Montag, 15. April 2019

Haftungsgrundsätze im Zahlungsdiensterecht bei CEO-Fraud

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

In ihren Entscheidungen vom 26.10.2018 (LG Düsseldorf, Az. 6 O 72/17, BKR 2019 S. 154) sowie vom 05.07.2018 (LG Karlsruhe, Az. 15 O 50/17 KfH, BKR 2019 S. 151) hatten beide Gerichte darüber zu entscheiden, ob die jeweiligen Unternehmen, welche aufgrund betrügerischen Verhaltens Dritter ihren jeweiligen Kreditinstituten per Telefax und per E-Mail als PDF-Datei Überweisungsaufträge mit „gefälschten“, jedoch „echt“ aussehenden Unterschriften übersandt hatten und welche von den jeweiligen Kreditinstituten auftragsgemäß ausgeführt worden waren, sich von ihren Kreditinstituten ihr „verloren gegangenes“ Geld über § 675u BGB zurückholen können.

Nachdem sämtliche Überweisungsaufträge den jeweiligen Kreditinstituten per Fax oder per E-Mail als PDF-Anhang zugesandt wurden, die Unterschriften auf diesen Überweisungsaufträgen wiederum gefälscht bzw. unecht waren, lagen in allen Fällen nicht autorisierte Zahlungsvorgänge i. S. v. §§ 675u, 675j BGB vor, mit der Folge, dass beide Gerichte den betroffenen Unternehmen den Anspruch nach § 675u BGB auf Rückerstattung bzw. Gutschrift der Überweisungsbeträge dem Grundsatz nach zusprachen.

Beide Gerichte prüften sodann, ob die jeweils betroffenen Unternehmen diesem Anspruch ihrer Kunden aus § 675u BGB etwaige Schadensersatzansprüche nach § 675v Abs. 3 BGB im Wege des dolo-agit-Einwandes entgegenhalten können, was beide Gerichte mit dem Argument ablehnten, Schadensersatzansprüche nach § 675v Abs. 3 BGB kämen nur bei missbräuchlicher Nutzung eines Zahlungsinstruments in Betracht, worum es sich bei schlichten Zahlungsvorgängen wie Überweisungsaufträgen nicht handeln würde (LG Karlsruhe, Rn. 9 ff.; LG Düsseldorf, Rn. 7).

SEMINARTIPP

Praxisprobleme Kontoführung & Zahlungsverkehr, 26.06.2019, Köln.



Während sodann das LG Düsseldorf das Vorliegen eines Schadensersatzanspruches nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 280 Abs. 1, 675 BGB und damit ohne Heranziehung des verschärften Verschuldensmaßstabs des § 675v Abs. 3 BGB (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) prüfte und dem dort betroffenen Kreditinstitut einen entsprechenden Schadensersatzanspruch zusprach (Rn. 12 ff.), lehnte das LG Karlsruhe die Prüfung solcher Schadensersatzansprüche bereits von vornherein mit dem Argument ab, Schadensersatzansprüche des Zahlungsdienstleisters seien in § 675v BGB abschließend geregelt, weswegen die allgemeinen Schadensersatzvorschriften daneben ausgeschlossen seien (Rn. 21 ff.).



Schließlich stellt das LG Düsseldorf fest, dass dem Anspruch des Unternehmens nach § 675u BGB auch der Haftungsausschluss des § 676c Nr. 1 BGB nicht entgegenstünde. Zum einen stelle die Fälschung eines Auftrags kein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis im Sinne dieser Vorschrift dar. Zum anderen würde es sich verbieten, über die Regelung des § 676c Nr. 1 BGB die im Zahlungsdiensterecht vorgesehene Risikoverteilung i. S. d. Zusammenspiels von §§ 675u und 675v BGB zu unterlaufen bzw. auszuhebeln.

PRAXISTIPP

Nachdem in beiden Fällen beide Unternehmen mit ihren Kreditinstituten keine Vereinbarung darüber getroffen hatten, dass und unter Einhaltung welcher Vorgaben Telefaxüberweisungen oder E-Mail-Überweisungen per PDF-Anhang erlaubt sein sollen, stellte sich in beiden Fällen nicht das in der Entscheidung des LG Heilbronn vom 20.10.2015, Az. Bm 6 O 128/15, erörterte Problem, ob die Parteien durch eine Vereinbarung i. S. v. § 675j Abs. 1 S. 3 BGB die Art und Weise der Autorisierung insofern vertraglich regeln können, dass das Fälschungsrisiko auf das Unternehmen abgewälzt werden kann, was das Landgericht Heilbronn in seinem Urt. v. 20.10.2015 bejahte (zustimmend Schnauder, juris PR-BKR 1/2016 Anm. 4; derslb. juris PR-BKR 7/2018 Anm. 4 u. Zahrte, BKR 2019 S. 126, 128).

Zutreffend haben beide Gerichte festgestellt, dass nicht autorisierte Zahlungsvorgänge i. S. v. § 675u i. V. m. 675j BGB vorgelegen haben, mit der Folge, dass beiden Unternehmen ein entsprechender Erstattungs- bzw. Gutschriftanspruch nach § 675u BGB zugesprochen wurde.

