Dienstag, 15. Februar 2022

Schadensersatzansprüche bei Vermögensverschiebung

Keine Befugnis des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung von Ansprüchen der Insolvenzgläubiger auf Schadensersatz wegen Vermögensverschiebung

Andrea Neuhof, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Frankfurt am Main

 

Mit Urteil vom 21.10.2021, IX ZR 265/20, hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass Ansprüche der Gläubiger gegen den Schuldner selbst aufgrund vor Insolvenzeröffnung vorgenommener Vermögensverschiebungen nicht vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden können.

Der klagende Insolvenzverwalter nahm den Insolvenzschuldner selbst, dessen Ehefrau sowie eine von dieser gesetzlich vertretenen in Palma de Mallorca ansässigen Gesellschaft auf Zahlung von 5.000.000 € nebst Zinsen, von weiteren 400.000 €, von weiteren 100.000 € und von weiteren 200.000 € in Anspruch. Im Laufe des Rechtsstreits hat er die Zahlung weiterer 1.500.000 € verlangt. Hintergrund war, dass der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen Einzahlungen auf das Konto seiner Ehefrau in Höhe von insgesamt 4.998.000 € sowie eine Überweisung in Höhe von 5.400.000 € vom Konto der Ehefrau auf das Konto der von dieser vertretenen Gesellschaft vorgenommen hat. Der Kläger behauptete, dem beklagten Schuldner sei es angesichts seiner drohenden Zahlungsunfähigkeit darauf angekommen, sein Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger zu sichern und den Grund der Zahlungen zu verschleiern.

Das Landgericht Berlin (Az. 104 a O 31/18) hat die im Urkundenprozess erhobene Klage mit Urteil vom 11.10.2019 abgewiesen. Das Kammergericht (Az. 14 U 168/19) hat den Beklagten mit Urteil vom 28.08.2020 als Gesamtschuldner neben der von seiner Ehefrau vertretenen Gesellschaft im Wege des Schluss-Vorbehaltsurteils zur Zahlung von 4.998.000 € nebst Zinsen verurteilt. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es den beklagten Schuldner betrifft, sowie zur Wiederherstellung des die Klage insoweit abweisenden Urteils des Landgerichts.

Der Bundesgerichtshof begründete dies primär mit dem Zweck des § 92 S. 1 InsO. Die Vorschrift diene dazu, den ungestörten Ablauf des Insolvenzverfahrens zu sichern und die Insolvenzmasse zugunsten aller Gläubiger zu vervollständigen (dies mit Verweis auf BGH, Urteil vom 21.03.2013 – III ZR 260/11). Unter anderem habe der Schädiger den Schadensersatz in die Masse zu leisten, um zu verhindern, dass sich einzelne Gläubiger durch gesonderten Zugriff Vorteile verschaffen und dadurch den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger verletzen. 

Diese Gefahr sieht der BGH allerdings im Falle von Vermögensverschiebungen des Schuldners selbst vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nicht gegeben. Solche könnten zwar Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder nach § 826 BGB begründen. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens könnten die Insolvenzgläubiger derartige Ansprüche jedoch ohnehin nicht mehr außerhalb des Insolvenzverfahrens verfolgen, sondern nur noch als Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO gem. § 87 InsO zur Tabelle anmelden. Sondervorteile einzelner Gläubiger, welche dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zuwiderliefen, seien hierdurch ausgeschlossen, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 92 S. 1 InsO bedürfe. Die Vorschrift des § 92 InsO erfasse demzufolge Ansprüche der Insolvenzgläubiger gegen Gesellschafter oder Organe der insolventen Schuldnerin oder gegen Dritte, nicht jedoch Ansprüche gegen den Schuldner selbst. Dies gelte jedenfalls dann, wenn das masseschädigende Verhalten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden habe.

Überdies weist der BGH darauf hin, dass der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen regelmäßig ohnehin nicht mehr über Mittel verfüge, aus denen er einen vom Verwalter für die Insolvenzgläubiger geltend gemachten Zahlungsanspruch befriedigen könnte. Zudem halte die Insolvenzordnung auch kein Verfahren für die Geltendmachung eines vor der Eröffnung entstandenen Zahlungsanspruchs gegen den Schuldner durch den Verwalter bereit. Hinzu komme, dass die Insolvenzordnung für die Sicherung der Masse vor dem Zugriff des Schuldners bereits die Vorgehensweise gemäß § 148 Abs. 1 InsO vorsehe, nämlich dass der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen habe. 

 

PRAXISTIPP

Gemäß § 92 S. 1 InsO kann der Gesamtschaden, also Ansprüche der Insolvenzgläubiger auf Ersatz eines Schadens, den diese Gläubiger gemeinschaftlich durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlitten haben, während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Auf den ersten Blick fielen Ansprüche gegen den Schuldner aufgrund von Vermögensverschiebungen zulasten der Masse vor Insolvenzeröffnung unter diesen Tatbestand. Allerdings schränkt der BGH den Tatbestand des § 92 S. 1 InsO dahingehend ein, dass die aus § 92 S. 1 InsO folgende Befugnis des Verwalters, Schadensersatzansprüche wegen Masseverkürzung geltend zu machen, sich nicht auf Ansprüche gegen den Schuldner selbst erstreckt, wenn das masseschädigende Verhalten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat.

Schadensersatzansprüche der Gläubiger gegen den Schuldner selbst aufgrund vor Insolvenzeröffnung vorgenommener Vermögensverschiebungen können hiernach nicht vom Insolvenzverwalter geltend gemacht, stattdessen aber als Quotenschaden von den Gläubigern gem. §§ 87, 174 ff. InsO selbst als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet werden. 

Unbenommen bleibt dem Insolvenzverwalter freilich die Insolvenzanfechtung gem. §§ 129 ff. InsO gegenüber etwaigen Leistungsempfängern, wie auch ggf. die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gemäß § 826 BGB gegenüber diesen, bspw. im Falle eines planmäßigen Zusammenwirkens mit dem Schuldner, um dessen wesentliches Vermögen dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Insoweit wäre die Vorschrift des § 92 Abs. 1 InsO auch nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs nach wie vor einschlägig.


Beitragsnummer: 20587

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