Kreditinstitut sowohl nach § 675g BGB als auch nach den europäischen Bestimmungen Vertragsbedingungen jedweder Art durch die Fiktion der Zustimmung gem. § 675g BGB ändern kann, die Zustimmungsfiktionsänderungsmechanismusklausel zudem als transparent anzusehen ist (vgl. Edelmann, WuB 2020, 451 m.w.N.) und die Fiktionsklausel wiederum nach hiesiger Auffassung den Kreditinstituten keine einseitige missbräuchliche Vertragsanpassungsmöglichkeit i. S. v. Art. 3 der Richtlinie 93/13 ermöglicht, spricht im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vieles dafür, dass zumindest bei Zahlungsdiensterahmenverträgen jede Vertragsänderung mit der Zustimmungfiktionsänderungsklausel nach § 675g BGB entsprechend der deutschen Instanzrechtsprechung herbeigeführt werden kann. Hiervon unberührt bleibt wiederum die sog. „klassische“ AGB-Ausübungskontrolle in Bezug auf die neue Klausel (vgl. hierzu Edelmann, a.a.O.).

 


Beitragsnummer: 13982

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