Mittwoch, 19. Mai 2021

BGH-Donnerschlag zur Unwirksamkeit sämtlicher Fiktionsänderungsklauseln

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

(1) Der EuGH hatte zwar in seiner sogenannten DenizBank-Entscheidung vom 11.11.2020 (vgl. hierzu Edelmann, BTS 2020, 138 f.) entschieden, dass die mit der im deutschen Recht für Zahlungsdiensterahmenverträge geltende und die Fiktionsänderungsmechanismusklausel enthaltende Norm des § 675 g BGB vergleichbare Fiktionsänderungsklausel der DenizBank europarechtskonform und somit zulässig sei. Allerdings hatte der EuGH in dieser Entscheidung auch hervorgehoben, dass dies nur Änderungen der Bedingungen des Rahmenvertrages erfasst, die sich auf die Bedingungen dieses Rahmenvertrags nicht in einem solchen Maße auswirken, dass der Vorschlag des Dienstleisters in Wirklichkeit dem Abschluss eines neuen Vertrages gleichkommt (Rn. 47). Ob eine solche Änderung vorliege, müsse wiederum grundsätzlich das nationale Gericht feststellen (Rn. 47). Zudem wies der EuGH in seiner Entscheidung vom 11.11.2020 darauf hin, dass es dann, wenn es sich bei dem Zahlungsdienstenutzer um einen Verbraucher handelt, einem nationalen Gericht unbenommen bleibt zu prüfen, ob die nach der Zahlungsdiensterichtlinie 2015/2366 zulässige AGB-Klausel im Lichte der Bestimmungen der Verbraucherrechterichtlinie 93/13 nicht doch missbräuchlich ist (Rn. 62 ff., Rn. 66). 

 

(2) Auf diese Ausführungen des EuGH gestützt hält der BGH ausweislich seiner Pressemitteilung in seinem Urteil vom 27.04.2021, Az. XI. ZR 26/20 fest, dass die den Fiktionsänderungsmechanismus enthaltenden Nr. 1 Abs. 2 (Änderungen dieser Geschäftsbedingungen unter Sonderbedingungen für einzelne Geschäftsbeziehungen) sowie Nr. 12 Abs. 5 (Änderungen von Entgelten bei typischerweise dauerhaft in Anspruch genommenen Leistungen) der AGB-Banken sowie den diesen Normen entsprechenden AGB-Sparkassen (Nr. 2 Abs. 1 – 3 und Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen) entsprechend vorstehend zitierter EuGH-Entscheidung bei Verbrauchern vollumfänglich der AGB-Kontrolle nach dem deutschen Recht unterliegen, selbst wenn diese Klauseln Zahlungsdiensterahmenverträge erfassen. Dies deshalb, weil nach vorstehender EuGH-Entscheidung die Norm § 675 g Abs. 2 BGB die Anwendung der deutschen AGB-Regelungen der §§ 307 ff. BGB nicht zu sperren vermag. Insofern müsse sich bei Verbrauchern jede nach § 675 g BGB wirksam vorgenommene Änderungen auch an den AGB-rechtlichen Regelungen der §§ 307 ff. BGB messen lassen.

 

(a) Was die die Änderungen von AGB herbeiführenden Fiktionsänderungsklauseln betreffenden Normen Nr. 1 Abs. 2 der AGB-Banken sowie Nr. 2 Abs. 1 bis 3 AGB-Sparkassen anbelangt, so hält der Bundesgerichtshof zunächst fest, dass mit diesen Klauseln nicht nur Anpassungen/Änderungen von einzelnen Details der vertraglichen Beziehungen der Parteien mittels einer fingierten Zustimmung des Kunden herbeigeführt werden können, sondern ohne inhaltliche oder gegenständliche Beschränkung jede vertragliche Änderung. Dies sei jedoch mit den wesentlichen Grundgedanken der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB unvereinbar und würde die Kunden der Kreditinstitute unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 Nr. 1 BGB benachteiligen. Dies deshalb, weil diese Fiktionsänderungsklauseln den Kreditinstituten eine Handhabe bieten würden, unter Zuhilfenahme einer Zustimmungsfiktion das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten. Für so weitreichende, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffende Änderungen, die dem Abschluss eines neuen Vertrages gleichkommen, sei aber der Abschluss eines den Erfordernissen der §§ 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig.

