Dienstag, 30. November 2021

LG Berlin urteilt über Verwahrentgelt

Nach dem positiven Urteil aus Leipzig nun ein negatives Urteil aus Berlin zu Verwahrentgelten

Dr. Kerstin Rohwetter, Bereichsleiterin Compliance, Beauftragtenwesen & Recht, Kreissparkasse Düsseldorf 

 

Nachdem zahlreiche Banken in Deutschland in den letzten Jahren ein Verwahrentgelt auf Guthaben ihrer Kunden eingeführt haben, ist die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit von Verwahrentgelten nun endgültig in den Instanzgerichten angekommen. Nach einem negativen Urteil des Landgerichts Tübingen vom 26.01.2018 (Az. 4 O 187/17, rechtskräftig) und einem für die Banken positiven Urteil des Landgerichts Leipzig vom 08.07.2021 (Az. 05 O 640/20, nicht rechtskräftig) ist nun ein vermeintlich negatives Urteil zu Verwahrentgelten ergangen. Hierbei handelt es sich um ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 28.10.2021 (Az. 16 O 43/21, nicht rechtskräftig). Aus Sicht des Presseechos ist dieses Urteil bemerkenswert und ein juristischer Erfolg für „die Sparer”, stelle es doch fest, dass Verwahrentgelt bzw. Negativzins auf Tagesgeld- und Girokonten rechtlich unzulässig sei (vgl. nur „Enteignung der Sparer”, FAZ vom 22.11.2021; „Gericht verbietet Berliner Bank Negativzinsen”, Focus Online vom 19.11.2021). 

Dieser Beitrag beleuchtet, was das Urteil des Landgerichts Berlin nun tatsächlich für Banken und ihre Kunden bedeutet. 

 

Verbot von Verwahrentgelten durch das Landgericht Berlin?

In seinem Urteil vom 28.10.2021 hatte das Landgericht Berlin über die Einführung von Verwahrentgelten auf Tagesgeld- und Girokonten zu entscheiden. 

Die betroffene Bank hatte ab 01.08.2020 in ihr Preis- und Leistungsverzeichnis für verschiedene Kontomodelle ab Kundeneinlagen über 25.000 € bzw. 50.000 € ein „Entgelt für die Verwahrung von Einlagen“ von 0,50 % p.a. aufgenommen. Dieses Preis- und Leistungsverzeichnis sollte für alle Verträge, die ab dem 01.08.2020 geschlossen wurden, Geltung entfalten. 

Hinsichtlich des Verwahrentgeltes auf Girokonten stuft das Landgericht Berlin diese Klauseln als eine der Überprüfung zugängliche Preisnebenabrede ohne echte Gegenleistung ein. Zudem enthalte der Girovertrag Elemente der Verwahrung, es handele sich hier aber um ein einziges, einheitliches gemischt-typisches Vertragsverhältnis. Die Verwahrfunktion sei dem Girovertrag immanent, denn der Zahlungsdienstevertrag sei ein Geschäftsbesorgungsvertrag höherer Art, für den die Vorschusspflicht des § 669 BGB gelte. Der Zahlungsdienstenutzer habe dem Zahlungsdiensteerbringer die erforderlichen Mittel vorher bereitzustellen. Dadurch kommt es nach dem Landgericht Berlin bei einem Zahlungsdienstevertrag immer auch zu einer Verwahrung von Geldern, wenn eventuell auch nur für einen kurzen Zeitraum. Somit sieht das Landgericht Berlin einen Unterschied zwischen dem gemischt-typischen Vertragsverhältnis, auf das Normen verschiedener Vertragstypen Anwendung finden können und dem Bestehen von zwei nebeneinander bestehenden Verträgen mit einem jeweils eigenen Vertragsregime. Existierten zwei nebeneinander bestehende Verträge, könnten diese unabhängig voneinander gekündigt werden und würden als zwei getrennte Verträge nach außen in Erscheinung treten und als solche für den Kunden erkennbar sein. 

Schon die rechtliche Bewertung als Preisnebenabrede und das Absprechen eines eigenständigen Verwahrszenarios lässt sich rechtlich in Frage stellen. So beurteilen sowohl das Landgericht Tübingen (siehe BKR 2018, 128, Rn. 62) als auch das Landgericht Leipzig (siehe BKR 2021, 499, Rn. 40, 46) diese Fragen anders. Ob man die dogmatischen Einordnungen des Landgerichts Berlin hinsichtlich der fehlenden Eigenständigkeit des Verwahrcharakters eines Zahlungsdienstleistungsvertrages teilt oder nicht, ist jedoch letztlich bei der Bewertung des Urteils für die Praxis nicht abschließend entscheidend. Das Landgericht Berlin gibt nämlich in der Auseinandersetzung mit den bankseitigen Bedürfnissen in der Niedrigzinsphase (siehe S. 13 f. des Urteils) konkrete Hinweise darauf, was es als das eigentliche Problem im Vorgehen der betroffenen Bank empfindet. So heißt es hinsichtlich des aus Sicht des Landgerichts Berlin fehlenden Kapitalbeschaffungsinteresses der Bank in der Niedrigzinsphase (S. 13):  

„Sie mögen zwar den Wunsch nach einer Anpassung des Vertrages begründen, die dann einvernehmlich vorzunehmen ist. Auch der Gedanke an einen Wegfall der Geschäftsgrundlage mag im zweiseitigen Verhältnis in Betracht kommen. Die Änderung der wirtschaftlichen Rahmendaten kann aber nicht einseitig die Austauschbeziehung ändern und den ursprünglich einheitlichen Girovertrag in einen Zahlungsdienste- und einen gesonderten Verwahrvertrag mit gänzlich anderen Hauptleistungspflichten spalten.

