Donnerstag, 16. September 2021

EuGH zur Verjährung bei missbräuchlichen Klauseln

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

 

In seiner Entscheidung vom 10.06.2021, Az. C–776, 777, 778, 779, 780, 781, und 782/19, welcher ein Fremdwährungsdarlehen zugrunde lag und in welcher der Kreditnehmer solche auf der Grundalge einer missbräuchlichen Klausel gezahlten Beträge zurückforderte und die Feststellung der Missbräuchlichkeit der Klausel begehrte, hält der EuGH zunächst hinsichtlich des Feststellungsantrags des Verbrauchers fest, dass die Richtlinie 91/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen einer innerstaatlichen Regelung entgegenstehe, welche den Antrag eines Verbrauchers auf Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel einer Verjährungsfrist unterwirft (Rn. 35-38 sowie Rn. 48).

 

In Abgrenzung hierzu führt der EuGH sodann in Bezug auf den Rückforderungsanspruch des Verbrauchers aus, dass die Richtlinie 93/13/EWG demgegenüber grundsätzlich einer innerstaatlichen Regelung nicht entgegenstünde, welche den Anspruch eines Verbrauchers auf Rückerstattung von solchen aufgrund einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos gezahlten Beträge einer drei- oder fünfjährigen Verjährungsfrist unterwirft. Dies gelte nach Auffassung des EuGH allerdings nur dann, wenn diese Verjährungsfristen dem Äquivalenzprinzip sowie dem Grundsatz der Effektivität genügen würden. Letzteres sei wiederum nur dann der Fall, wenn die Ausübung der dem Verbraucher in der Richtlinie 93/13/EWG verliehenen Rechte durch die Verjährungsfrist nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würden (Rn. 39-42).

 

Hiervon ausgehend hält der EuGH sodann fest, dass eine innerstaatliche Verjährungsfrist nur dann dem Effektivitätsgrundsatz genügt, wenn dem Verbraucher die Möglichkeit eingeräumt würde, von seinen Rechten Kenntnis zu erlangen, bevor die innerstaatliche Verjährungsfrist zu laufen beginnt oder bereits abgelaufen ist. Insofern müsse der Verbraucher, bevor die drei- oder fünfjährige Verjährungsfrist zu laufen beginnt, die Möglichkeit gehabt haben, von der Missbräuchlichkeit der entsprechenden Klausel Kenntnis zu erlangen oder den Umfang seiner Rechte aus der Richtlinie 93/13/EWG richtig zu erfassen (Rn. 45 f.). Soweit daher, wie im konkret zu entscheidenden Fall, bei einem Anspruch des Verbrauchers auf Rückerstattung von aufgrund missbräuchlicher Klauseln rechtsgrundlos gezahlter Beträge der Beginn der drei- oder fünfjährigen Verjährungsfrist allein an den lediglich objektiven Zeitpunkt der Annahme des Darlehensangebots anknüpft, sei der dem Verbraucher durch die Richtlinie 93/13/EWG eingeräumte Schutz i. S. d. Effektivitätsgrundsatzes nicht mehr gewährleistet. Denn eine an einen solchen Beginn der Verjährung anknüpfende Frist könnte schon zu laufen begonnen haben oder gar schon abgelaufen sein, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel oder von seinen hieraus resultierenden Rechten aus der Richtlinie Kenntnis zu erlangen, wodurch dem Verbraucher die Ausübung der ihm durch die Richtlinie 93/13/EWG verliehenen Rechte übermäßig erschwert bzw. praktisch unmöglich gemacht werden würde (Rn. 47 f.).

 

Was wiederum das Transparenzgebot von Vertragsklauseln im Zusammenhang mit dem betroffenen Fremdwährungsdarlehen anbelangt, so führt der EuGH, ähnlich wie bereits in seiner Entscheidung vom 20.09.2017, Az. C-186/16, WM 2017, 1974, 1978, im Anschluss hieran aus, dass dieses Erfordernis nach der Richtlinie 93/13/EWG so zu verstehen sei, dass die betreffende Vertragsklausel nicht nur in formeller und grammatikalischer Hinsicht für den Verbraucher nachvollziehbar sein müsse. Diese müsse vielmehr darüber hinaus auch einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher in die Lage versetzen, die konkrete Funktionsweise der Fremdwährungsklausel zu verstehen und somit auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die möglicherweise beträchtlichen negativen wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen über die gesamte Laufzeit des Darlehens einzuschätzen (Rn. 64, 78 sowie Rn. 72 zu den konkreten Anforderungen an die Transparenz bei Fremdwährungsdarlehen).