 

SEMINARTIPPS

21. FCH-Bankrechts-Tage, 11.–12.10.2021, Frankfurt/M.

(Un)Zulässige Bankentgelte, 02.11.2021, Zoom.

(Un)Zulässige Verwahrentgelte & Zinsanpassungsklauseln, 02.11.2021, Zoom.

 

Die Tatsache, dass die vereinbarten Änderungen ihrerseits wiederum der AGB-rechtlichen Ausübungskontrolle unterliegen, genüge nicht, um diese unangemessene Benachteiligung zu beseitigen.

 

(b) Was wiederum die „Entgelt“-Fiktionsänderungsklauseln nach Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken sowie Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen anbelangt, so hält der Bundesgerichtshof auch hier fest, dass mittels dieser Zustimmungsfiktionsklausel die vom Kunden geschuldete Hauptleistung geändert werden könne, ohne dass dafür Einschränkungen vorgesehen sind. Damit würden die Kreditinstitute aber eine Handhabe erhalten, das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und damit die Position ihres Vertragspartners zu entwerten. Für derart weitreichende, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffende Änderungen sei auch hier der Abschluss eines den Erfordernissen der §§ 305 Abs. 2, 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügenden Änderungsvertrags notwendig.

 

PRAXISTIPPS

 

(1) Nachdem sowohl nach Auffassung des EuGH in seiner vorstehend zitierten DenizBank-Entscheidung vom 11.11.2020 als auch nach Auffassung des BGH in vorstehendem Urteil eine Missbrauchs- bzw. AGB-Kontrolle neben § 675 g BGB (bisher) nur dann möglich sein soll, wenn es sich beim Zahlungsdienstenutzer um einen Verbraucher handelt, der BGH zudem ausweislich seiner Pressemitteilung bei der Feststellung des Abweichens der betroffenen Fiktionsänderungsklauseln vom wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen im Sinne von § 307 Abs. 3 BGB in erster Linie auf die auf Unternehmen nicht anwendbare Norm des § 305 Abs. 2 BGB abstellt und für die Einbeziehung und Änderung von AGB zwischen Unternehmen wiederum andere Grundsätze gelten wie bei Verbrauchern (vgl. hierzu Grüneberg, in Palandt, BGB-Kommentar, 80. Aufl. 2021, § 305 Rn. 59 ff.), spricht – vorbehaltlich anderweitiger Hinweise in den noch zu verkündenden Entscheidungsgründen – vieles dafür, dass die vom BGH in seiner Entscheidung vom 27.04.2021 aufgestellten Grundsätze nur Verbraucher und nicht ohne weiteres auch Unternehmen betreffen.

 

(2) Nachdem jedoch alle aktuell betroffenen Fiktionsänderungsklauseln ohne Unterschied sowohl Verbraucher als auch Unternehmen betreffen, eine geltungserhaltende Reduktion der betroffenen Klauseln z. B. im Wege des blue-pencil-Test (vgl. hierzu Grüneberg, a.a.O., § 306 Rn. 6 f.) wiederum nicht möglich sein dürfte, ist davon auszugehen, dass sich die Kreditinstitute in Folge der BGH-Entscheidung vom 27.04.2021 ab sofort und bis zu einer entsprechenden Änderung der betroffenen Klauseln weder gegenüber Verbrauchern noch gegenüber Unternehmen auf die vom BGH-Urteil erfassten Klauseln berufen und diese Klauseln ab sofort auch nicht mehr in ihren neuen Verträgen aufnehmen dürfen. Dies bedeutet selbstverständlich auch, dass etwaige über die betroffenen Fiktionsänderungsklauseln geplanten Vertragsänderungen umgehend gestoppt und nicht mehr umgesetzt werden dürfen. 