Und hinsichtlich des Interesses der betroffenen Bank, das überlassene Kapital nicht ohne Refinanzierungsmöglichkeit zu verwahren, äußert das Landgericht Berlin (S. 14):

„Es ist kein Grund ersichtlich, aus dem heraus die Beklagte einen Teil ihres Geschäftsrisikos in Form eines Verwahrentgeltes auf den Kunden abwälzen könnte. Sofern es sich um Altverträge handelt, realisiert sich das von der Beklagten zu tragende Geschäftsrisiko. Bei erst kürzlich geschlossenen Verträgen ging die Beklagte ein solches Risiko angesichts der bereits seit mehreren Jahren dauernden Niedrigzinsphase bewusst ein. Zudem besteht für die Beklagte die Möglichkeit, sich durch Kündigung von ihren Verpflichtungen zu lösen oder mit einem nachdrücklichen Hinweis auf diese Möglichkeit den Abschluss ergänzender Entgeltvereinbarungen durchzusetzen.“

Durch diese Aussagen wird sehr deutlich, dass das Landgericht Berlin mit seinem Urteil nicht grundlegend ein Verbot von Verwahrentgelt ausspricht. Wie schon das Landgericht Tübingen und das Landgericht Leipzig spricht sich das Landgericht Berlin allerdings eindeutig gegen eine einseitige Einführung des Verwahrentgeltes in einen Kontovertrag aus. Als einseitig wird dabei die Einführung des Verwahrentgeltes in die Zahlungsdienstleistungsverträge durch das Preis- und Leistungsverzeichnis qualifiziert. Eine zweiseitige, einvernehmliche Vereinbarung mit den Kunden ist gem. des Landgerichts Berlin aber ausdrücklich möglich (siehe oben).

Hinsichtlich des Verwahrentgeltes für Tagesgeldkonten führt das Landgericht Berlin aus, dass hier ein unregelmäßiger Verwahrvertrag gem. § 700 BGB vorliegt, ein Anspruch des Verwahrers auf ein Entgelt aber gesetzlich nicht vorgesehen ist. Des Weiteren verweist das Landgericht Berlin auf die zum Girokonto getroffene Interessenabwägung, so dass die Möglichkeit einer zweiseitigen Vereinbarung auch für Tagesgeldkonten anzunehmen ist. 

 

Bedeutung für die Vereinbarung von Verwahrentgelten 

Wie oben dargestellt, bedeutet das Urteil des Landgerichts Berlin nicht ein grundsätzliches Verbot von Verwahrentgelt und positioniert sich im praktischen Ergebnis gar nicht so weit entfernt von den Vorgänger-Urteilen zum Verwahrentgelt aus Tübingen und Leipzig. Es gibt jedoch eindeutige Hinweise darauf, was bei der Einführung von Verwahrentgelten zu beachten ist, um eine für alle Seiten verlässliche und rechtsverbindliche Vereinbarung zu treffen. So ist eine reine Aufnahme eines Verwahrentgeltes in das Preis- und Leistungsverzeichnis bei Unterzeichnung eines üblichen Girovertrages nicht ausreichend, auch nicht im Neugeschäft. Es ist eine zweiseitige, von der Bank und vom Kunden unterzeichnete Vereinbarung über ein Verwahrentgelt notwendig. Dabei sollte diese Vereinbarung den Verwahrcharakter der bankseitigen Leistungen klar und eindeutig bezeichnen bzw. herausstellen. Soweit das Landgericht Berlin statuiert, eine Bank könne die Unterzeichnung von gesonderten Vereinbarungen durch den nachdrücklichen Hinweis auf ihre Kündigungsmöglichkeit durchsetzen, sollte ein solches Vorgehen nur nach umfassender rechtlicher und geschäftspolitischer Würdigung erfolgen. Denn vor dem Hintergrund der Äußerungen der BaFin in ihrer Aufsichtsmitteilung vom 26.10.2021 (Erwartungshaltung der BaFin zur Umsetzung des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 27. April 2021) steht zu vermuten, dass das vom Landgericht Berlin avisierte zivilrechtliche Vorgehen womöglich nicht auf aufsichtsrechtliche Zustimmung stoßen wird. 

 

PRAXISTIPPS

  • Wurde das Verwahrentgelt bislang einseitig über das Preis-Leistungsverzeichnis eingeführt, bestehen Rechtsrisiken. Deshalb ist eine Überprüfung der bisherigen Vorgehensweise zur Einführung von Verwahrentgelten zu empfehlen.
  • Einführung von Verwahrentgelten im Privatkundengeschäft ausschließlich über eine zweiseitige (Zusatz-)Vereinbarung, welche von Bank und Kunde unterschrieben wird. Dies gilt auch für das Neugeschäft.
  • Den Prozess im Rahmen eines Wechsels von Kontomodellen/-varianten nicht vergessen.
  • Wenn das Verwahrentgelt bereits durch eine zweiseitige (zusätzliche) Vereinbarung abgeschlossen wird, Überprüfung, ob sich aus den rechtlichen Hinweisen des Landgerichts Berlin Anpassungsbedarf für den Wortlaut ergibt. 
  • Auch im Geschäftskundengeschäft sollte vorrangig auf eine zweiseitige Vereinbarung gesetzt werden. Hier kann zwecks Prozessentlastung an eine mündliche Vereinbarung und eine Dokumentation durch ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben gedacht werden. Hierbei ist bei der Formulierung des kaufmännischen Bestätigungsschreibens darauf zu achten, dass dieses nur eine bereits geschlossene Vereinbarung dokumentieren, aber z. B. eine Weigerung des Kunden nicht heilen kann.

Beitragsnummer: 19434

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