 

Schließlich hebt der EuGH hervor, dass weder die Wahrung des Effektivitätsgrundsatzes noch die Erreichung der der Richtlinie 93/13/EWG zugrunde liegenden Ziele den Verbraucher durch die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen der Position des Gewerbetreibenden und der des Verbrauchers zu schützen, gewährleistet ist, wenn dem Verbraucher die Beweislast für die Klarheit und Verständlichkeit einer Vertragsklausel i. S. v. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie aufgebürdet werden würde (Rn. 84-89).

 

PRAXISTIPP

Wie bereits in BTS 2021, S. 62 f. berichtet, hatte der EuGH schon in seiner Entscheidung vom 22.04.2021, Az. Rs. C-485/19, festgehalten, dass eine dreijährige Verjährungsfrist bei einer Klage eines Verbrauchers auf Rückzahlung von im Rahmen der Durchführung eines Kreditvertrages aufgrund missbräuchlicher Klauseln i. S. d. Richtlinie 93/13/EWG geleisteten Beträge dann dem Effektivitätsgrundsatz nicht mehr genüge, wenn die Verjährung ab dem Tage zu laufen beginnt, an dem die ungerechtfertigte Bereicherung eintritt; dies deshalb, weil in einem solchen Fall die nicht zu unterschätzende Gefahr bestünde, dass sich der betroffene Verbraucher innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht auf seine Rechte berufen könne, weil er bis dahin nicht in der Lage gewesen sei bzw. hätte sein können, Kenntnis von der Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Vertragsklausel zu erlangen (vgl. zur Nicht-Relevanz dieser Entscheidung auf die dreijährige deutsche Regelverjährung, Herresthal, WM 2021, 1565, 1575 f.). Ähnliche Ausführungen enthielt auch die bereits in BTS 2020, 103-105 vorgestellte Entscheidung des EuGH vom 16.07.2020, Az. C-224/19 u. 259/19.

 

Anknüpfend an diese Rechtsprechung hält der Europäische Gerichtshof in vorstehender Entscheidung nochmals fest, dass eine Verjährungsfrist bei einem Anspruch des Verbrauchers auf Rückzahlung von aufgrund missbräuchlicher Klauseln zu Unrecht gezahlter Beträge dann nicht dem Effektivitätsgrundsatz genügt, wenn der Beginn der Frist allein an den objektiven Umstand der Annahme des Darlehensangebots geknüpft ist. Denn in einem solchen Falle sei der durch die Richtlinie 93/13/EWG dem Verbraucher eingeräumte Sturz nicht mehr gewährleistet. Dies deshalb, weil die Frist in einem solchen Fall bereits dann zu laufen begonnen haben oder gar schon abgelaufen sein könnte, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit der Vertragsklausel Kenntnis zu erlangen.

 

Ob diese Entscheidungen des EuGH dazu geeignet sind, die dreijährige deutsche Regelverjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB in Frage zu stellen, bleibt abzuwarten. Denn immerhin hängt der Beginn der regelmäßigen dreijährigen deutschen Verjährungsfrist nicht nur vom rein objektiven Umstand der Anspruchsentstehung nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ab, sondern auch von der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von der Person des Schuldners und von den den Anspruch begründenden Umständen. Allerdings knüpft diese Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen i. S. v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nach der bisher anerkannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht an die Kenntnis des Verbrauchers von einer etwaigen Unwirksamkeit der betroffenen Klausel an, sondern allein an die objektive Kenntnis von der Vereinbarung der (Entgelt-)Klausel, ohne dass es auf eine rechtliche Würdigung in dem Sinne ankommt, dass der Verbraucher Kenntnis von der rechtlichen Unwirksamkeit der Klausel hat oder hätte haben können. 

 

Ob wiederum diese in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ohne Einbeziehung einer rechtlichen Würdigung der Umstände statuierte Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen ausreicht, um dem Grundsatz der Effektivität i. S. d. EuGH zu genügen und wenn nicht, ob die Norm des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB insofern überhaupt für europarechtskonform auslegungsfähig angesehen werden kann, wird abzuwarten sein. Nicht europarechtskonform auslegungsfähig dürfte jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die klare und unmissverständlich formulierte kenntnisunabhängige zehnjährige Verjährungsregelung i. S. v. § 199 Abs. 3 BGB sein.


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