Donnerstag, 15. Juli 2021

Digitalisierung zwischen Fiktion & Realität – zwischen Chance & Risiko

Bietet der „Digitale Finanzbericht“ tatsächlich einen Mehrwert für die Analysepraxis?

Oliver Pickert, Analyst Marktfolge Aktiv, Volksbank RheinAhrEifel eG

Einleitung
Aktuell bewegt Kreditinstitute nichts so sehr wie die Frage nach dem Grad der eigenen Digitalisierungsmöglichkeiten. Ansatzpunkte gibt es bereits viele. Aber was ist Fiktion, was ist bereits Realität und wo liegen die Chancen/Risiken? Mehr als je zuvor gilt dies gerade auch in der Analyse. Zeit ist Geld, ob bei Kreditvergabe oder laufender Überwachung der jeweiligen Kundenengagements. Dabei sind die Verfügbarkeit und schnelle Verarbeitung von eingehenden Daten das Gold der Neuzeit. Inwiefern kann Ihnen dabei die Nutzung des Digitalen Finanzberichts (DiFin) helfen?

Wo liegen die Chancen, wo gibt es Risiken beim DiFin?
Der Digitale Finanzbericht ist nicht neu, aber doch noch nicht so etabliert, dass alle Risiken und Chancen heute schon abschließend erkennbar sind. Dabei können die Risiken grob in drei Kategorien unterteilt werden. Technisch bestehen sicherlich die geringsten Risiken, hier sind eher die Chancen zu vermuten. Wobei uns bewusst sein sollte, dass mit der zunehmenden Digitalisierung auch der Grad steigt, indem wir von der reibungslosen Funktionalität der Technik abhängig sind. Mittel- bzw. langfristig ergibt sich die Arbeitserleichterung durch den Einsatz von Software, während wir bisherige Fähigkeiten vernachlässigen, was im Verlernen münden dürfte. Rechtlich werden die Risiken abgeschirmt, soweit dies nur irgendwie möglich ist. Damit bleibt der Mensch, der Anwender, der Nutzer und hier sind auch die größten Risiken zu vermuten. Nicht die Risiken durch Anwendung des Digitalen Finanzberichts, sondern in der Verzerrung, der Verzögerung, der Ablehnung des Themas – das Warten auf die Vollkommenheit der Anwendung. Das gefährliche Halbwissen, welches oftmals auf leichtfertigem Glauben des Negativem beruht. Die übereilige Annahme, wie komplex und damit aufwendig diese Veränderung der Jahresabschlussübertragung doch ist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und so verbaut er sich die Chance der Veränderung.

Sicherlich ist es nicht jede Chance wert, sie zu ergreifen. Zumal sich Umfang und Timing an der eigenen Ausgangslage orientieren sollten. Diese Erkenntnisgewinnung setzt in hohem Maße Kommunikation voraus, bietet aber auch die Chance, die eigene Ausgangslage noch wesentlich besser kennenzulernen. Eine Plattform für die eigenen Mitarbeiter, sich einbringen zu können – die Möglichkeit externe Rückmeldungen zu erhalten, so z. B. vom Steuerberater und daraus neue Kooperationsmöglichkeiten zu erschließen. Auf den Punkt gebracht – durch Erkenntnisgewinnung zum höheren Verständnis füreinander zu gelangen.

Lassen Sie uns also nicht die Risiken suchen, sondern die sich ergebenden Lücken erkennen, besprechen und mit kooperativen Lösungen schließen.

Was ist noch Fiktion und was schon Realität?
Wenn wir über Fiktion und Realität sprechen, dann müssen wir diese Betrachtung um eine dritte Kategorie ergänzen. Was ist heute bereits auf dem Weg von der Fiktion zur Realität? Die Umschreibung der Fiktion ist vergleichsweise einfach. Das Ziel ist es, vom Unterlageneingang eigentlich schon von der Unterlagenanforderung bis zur Ratingerstellung und finalen Archivierung rein digital zu arbeiten. Der Grad, indem hier manuell durch den Mitarbeiter eingegriffen wird, wird sicherlich höchst individuell gesehen. Keine manuellen Eingriffe durch den Mitarbeiter ist in der Vorstellung vieler Entscheider sicherlich schon angedacht, die Umsetzung aber noch weitestgehend Fiktion. Abschließend kann also festgehalten werden, dass die Digitalisierung einzelner Arbeitsschritte bereits heute Realität (nachfolgend kurz beschrieben) ist, dass das Zusammenspiel, also die Kombination dieser Schritte, hingegen erst in den Kinderschuhen steckt. 