Zweifelhaft ist allerdings, ob beide Gerichte bei der Prüfung des Vorliegens von Schadensersatzansprüchen i. S. v. § 675v Abs. 3 BGB zu Recht das Vorliegen eines Zahlungsinstruments i. S. v. § 675v BGB abgelehnt haben. Denn unter Berücksichtigung der vom Landgericht Karlsruhe erwähnten Entscheidung des EuGH vom 09.04.2014, Az. C-616/11 (WM 2015 S. 1.813), hätten beide Gerichte ebenso wie das Landgericht Heilbronn in seinem Urt. v. 20.10.2015, Az. Bm 6 O 128/15, das Vorliegen eines Zahlungsinstruments i. S. v. § 675v BGB bejahen können (so auch Zahrte, BKR 2019 S. 126, 130).

Selbst wenn man jedoch mit dem Landgericht Düsseldorf sowie dem Landgericht Karlsruhe das Vorliegen eines Zahlungsinstruments bei Überweisungsträgern ablehnt und damit eine tatbestandliche Voraussetzung des § 675v BGB, dann geht es nach hiesiger Auffassung nicht an, entsprechend dem LG Karlsruhe die Anwendbarkeit der allgemeinen Schadensersatzregelungen der §§ 280, 675 BGB mit dem Argument abzulehnen, eine tatbestandlich nicht eingreifende Norm des § 675v BGB stelle, obwohl diese nicht eingreift, eine spezialgesetzliche Regelung dar und schließe die Anwendung der allgemeinen Schadensersatzregelung des § 280 BGB aus. Vielmehr ist es allein überzeugend, mit dem Landgericht Düsseldorf bei Ablehnung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 675v BGB die allgemeinen Schadensersatzvorschriften i. S. v. §§ 675, 280 BGB anzuwenden.

Bei Heranziehung der allgemeinen Schadensersatzregelungen nach §§ 675, 280 BGB erscheint es jedoch problematisch, entsprechend der Vorgehensweise des Landgerichts Düsseldorf (vgl. dort Rn. 14), den üblichen „Fahrlässigkeitsmaßstab“ der „einfachen“ Fahrlässigkeit bei der Prüfung der Schadensersatzansprüche heranzuziehen und nicht den im Zahlungsdiensterecht in § 675v Abs. 3 BGB verschärften Maßstab der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung. Entsprechend den Ausführungen des Landgerichts Karlsruhe in Rn. 24 seines Urteils würde dies nämlich zu einem Wertungswiderspruch im Zahlungsdiensterecht führen. Denn bei Bejahung eines Zahlungsinstruments i. S. v. § 675v Abs. 3 BGB würde die Haftung des Zahlers eines gefälschten Zahlungsinstruments gegenüber seinem Zahlungsdienstleister nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz entstehen, während bei Verwendung schlichter Zahlungsmittel wie den Überweisungsaufträgen nur einfache Fahrlässigkeit ausreichen würde, um die Haftung des Zahlers zu begründen. Zu favorisieren ist daher die Lösung, bei Nichteingreifen des § 675v BGB mangels Erfüllung dessen Tatbestandsvoraussetzungen auf die allgemeinen Schadensersatzvorschriften zurückzugreifen, wobei man dann den Zahler auch nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 675, 280 BGB Zahlungsdienstenutzer nur bei Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit i. S. v. § 675v Abs. 3 BGB haftbar machen sollte (ähnlich Zahrte, BKR 2019 S. 126, 131, welcher im Hinblick auf das Vollharmonisierungsgebot ebenfalls Bedenken gegen das Abstellen auf den allgemeinen Fahrlässigkeitsmaßstab hat).

Abschließend wird für den Fall, dass man, anders als das Landgericht Düsseldorf sowie das Landgericht Karlsruhe, in den üblichen Überweisungsaufträgen ein Zahlungsinstrument i. S. v. § 675v BGB sehen wollte, auf das weitere auch von Zahrte (BKR 2019 S. 126, 130) angesprochene Problem hingewiesen, dass dann im Hinblick auf § 675v Abs. 4 Nr. 1 BGB eine Haftung des Zahlers gegenüber seinem Zahlungsdienstleister selbst bei vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Pflichtverletzung nicht mehr in Betracht käme, weil die Erteilung eines Überweisungsauftrages in jedweder Form keine starke Kundenauthentifizierung i. S. v. § 675v Abs. 4 Nr. 1 BGB darstellt, mit der weiteren Folge, dass der Zahler nicht mehr haften würde, was entgegen Zahrte mehr als bedenklich erscheint und nach hiesiger Auffassung gegen Sinn und Zweck des § 675v Abs. 3 BGB verstoßen würde. Hier wäre daher darüber nachzudenken, ob man § 675v Abs. 4 BGB nicht dahingehend teleologisch reduziert, als dieser auf schlichte Überweisungsaufträge keine Anwendung findet, was auch mit dem Sinn und Zweck des § 675 Abs. 4 Nr. 1 BGB vereinbar wäre.

Insgesamt machen vorstehende Ausführungen deutlich, dass im Zahlungsdiensterecht noch vieles unklar ist und durch die Rechtsprechung entschieden werden muss, was auch die kürzlich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2019 (Az. Rs C-245/18, ZIP 2019 S. 654) gezeigt hat, in welcher der Europäische Gerichtshof entsprechend der deutschen Normen der § 675r Abs. 1 BGB i. V. m. § 675y Abs. 5 BGB festgehalten hat, dass dann, wenn ein Zahlungsauftrag in Übereinstimmung mit der vom Zahlungsdienstenutzer angegebenen Kundenidentifikationsnummer (z. B. IBAN) ausgeführt wird, von einem autorisierten Zahlungsauftrag auszugehen ist, mit der weiteren Folge, dass in einem solchen Fall weder eine Haftung des Zahlungsdienstleisters des Zahlers noch eine Haftung des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers in Betracht kommt.



Beitragsnummer: 1344

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