 

(3) Was wiederum die Auswirkungen der BGH-Entscheidung auf Bestandsverträge anbelangt, bei welchem über Jahre hinweg nicht nur neue gesetzliche Vorgaben und Rechtsprechungsgrundsätze per AGB-Änderungsmechanismus umgesetzt, sondern auch vielfache Änderungen auch zugunsten der Kunden vorgenommen wurden, so stellt sich die Frage, ob und wenn ja in welchen konkreten vertraglichen Zustand diese zurückversetzt werden müssen, insbesondere ob die Bestandsverträge in den vertraglichen Zustand zurückversetzt werden müssen, welcher bei Vertragsabschluss bestand oder aber ob der Vertrag im aktuellen Zustand fortgesetzt werden darf mit der Maßgabe, dass sich die Kreditinstitute nur dann auf etwaige im Wege der Änderungsklausel vorgenommenen Änderungen nicht berufen dürfen, wenn der Kunde hierauf gestützt irgendwelche Ansprüche geltend macht. 

Nachdem der AGB-Verwender nach dem UKlaG grundsätzlich nur verpflichtet ist, die konkret betroffene unwirksame AGB-Klausel nicht mehr zu verwenden und sich bei Bestandsverträgen bei deren Abwicklung nicht mehr auf diese konkrete Klausel zu berufen, spricht einiges für Letzteres. Sicher ist dies jedoch nicht. 

 

(4) Dieses in Ziff. 3 angesprochene Problem stellt sich insbesondere im Zusammenhang mit solchen bei den Bestandsverträgen per Änderungsmechanismus eingeführten Entgelte. Denn auch hier stellt sich die Frage, ob man ungeachtet der AGB-rechtlichen Unwirksamkeit der Änderungsmechanismusklauseln nach wie vor die Entgelte den Kunden belasten und sich nur dann nicht mehr auf deren Einführungen per Änderungsmechanismus berufen darf, wenn die Kunden die entsprechend vereinbarten Entgelte zurückfordern oder deren Zahlung für die Zukunft monieren, wofür vorstehende Erwägung spricht.

In diesem Zusammenhang stellt sich dann auch die Frage, ob man bei der monate- bzw. jahrelangen Tolerierung der Belastung der Entgelte durch den Verbraucher von einer konkludenten einvernehmlichen Änderung der vertraglichen Vereinbarungen im Sinne von § 311 Abs. 1 BGB oder gar von einer Bestätigung des Vertragsinhalts im Sinne von § 141 BGB wird sprechen können, wobei Letzteres kaum möglich sein dürfte, da der Bestätigungswille grundsätzlich voraussetzt, dass die Parteien die Nichtigkeit kennen oder zumindest Zweifel an der Rechtbeständigkeit des Vertrags haben (so Ellenberger, in Palandt, a.a.O., § 141, Rn. 6).


(5) Hiervon unabhängig dürften die Verbraucher gegenüber ihren Kreditinstituten Rückzahlungsansprüche in Bezug auf die per Änderungsmechanismus eingeführten Entgelte haben, wobei nach den bisher anerkannten Rechtsprechungsgrundsätzen des Bundesgerichtshofs die Verjährung solcher Rückzahlungsansprüche bereits mit Vereinbarung der Entgelte zu laufen beginnt, weswegen etwaige Ansprüche grundsätzliche bereits drei Jahre nach Vereinbarung/Einführung der Entgelte eintritt. 


Anders als der Bundesgerichtshof in seinen Ausnahme-Bearbeitungsentgelt-Entscheidungen vom 28.10.2014, Az. XI. ZR 348/13 und 17/14 entschieden hat, dürfte eine Hemmung des Beginns der Verjährung in Fällen der vorliegenden Art nicht in Betracht kommen.