Mit Blick auf den digitalen Finanzbericht, ist die Datenübertragung heute schon Realität. Gemeint ist dabei die Versendung von Jahresabschlussdaten, andere Daten, wie die der Betriebswirtschaftlichen Auswertungen, der Werte der Einkommensteuererklärung oder aber der Vermögensaufstellung sind aktuell nur im pdf-Format mit übermittelbar. Hierfür eigens errichtete Datenschnittstellen sind also noch Fiktion. Folglich sind die Grenzen zwischen Fiktion und Realität also zudem vielfach schwimmend.

Was ist also per heute schon Realität? Sicherlich die Jahresabschlussübermittlung und anschließende bilanzanalytische Aufbereitung durch entsprechende (systeminterne/-externe) Software. Ebenso bereits verfügbar die Möglichkeit der technischen Unterstützung bei Erstellung der Würdigung, also bei Erstellung der Stellungnahme. Selbst die Durchführung des Ratings ist bereits soweit technisch unterstützt, dass hier von digital durchführbar gesprochen werden kann.

Reine Fiktion dürfte aktuell noch die digitale Unterlagenanforderung sein. Die maschinell erstellten Schreiben gelangen ausgedruckt zum Kunden oder unmittelbar zum Steuerberater. Die dem Kunden zugesandten Schreiben bedürfen folglich erst der digitalen Aufbereitung oder aber gelangen nur zeitlich versetzt (Papier) an den ausführenden Steuerberater.

Was fehlt dem Workflow heute noch?
Es ist bereits sinnvoll, einzelne Arbeiten wie z. B. die Datenübertragung und damit auch den Unterlageneingang zu digitalisieren. Diese hinzugewonnene Effizienz kann jedoch noch weiter gesteigert werden, wenn weitere Arbeitsschritte in digitaler Form einander folgen oder aber vorweggehen. Da macht der Digitale Finanzbericht keinen Unterschied, denn er reduziert sich Stand heute für die Banken auf den „Posteingang“. Arbeitsschritte wie beispielsweise die Verbuchung des Unterlageneingangs oder vielleicht sogar die Anforderung von Daten, sind noch nicht einbezogen. Ebenso könnte die Archivierung des Unterlageneingangs unmittelbar in den Vorgang integriert werden. Hierzu bedarf es reibungslos arbeitender Schnittstellen innerhalb unserer Systeme, um so zu gewährleisten, dass der Daten-Workflow auch wirklich fließt. An diesen noch fehlenden Zusammenhängen wird bereits gearbeitet. Dies zeigt sich auch daran, dass die Rechenzentralen zumindest den bei Dateneingang notwendigen Impuls, also die Information „ist eingegangen“, errichtet haben. Es gibt aber auch bei der bereits bestehenden, also der quasi schon fertigen Datenübertragung, noch ein To-do. 

Inwiefern deckt die HGB-Taxonomie alle Punkte zur Bonitätsbeurteilung ab?
Den Praktikern unter den Anwendern des Digitalen Finanzberichts fiel sehr früh auf, dass die Tiefe, also der Umfang der Datenübertragung, ungewohnt gering ist, so fehlen aktuell die Angaben der Kontennachweise im xbrl-Datensatz. Diese Datenlücke wird durch die Einreichung der bildhaften Kopie (als pdf-Datei) des Jahresabschlusses in einer provisorischen Form versucht zu kompensieren. Folglich liegen uns Analysten alle Daten vor, sind aber z. T. noch nicht maschinenlesbar. Stellt der übermittelte Datensatz auf den „aufgestellten Jahresabschluss“ ab, so muss uns bewusst sein, dass das Handelsgesetzbuch keine Detailangaben, in Form von Kontennachweisen vorschreibt. Folglich ist der Steuerberater nicht verpflichtet, diese an die Bank zu übermitteln, auch wenn wir dies aus der täglichen Praxis gewohnt sind. An dieser im Digitalen Finanzbericht benannten „höheren Datentiefe“ wurde und wird intensiv gearbeitet. Aus Gründen der Rücksichtnahme auf die Steuerberater und zu deren Motivation wird die Umsetzung jedoch zeitlich der Umsetzung des „Rückkanals“ folgen. 

