Freitag, 21. Januar 2022

EuGH: unionsrechtswidrige Beihilfen bei Erwerb aus der Insolvenz

Auch bei einem Asset Deal aus der Insolvenzmasse kann für den Erwerber eine Haftung für Beihilfen entstehen

Dr. Bettina E. Breitenbücher, Restrukturierungsexpertin, BREITENBÜCHER Rechtsanwälte

 

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 02.09.2021 (Rechtssache C – 647/19 P) den Weg weiter geebnet, um von einem Erwerber von Vermögenswerten die Rückzahlung von „verdeckten” Beihilfen zu verlangen. Das Urteil betrifft den Erwerb von Assets aus einem Insolvenzverfahren. 

Das Urteil zum Nürburgring

Im Kern geht es in dem aktuellen Urteil des EuGH um die Frage, ob den Erwerber Capricorn, der vom Insolvenzverwalter des Nürburgrings im Rahmen eines Bietverfahrens die Vermögenswerte im Wege eines Asset Deals erworben hatte, eine Haftung für unionsrechtswidrige Beihilfen trifft. Der „Ja zum Nürburgring” e.V. trat als Kläger auf. Dieser hatte selbst ein Übernahmeangebot abgegeben und war damit im Rahmen des vom Insolvenzverwalter durchgeführten Bietverfahrens nicht berücksichtigt worden, obwohl das von ihm abgegebene Kaufangebot höher gewesen war. Dieses höhere Kaufangebot wurde nicht berücksichtigt, da dessen Finanzierung nicht gesichert war. Das Angebot von Capricorn dagegen sei zwar niedriger, jedoch mit einer verbindlichen und damit gesicherten Finanzierungszusage unterlegt gewesen. Den Investoren war insoweit mitgeteilt worden, dass sie unter anderem nach der Abschlusswahrscheinlichkeit der Transaktion ausgewählt würden, dazu gehörte auch die Finanzierungssicherheit des Angebots.

Der „Ja zum Nürburgring” e.V. machte in seiner Klage vor dem EuGH geltend, dass das im Insolvenzverfahren durchgeführte Bietverfahren nicht offen, transparent, diskriminierungs- und bedingungsfrei gewesen, im Ergebnis also Capricorn bevorzugt worden sei. Zwar habe für das Kaufangebot von Capricorn eine Finanzierungsbestätigung einer deutschen Bank vorgelegen. Im Zuge des Rechtsstreits war jedoch ein wesentlicher Diskussionspunkt, ob diese als Finanzierungszusage bezeichnete Bestätigung auch inhaltlich verbindlich war. Vielmehr habe es sich im Kern jedoch nur um ein unverbindliches und unter zahlreichen Bedingungen stehendes Finanzierungsangebot gehandelt. Im Urteil ist in diesem Zusammenhang gar von einer Verfälschung von Beweismitteln die Rede. Aus dem so durchgeführten Bietverfahren könne nicht abgeleitet werden, dass der Erwerb zu einem dem Marktpreis entsprechenden Preis erfolgte. Capricorn könne daher in dem intransparent und diskriminierend durchgeführten Bietverfahren eine Vorzugsbehandlung und gegebenenfalls eine Beihilfe gewährt worden sein, und zwar in der Höhe der Differenz zwischen dem Marktpreis der Vermögenswerte und dem von Capricorn gezahlten Kaufpreis. 

Eine weitere Gewährung von Beihilfen könne auch in der Vereinbarung einer nachfolgenden Ratenzahlung und der Zwischenverpachtung unter Anrechnung des Pachtzinses auf den Kaufpreis bis zur Klärung anderer beihilferechtlicher Fragen liegen. Wenige Monate nach Abschluss des Kaufvertrags mit Capricorn wurden die Vermögenswerte des Nürburgrings überdies auf Basis einer parallel vereinbarten Garantievereinbarung wegen der fortgesetzten Nichtzahlung der zweiten Rate des Kaufpreises an einen Untererwerber weiterverkauft. In dieser Fortsetzung des Veräußerungsprozesses könne ebenfalls eine beihilferechtlich relevante wirtschaftliche Kontinuität hinsichtlich der Fortführung des Nürburgrings durch den Letzterwerber zu sehen sein.

 

Auswirkungen auf die Restrukturierungs- und Insolvenzpraxis

Häufig finden Unternehmensübernahmen in der Krise oder aus der Insolvenz heraus statt. Investoren versprechen sich vor einem solchen Hintergrund einen „günstigen“ Einkauf. Der EuGH sieht jedoch auch beim Erwerb aus der Insolvenz heraus Möglichkeiten einer Marktverzerrung, wenn der Verkaufsprozess nicht transparent und diskriminierungsfrei gesteuert wird. Investorenprozesse sind daher mit großer Sorgfalt und Transparenz aufzusetzen. Sonst drohen Haftungsszenarien und Rückforderungsansprüche auch für die Investoren.

Das Urteil des EuGH kann darüber hinaus Konsequenzen für die Fortführung eines Unternehmens nach einem Insolvenzplan haben. Auch hier muss Augenmerk auf eine „marktgerechte” Behandlung der betroffenen Vermögenswerte gelegt werden, damit in dem mit einem Insolvenzplan regelmäßig verbundenen Erlass von Verbindlichkeiten kein Beihilfetatbestand verwirklicht wird. Rechtswidrige Beihilfen können nicht erlassen werden Gleiches kann bei der Durchführung eines Restrukturierungsplans nach dem StaRUG gelten. 

Diese potentielle Haftung wird bei der Finanzierung von Restrukturierungsmaßnahmen und von Übernahmen aus der Insolvenz zukünftig mehr Augenmerk verdienen.

 

PRAXISTIPPS

  • Sicherstellung der Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Veräußerungs- oder Bewertungsprozesses
  • Auswahl objektiver Kriterien
  • gute Dokumentation des Veräußerungs- oder Bewertungsprozesses
  • Einschätzung beihilferechtlicher Risiken im Finanzierungsprozess
  • sowohl bei der Finanzierung eines Asset Deals 
  • als auch bei der Finanzierung von Restrukturierungs- und Insolvenzplänen 

Beitragsnummer: 19534

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