Montag, 19. Oktober 2020

Gläubigerbenachteiligung und -vorsatz bei „kalter Zwangsverwaltung"

Gläubigerbenachteiligung und Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei im Vorfeld einer Insolvenz praktizierter „kalter Zwangsverwaltung“

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

Mit Urt. v. 30.04.2020; Az. IX ZR 162/16 (vgl. hierzu auch Neuhof, WuB 2020 S. 453), nutzte der Bundesgerichtshof die Gelegenheit, sich unter anderem zur Frage der objektiven Gläubigerbenachteiligung sowie des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners im Rahmen einer vorinsolvenzlichen „kalten Zwangsverwaltung“ zu äußern. Bei einer solchen treffen die Beteiligten (i. d. R. Grundpfandgläubiger, Schuldner und Verwalter) eine einvernehmliche Regelung, im Zuge derer die wirtschaftlichen Folgen einer „echten“ Zwangsverwaltung auf schuldrechtlichem Wege nachgebildet werden, ohne jedoch formal die Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück zu betreiben. Im Ergebnis kehrt der Verwalter hierbei die aus dem grundpfandrechtlich belasteten Objekt eingehenden Miet- bzw. Pachtzahlungen nach Begleichung der für die laufende Objektverwaltung entstehenden Kosten (Wohngelder, Grundsteuern, etc.) an den Grundpfandgläubiger aus mit dem Ziel, die dort gegenüber dem Schuldner bestehenden Forderungen zurückzuführen. Vorliegend nicht streitgegenständlich war demgegenüber die in der Praxis durchaus verbreitete kalte Zwangsverwaltung im Rahmen eines bereits eröffneten Insolvenzverfahrens, welche nach Auffassung des BGH grundsätzlich keinen rechtlichen Bedenken begegnet, soweit die Masse keine Nachteile erleidet (vgl. etwa grundlegend BGH, Beschl. v. 14.07.2016, Az. IX ZB 31/14).  

Mit Blick auf die vorinsolvenzliche kalte Zwangsverwaltung weist der BGH zunächst darauf hin, dass alleine die theoretische Möglichkeit, alternativ eine „echte“ gerichtliche Zwangsverwaltung herbeizuführen, die objektive Gläubigerbenachteiligung nicht entfallen lässt. Hypothetische, nur gedachte Kausalverläufe sind nach ständiger BGH-Rechtsprechung insoweit irrelevant (vgl. bereits BGH, Urt. v. 20.01.2011 – IX ZR 58/10; Urt. v. 17.07.2014 – IX ZR 240/13; Urt. v. 15.09.2016 – IX ZR 250/15; Urt. v. 15.11.2018 – IX ZR 229/17).

 

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Ein zugunsten der Beklagten bestelltes Grundpfandrecht könne die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung zudem nur ausschließen, wenn die Mietforderungen insolvenzfest beschlagnahmt gewesen seien und deshalb dem Gläubigerzugriff unterlegen haben. In diesem Zusammenhang weist der BGH ergänzend darauf hin, dass eine solche Beschlagnahme vorgerichtlich durchaus auch durch eine Pfändung aufgrund des dinglichen Anspruchs vorgenommen werden könne.

 

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Was wiederum den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz anbelangt, führt der BGH aus, dass ein solcher nach seiner Auffassung durchaus fehlen könne, wenn sich der Schuldner gegenüber einem Grundpfandgläubiger damit einverstanden erklärt, die aus dem Grundpfandrecht folgende Haftung von Mietforderungen in einer Art und Weise zu verwirklichen, die in ihren Wirkungen für das der Gläubigergesamtheit haftende Schuldnervermögen einer formellen Zwangsverwaltung entspricht. Dies allerdings unter der Prämisse, dass die Erstreckung des Grundpfandrechts auf die Mietforderungen im Einzelfall insolvenzfest ist. 

Bekanntlich kann die Kenntnis von einer bestehenden Zahlungsunfähigkeit ihre Bedeutung als Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nach ständiger Rechtsprechung verlieren, soweit gegenläufige Beweisanzeichen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, der Schuldner habe sich von einem anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen leiten lassen. Als Beispiele dienten in der Vergangenheit etwa ein ernsthafter, wenn auch letztlich fehlgeschlagener Sanierungsversuchs (vgl. BGH, Urt. v. 12.05.2016 – IX ZR 65/14 m.w.N.), ein bargeschäftsähnlicher Leistungsaustausch (BGH, Urt. v. 10.07.2014 – IX ZR 192/13) oder die Vorstellung eines Unterhaltsschuldners, dass die von ihm zu erfüllenden Unterhaltsansprüche den Ansprüchen seiner übrigen Gläubiger in der Einzel- und Gesamtvollstreckung vorgingen und weitere Gläubiger aufgrund seiner Unterhaltszahlungen daher keinen Nachteil erleiden würden (vgl. BGH, Urt. v. 12.09.2019 – IX ZR 264/18 mit Anmerkung A. Neuhof in WuB 2020 S. 43). 

Eine Ausdehnung dieser Fallgruppe auf die vorgerichtliche kalte Zwangsverwaltung scheint der BGH mithin grundsätzlich als möglich zu erachten. Da die Durchführung einer Zwangsverwaltung den Insolvenzbeschlag in den Haftungsverband fallender Miet- oder Pachtforderungen zugunsten des Grundpfandgläubigers gemäß §§ 49, 110 InsO überwinde, könne durchaus die Vorstellung des Schuldners gerechtfertigt sein, dass die mit dem Grundpfandgläubiger vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarte Verwirklichung der Haftung von Miet- oder Pachtforderungen seine übrigen Gläubiger nicht benachteilige. Allerdings bedürfe eine derartige Vorstellung des Schuldners einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage. Fehlvorstellungen des Schuldners seien in diesem Zusammenhang nicht geschützt. 

Zudem betont der BGH, dass die Durchführung der außergerichtlichen Verwaltung im Grundsatz den Anforderungen zum Schutze des Vermögens des Schuldners genügen müsse, die auch für eine formelle Zwangsverwaltung gelten. Insbesondere dürften sich für die Gläubigergesamtheit keine erheblichen wirtschaftlichen Nachteile gegenüber einer Zwangsverwaltung nach den §§ 146 ff. ZVG ergeben, etwa durch die Vereinbarung einer überhöht erscheinenden Vergütung an den Verwalter, etc. 


Beitragsnummer: 12944

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