Ansätze für eine konsequente Fortsetzung eines digitalen Verarbeitungsvorgangs
In der Regel folgen dem ersten Schritt der Digitalisierung schnell weitere dahingehende Bemühungen. Auch wenn dies als logische Konsequenz erscheint, so sollte doch das Maß der Umstellung wohl abgewogen sein, d. h. beispielsweise in einem Stufenkonzept erfolgen. Damit wird der Umfang der Veränderungen leistbar und die zur Umsetzung notwendige Akzeptanz der Mitarbeiter in höherem Maße gewährleistet.

Mit der Nutzung des Digitalen Finanzberichts einmal begonnen, sollte als nächster Schritt die Optimierung der bilanzanalytischen Aufbereitung folgen – in Ausnahmen durch unmittelbare Datenübernahme ins Kernbanksystem. Diese schnellste und einfachste Form der Datenweiterverarbeitung ist jedoch nur in den Fällen fachlich ausreichend, in denen die Daten aus vertrieblicher Absicht aufbereitet werden sollen. Folgt die Erstellung eines Ratings oder kann eine spätere Ratingerstellung nicht ausgeschlossen werden, ist diese rudimentäre Datenbasis unzureichend. Die bilanzanalytische Aufbereitung ist somit die sicherere Vorgehensweise, die aber in jedem Falle einen höheren Zeitaufwand nach sich zieht.

Von der Strukturbilanz bis hin zur Beurteilung, Würdigung, Rating und Entscheidung
Zur bilanzanalytischen Aufbereitung gibt es die Möglichkeit, innerhalb des Kernbankensystems zu arbeiten, wie auch auf externe Unterstützung zurückzugreifen. Für welche Variante sich entschieden wird, sollte jedoch eine praxisnahe Prüfung ergeben. Nicht immer ist die einfachste Vorgehensweise die richtige Entscheidung. Die eigene Erfahrung ist hier unverzichtbar, denn so ähnlich die Systeme sind, so bieten sie doch unterschiedliche Möglichkeiten. Nicht zuletzt bestimmt der eigene Qualitätsanspruch den Umfang und damit die konkrete Vorgehensweise der Datenaufbereitung.

Aus Sicht eines Analysten ergeben sich bei der Datenerfassung und -aufbereitung kaum Spielräume. Die Strukturbilanz muss in der Regel als Basis aller weiteren Arbeitsschritte einem Mindestmaß an Qualität entsprechen. Verglichen mit dem Bau eines Hauses gibt es unterschiedliche Formen und Größen von Gebäuden und doch benötigen alle ein tragfähiges Fundament.

Die Technik kann heute schon den Verfasser einer Würdigung, also die Konzeptionierung einer Stellungnahme, maßgeblich unterstützen. Inhalt und insbesondere Umfang der Würdigung sollten jedoch am konkreten Sachverhalt, also den Gegebenheiten des Kreditfalls, ausgerichtet werden. Mit Hilfe der Software tritt der Arbeits- und damit Zeitaufwand bei Aufbereitung der Bilanzwerte und Erstellung der Würdigung in den Hintergrund. Maschinell unterstützt ergibt sich eine Stellungnahme binnen weniger Sekunden. Wenn sich folglich der Arbeits- und damit Zeitaufwand derart relativieren lässt, sind selbst die Analysen für kleinere Kreditengagements mit höherem Qualitätsanspruch durchführbar.

