Dienstag, 15. Februar 2022

Pandemiebedingte Schließung als Störung der Geschäftsgrundlage

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

In seiner Entscheidung vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21, (BB 2022, 247 ff.) hält der Bundesgerichtshof zunächst fest, dass die pandemiebedingte Schließung eines Handelsgeschäfts, die auf einer Maßnahme zur Bekämpfung der Covid-Pandemie beruht, als Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB anzusehen ist (Rn. 43 ff.). Hieran anschließend führt er aus, dass das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache auf Grund einer pandemiebedingten Schließung eines Handelsgeschäfts nicht allein vom Mieter zu tragen ist (Rn. 55). Sodann hält der Bundesgerichtshof fest, dass die Vertragsparteien, hätten diese die Möglichkeit einer Pandemie vorhergesehen, bei Abschluss des Mietvertrages die Möglichkeit einer Mietanpassung vorgesehen hätten (Rn. 52). Bei der Frage wiederum, ob das Festhalten am Mietvertrag für die betroffene Partei unzumutbar gewesen sei, lehnt der Bundesgerichtshof die vom Berufungsgericht in der Weise vorgenommene pauschale Vertragsanpassung ab, wonach die mit der pandemiebedingten Geschäftsschließung verbundenen Belastungen und Nachteile gleichmäßig auf beide Vertragsparteien zu verteilen und daher die Miete pauschal um die Hälfte zu kürzen sei (Rn. 57 ff.). Der Bundesgerichtshof ist nämlich der Auffassung, dass die Beantwortung der Frage, ob das Festhalten am Vertrag für die betroffene Partei unzumutbar ist, einer umfassenden Abwägung bedarf, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, wobei bei der Abklärung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag zumutbar ist, Art und Dauer der Nachteile sowie etwaig erlangte (auch staatliche) finanzielle Vorteile zu berücksichtigen sind (Rn. 58 ff.). Da das Berufungsgericht eine solche Einzelabwägung nicht vorgenommen hatte, wurde das Verfahren an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.


PRAXISTIPP

Vorstehende BGH-Entscheidung macht deutlich, dass eine Vertragsanpassung aufgrund Störung der Geschäftsgrundlage stets dann in Betracht kommt, wenn das Vertragsgefüge durch völlig unerwartete und von keiner Vertragspartei vorhergesehene Umstände und Ereignisse gestört wird (so auch BAG, Urteil vom 08.12 2020, Az. 3 AZR 65/19, wo eine Äquivalenzstörung sowie eine Zweckverfehlung im Sinne einer Störung der Geschäftsgrundlage wegen gestiegener bilanzieller Rückstellungen bei einer Versorgungszusage abgelehnt wurde.).

Insofern könnte vorstehende BGH-Entscheidung sowie das zitierte BAG-Urteil Anlass sein, erneut darüber nachzudenken, ob nicht auch die von Niemandem vorhergesehene langjährige Negativzinsphase, welche in vielen Bereichen zu einer nicht vorhersehbaren und daher auch nicht steuerbaren Veränderung des wirtschaftlichen Gesamtgefüges von Leistung und Gegenleistung innerhalb des jeweiligen Vertragsverhältnisses geführt hat, nicht doch als Störung der Geschäftsgrundlage anzusehen ist, welche zu einer Vertragsanpassung führen muss und gegebenenfalls zu einer Kündigung des Vertragsverhältnisses. Entsprechendes wurde bereits im Zusammenhang mit sogenannten „Altbausparverträgen" mehrfach diskutiert (vgl. zuletzt Freitag, ZIP 2021, 1785; Haertlein, BB 2018, 259; Burghof/Schmidt/Willershausen, WM 2017, 1437 sowie Edelmann/Schön BB 2017, 329), könnte aber auch für Versicherungsverträge und vergleichbare Fallkonstellationen eine Rolle spielen.


Beitragsnummer: 20585

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