Donnerstag, 16. September 2021

Kündigungsvoraussetzungen im Anwendungsbereich der EU-Blocking-VO

Zu den Möglichkeiten einer ordentlichen Kündigung der Geschäftsverbindung oder Teilen hiervon im Anwendungsbereich der EU-Blocking-VO

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Frankfurt a.M.

Bekanntlich besteht nach den Grundsätzen nationalen Rechts im privatrechtlichen Geschäftsverkehr eine weitgehende Vertragsfreiheit. Die Lösung von zeitlich unbefristeten Geschäftsverbindungen ist grundsätzlich unter Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen möglich, wobei für eine ordentliche Kündigung in aller Regel kein (wichtiger) Grund vorliegen muss oder anzugeben ist. Etwas anderes könnte sich künftig in gewissen Fallkonstellationen vor dem Hintergrund der so genannten EU-Blocking-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 2271/96 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2018/1100) ergeben.

Die EU-Blocking-VO stammt ursprünglich bereits aus dem Jahre 1996 und wurde seinerzeit als Gegenmaßnahme zu den seitens der USA gegen Kuba, Iran und Libyen verhängten Sanktionen verabschiedet. Am 07.08.2018 trat sodann die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 (1) der Kommission in Kraft, durch welche der Anhang der EU-Blocking-VO um die aktuellen US-Sanktionen gegen den Iran ergänzt wurde. 

Die von der EU-Blocking-VO erfassten Gesetze, Verordnungen und anderen Rechtsakte verletzen laut den Erwägungsgründen der EU-Blocking-VO durch ihre extraterritoriale Anwendung das Völkerrecht und behindern die Verwirklichung der Ziele der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere die harmonische Entwicklung des Welthandels, die schrittweise Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr sowie die Verwirklichung des Ziels eines freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Vor diesem Hintergrund soll die EU-Blocking-VO als Maßnahme zur Aufhebung, Neutralisierung, Blockierung oder anderweitige Bekämpfung der Auswirkungen der betreffenden ausländischen Rechtsakte dienen (vgl. deren Erwägungsgründe, veröffentlicht unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A31996R2271).

Die Verordnung entfaltet unmittelbare Geltung für EU-Wirtschaftsteilnehmer und ist überdies seitens der nationalen Behörden und Gerichte der EU zu berücksichtigen. Ihr Art. 5 Abs. 1 beinhaltet ein Verbot für in Art. 11 der Verordnung aufgelistete EU-Wirtschaftsteilnehmer, die im Anhang der Verordnung genannten extraterritorialen Rechtsakte einschließlich etwaiger auf diesen beruhender Entscheidungen, Urteile oder Schiedssprüche (vgl. Art. 4 EU-Blocking-VO) zu befolgen. Im Falle eines Verstoßes drohen neben der potentiellen Unwirksamkeit beispielsweise von erklärten Kündigungen auch Bußgelder in Höhe von bis zu 500.000,00 € je Verstoß (vgl. auch § 7 AußenwirtschaftsVO). 

Zwar wird in Ziffer 5 des Leitfadens der Europäischen Kommission (2018/C 277 I/03) zur Annahme der aktualisierten Blocking-Verordnung (veröffentlicht unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv:OJ.CI.2018.277.01.0004.01.DEU) ausgeführt, dass EU-Wirtschaftsteilnehmer ihre Geschäftstätigkeit unter Achtung des EU-Rechts und der geltenden nationalen Gesetze nach eigenem Ermessen ausüben könnten, was bedeute, dass sie frei entscheiden könnten, eine Geschäftstätigkeit im Iran oder in Kuba aufzunehmen, fortzusetzen oder einzustellen und auf der Grundlage ihrer Bewertung der wirtschaftlichen Lage in einem Wirtschaftszweig tätig zu werden oder nicht. Dies hindert jedoch dennoch nicht die aktuelle Diskussion darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen nun bestehende, personell unter die EU-Blocking-VO fallende Geschäftsverbindungen noch rechtssicher beendet werden können. Insbesondere stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die EU-Blocking-VO innerhalb ihres Anwendungsbereichs möglicherweise dem Ausspruch von nach nationalem Recht möglichen und als solchen wirksamen ordentlichen Kündigungen einzelner Verträge oder auch ganzer Geschäftsbeziehungen entgegensteht.