Bilanzanalytisch wird in der Regel die Auswertung durch das Rating finalisiert. Sei es durch dessen reines Anstoßen oder aber durch vollumfängliches Durchführen in Kooperation mit dem Kundenberater. Hier dürfte der Grad der Digitalisierung vielfach schon in hohem Maße realisiert sein, was jedoch nicht bedeutet, dass die weitere Technisierung bereits abgeschlossen ist.

Kein Arbeitsschritt verdeutlicht mehr die Notwendigkeit der Digitalisierung, Technisierung und damit letztlich Standardisierung, als das Rating. Während die meisten Anwender in diesen Schritten rein den Zeitgewinn als Erfolg sehen, so liegt doch der eigentliche Gewinn in der Homogenität der erarbeiteten Datengrundlagen. Dies ist dadurch begründet, dass die heutigen Ratingverfahren zumeist vollumfänglich auf statistischen Annahmen und Berechnungen beruhen. Da ist die Objektivität der Beurteilung, die Vergleichbarkeit der Daten, zwingend erforderlich, um gesicherte Beurteilungen treffen zu können. 

Schnittstelle zwischen Marktfolge und Markt
Das Rating bildet den Abschluss der Analyse. Diesem folgt aber in der Praxis die Entscheidung, sei es als Kreditentscheidung oder aber als Beurteilung des Engagements und Definition der weiteren Vorgehensweise. Dabei ist die möglichst stete Verfügbarkeit von Informationen die erforderliche Basis. So ergibt sich der Anspruch, dass Daten räumlich und zeitlich frei verfügbar sein sollten. Mit dieser Errungenschaft, also der jederzeit möglichen Informationsverfügbarkeit, sollte jedoch maßvoll umgegangen werden. So kann der Umfang an Informationen eine Entscheidung beschleunigen oder aber ebenso verlangsamen

Die Gefahr liegt dabei in der nicht verarbeitbaren Datenmenge. So verstärkt sich durch die fortschreitende Digitalisierung die Notwendigkeit, die Flut an Informationen auf ihre Relevanz hin zu prüfen. Dies erlangt auch im Zusammenspiel von Markt und Marktfolge eine Bedeutung, denn auch hier sind die Informationen jeweils auf das nötige Maß zu reduzieren. Nur so ist gewährleistet, dass die gewonnene Effizienz durch medienbruchfreie Datenverfügbarkeit nicht verloren geht.

 

PRAXISTIPPS

….mit denen Sie Ihren Unterlageneingang (zur Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse) auf weiteres Digitalisierungspotential hin überprüfen können:

  • Sehen Sie sich Ihren eigenen Workflow bewusst an, haben Sie den Mut zur Veränderung.
  • (Die eigene Ausgangslage bestimmen/Ziele definieren/Potentiale erkennen/an Problemen wachsen).
  • Dosiert informiert – nehmen Sie Ihre Mitarbeiter mit auf den Weg der Veränderung.
  • Ausgangssituation und Ziele benennen/Diskussionen einfordern/„Der Weg ist das Ziel“.
  • Haben Sie den Mut zu eigenen Tests.
  • „Probieren geht über Studieren“/Suchen Sie sich hierzu einen „verbündeten“ Steuerberater.
  • Der persönliche Kontakt ist viel effizienter als jedes Schreiben.
  • Suchen Sie das Gespräch, es gilt im Alltag etwas zu verändern, also die Routine zu durchbrechen.

…mit denen Sie Ihre Datenweiterverarbeitung auf Digitalisierungspotential hin überprüfen können:

  • Welche Alternativen bieten sich bezogen auf die eigenen Vorstellungen an?
  • Wer macht was für welche Menge? Quantität!/Qualität? Alternativen? Konsequenzen?
  • Entwickeln Sie mit Ihren Mitarbeitern den Weg der Veränderung.
  • Überzeugend motivieren/Anregungen einfordern/„Der Weg ist das Ziel“.
  • Es zählt die eigene Erfahrung und nicht der gute Rat.
  • „Probieren geht über Studieren“/Geben Sie der Chance die nötige Zeit.

Beitragsnummer: 18231

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