(6) Nachdem weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Pflicht der Kreditinstitute gegenüber ihren Kunden besteht, diese darüber aufzuklären oder zu informieren, dass die von ihnen im Wege des Änderungsmechanismus herbeigeführten Vertragsänderungen unwirksam sind, dürfte sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.04.2021 eine solche Informationspflicht der Kreditinstitute nicht ergeben (vgl. hierzu Edelmann/Schultheiß/Hölldampf BB 2021, 835, 841 f m.w.N.).


Allerdings kann es durchaus sein, dass die BaFin im Wege des § 4 Abs. 1 a FinDAG versucht, die Kreditinstitute zur dahingehenden Information zu verpflichten. Möglich ist aber auch, dass Verbraucherschutzverbände versuchen, die Kreditinstitute im Wege des § 8 Abs. 1 UWG dazu zu verpflichten, ihre Kunden darüber zu informieren, dass sämtliche von ihnen im Wege des Änderungsmechanismus eingeführten Änderungen unwirksam sind. Denn grundsätzlich stellt die Unwirksamkeit einer Klausel nach §§ 307 ff. BGB zugleich auch einen Verstoß gegen eine Verhaltensregel im Sinne des § 3 a UWG (vgl. hierzu das nachfolgende besprochene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31.03.2021). Allerdings ist hier zu bedenken, dass der BGH in seinem vorstehenden Urteil lediglich die Fiktionsänderungsklauseln für unwirksam erklärt hat und nicht auch die durch diese Klauseln herbeigeführten Vertragsänderungen. Insofern dürfte von der „Informationspflicht“ nur der Hinweis auf die unwirksame Änderungsklausel erfasst sein und nicht auch auf die etwaige Unwirksamkeit der per Änderungsklausel herbeigeführten Änderungen. 


(7) Was wiederum die inhaltliche Fassung einer neuen Fiktionsänderungsmechanismusklausel anbelangt, so wird man eine solche ohne Kenntnis der Entscheidungsgründe des Bundesgerichtshofs nicht ernsthaft entwickeln können. 


Die Tatsache jedoch, dass der Bundesgerichtshof im Wesentlichen moniert hat, dass mit den bisherigen Änderungsklauseln solche die Grundlagen der vertraglichen Beziehungen betreffenden Änderungen vorgenommen werden können, welche zudem das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich zugunsten der Kreditinstitute verschieben können, spricht einiges dafür, dass der Bundesgerichtshof im Wege des Änderungsmechanismus solche Änderungen der Vertragsbedingungen im AGB-rechtlichen Sinne zu tolerieren gedenkt, die lediglich zu solchen, die rechtlichen Grundlagen des Vertrages respektierenden Änderungen führen oder zur Umsetzung gesetzlicher und Rechtsprechungsvorgaben dienen.


(8) Soweit seitens der Kreditinstitute überlegt wird, sich durch die Vereinbarung ausländischen Rechts der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu entziehen, so ist darauf hinzuweisen, dass dies bei einem rein inlandsbezogenen Sachverhalt höchst problematisch ist, da § 307 BGB zwingendes Recht im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO ist (vgl. hierzu Josenhans/Danzmann/Lübbehüsen, BKR 2018, 142, 147 f).


(9) Lediglich der Vollständigkeit halber ist schließlich darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.04.2021 nicht nur Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Bank und Kunde hat, sondern auch auf sämtliche Dauerschuldverhältnisse im Massenverkehr (z. B. die Telekommunikationsbranche sowie die Versicherungswirtschaft). Dies jedenfalls dann, wenn auch in diesen Branchen ähnlich gestaltete Änderungsmechanismusklauseln verwendet werden, wovon auszugehen ist.

 


Beitragsnummer: 18214

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