Hierzu vertritt beispielsweise das OLG Köln die Auffassung, dass die EU-Blocking-VO es zwar Personen aus der Europäischen Union im Grundsatz untersage, sich an extraterritoriale US-Sanktionen unter anderem gegen den Iran zu halten. Hieraus ergäben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine ordentliche Kündigung eines privatrechtlichen Vertragsverhältnisses unwirksam oder nichtig sei, wenn dem keine seitens der USA ergangene behördliche oder gerichtliche Anweisung an einen EU-Wirtschaftsteilnehmer zugrunde läge (vgl. OLG Köln, Urteil vom 07.02.2020 – 19 U 118/19). Zudem erstrecke sich das Verbot der Abgabe einer Erklärung im Außenwirtschaftsverkehr, durch die sich ein Inländer an einem Boykott gegen einen anderen Staat beteiligt, nicht auf rein inländische Sachverhalte bei fehlendem internationalem Charakter der streitgegenständlichen Rechtsbeziehung. Letzteres sei insbesondere der Fall, wenn die Parteien nur durch ihre inländischen Verträge miteinander verbunden seien.

Nach Auffassung des OLG Hamburg (vgl. Beschluss vom 02.03.2020 – 11 U 116/19) dagegen müssen EU-Unternehmen von ihnen erklärte Kündigungen der Geschäftsbeziehung im personellen Anwendungsbereich der EU-Blocking-Verordnung grundsätzlich dezidiert begründen, auch wenn dies nach deutschem Zivilrecht eigentlich nicht erforderlich wäre. Da-bei müsse das kündigende Unternehmen darlegen und beweisen, dass die Entscheidung, den Vertrag zu beenden, nicht etwa deshalb getroffen wurde, weil andernfalls Nachteile auf dem US-Markt befürchtet würden. 

Das OLG Hamburg hat die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt (vgl. OLG Hamburg, a.a.O.). Dort hat der EuGH-Generalanwalt im Rahmen seiner Schlussanträge am 12.05.2021 die Auffassung geäußert, dass die EU-Blocking-VO entgegen den nationalen Beweisregeln im Falle einer ordentlichen Kündigung eine Beweispflicht für Unternehmen dahingehend begründe, dass die Kündigung in keinem Zusammenhang mit US-Sanktionen gegen den Iran stehe. Es müsse ein objektiver und nachvollziehbarer Kündigungsgrund angegeben werden, der nicht im Zusammenhang mit der Blocking-Verordnung und Sanktionen stehe.

 

PRAXISTIPP 

Je nachdem, ob sich der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts anschließt, könnte hiermit durchaus eine deutliche Verschärfung von Kündigungsvoraussetzungen im Anwendungsbereich der EU-Blocking-VO verbunden sein. 

Dabei liegt es auf der Hand, dass sich europäische Privatpersonen und Unternehmen, die Geschäfte sowohl mit den USA tätigen als auch gleichermaßen Adressaten der EU-Blocking-VO sind, in einem Dilemma befinden. Führen sie beispielsweise ihre Geschäftsbeziehungen mit Bezug zum Iran fort, so drohen ihnen seitens der USA empfindliche verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen. Beenden sie diese Geschäftsbeziehungen, so begehen sie möglicherweise einen Verstoß gegen die EU-Blocking-VO, welcher ebenfalls bußgeld-sanktioniert ist und überdies im Zuge der Unwirksamkeit erklärter Kündigungen auch gegenüber den betroffenen Unternehmen zumindest zivilrechtliche Konsequenzen hat. 

Eine gewisse Hintertür lässt der Generalanwalt diesen Betroffenen zwar insoweit offen als er ausführt, dass insbesondere mit dem Iran im Zusammenhang stehende soziale Aspekte durchaus ein berechtigtes Interesse von EU-Unternehmen an der Kündigung belegen könnten. Eine Kündigung könnte nach Auffassung des Generalanwalts beispielsweise wirksam sein, wenn das kündigende Unternehmen nachweisen könne, dass es aktiv eine kohärente und systematische Politik der sozialen Verantwortung betreibe und deshalb Verträge mit Unternehmen mit Verbindungen zum iranischen Regime ablehne. Eine etwaige Argumentation mit diesem Aspekt will allerdings gut überlegt sein und sollte keineswegs reflexartig erfolgen.

Inwieweit der EuGH letzten Endes den Schlussanträgen des EuGH-Generalanwalts folgen wird, erscheint derzeit noch offen. Die weitere Entwicklung bleibt daher zu beobachten.


Beitragsnummer: 18332

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