Dienstag, 22. März 2022

BGH: EuGH-Vorlage zum Verwirkungseinwand bei Widerruf

Hervé EdelmannFachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

Im Anschluss an die Vorlageentscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12.10.2021 (vgl. hierzu Edelmann, BTS-Ausgabe Dezember 2021/Januar 2022, S. 126) hat nunmehr auch der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 31.01.2022, Az. XI ZR 113/21, 144/21, 196/21, 215/21, 228/21, 279/21 und 304/21 (WM 2022, 420) , in sieben Fällen von Finanzierungen von PKWs durch Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge dem EuGH die Frage vorgelegt, ob entsprechend der bisher anerkannten Rechtsprechung des BGH Art. 14 der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG dahingehend auszulegen ist, dass es den nationalen Gerichten nicht verwehrt ist, im Einzelfall bei Vorliegen besonderer, über den bloßen Zeitablauf hinausgehender Umstände die Berufung des Verbrauchers auf sein wirksam ausgeübtes Widerrufsrecht als missbräuchlich oder betrügerisch zu bewerten mit der Folge, dass ihm die vorteilhaften Rechtsfolgen des Widerrufs versagt werden können.

In diesem Zusammenhang stellt der Bundesgerichtshof zunächst klar, dass es einem Verbraucher nach der eigenen Rechtsprechung des EuGH dann verwehrt ist, sich auf unionsrechtliche Regelungen zu berufen, wenn er dies missbräuchlich tut (Rn. 58). Sodann führt der Bundesgerichtshof aus, dass die Frage, ob ein missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten vorliegt, allein die nationalen Gerichte gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts durch eine Analyse des gesamten Sachverhalts zu ermitteln haben; dies allerdings nur und insoweit, als dadurch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird (Rn. 62).

Hieran anschließend weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass der EuGH nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 09.09.2021 (WM 2021, 1986), in welcher der EuGH ausgeführt hat, dass die Bank dem Verbraucher auch dann keinen Missbrauch seines Widerrufsrechts vorwerfen kann, wenn zwischen dem Vertragsschluss und dem Widerruf durch den Verbraucher erhebliche Zeit vergangen ist, keine Aussage darüber getroffen hat, ob der Missbrauchseinwand dem Verbraucher ungeachtet dessen jedenfalls dann entgegengehalten werden kann, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die über den bloßen Zeitablauf hinausgehen und in ihrer Gesamtheit die Annahme tragen, der Verbraucher berufe sich willkürlich auf eine formale Rechtsstellung (Rn. 68 f.).

Hiervon ausgehend legt der Bundesgerichtshof sodann umfassend dar, dass und aus welchen Gründen er, der BGH, dazu neige, in allen betroffenen sieben Fällen Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie dahingehend auszulegen, dass es den nationalen Gerichten nicht verwehrt ist, im Einzelfall bei Vorliegen besonderer über den bloßen Zeitablauf hinausgehender Umstände die Berufung des Verbrauchers auf sein wirksam ausgeübtes Widerrufsrecht als missbräuchlich zu bewerten mit der Folge, dass ihm die vorteilhaften Rechtsfolgen des Widerrufs versagt werden können (Rn. 70 ff.). In diesem Zusammenhang zeigt der Bundesgerichtshof darüber hinaus unter Hinweis auf die sog. Hamilton-Entscheidung des EuGH vom 19.12.2013, Az. C209/12, auf, dass auch der EuGH dem Zeitpunkt der Beendigung eines Verbraucherkreditvertrages insofern eine besondere Bedeutung einräumt, als ab diesem Zeitpunkt kein absoluter Vorrang mehr vor der Rechtssicherheit eingeräumt wird, sodass die Ausübung des Widerrufsrechts nach den maßgeblichen nationalen Regelungen zeitlich begrenzt werden kann (Rn. 77 f.).

 

PRAXISTIPP

Vor dem Hintergrund der beiden Vorlagebeschlüsse des Bundesgerichtshofs sowie des Oberlandesgerichts Stuttgart, a. a. O., wird der EuGH dieses Mal nicht umhinkommen, eine Aussage dahingehend zu treffen, ob aufgrund der besonderen, über den bloßen Zeitablauf hinausgehenden Umstände des Einzelfalles dem Verbraucherdarlehensnehmer der Verwirkungseinwand entgegengehalten werden kann, wenn dieser von seinem Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich Gebrauch macht, wofür ausweislich der überzeugenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs sowie des Oberlandesgerichts Stuttgart in deren Vorlagebeschlüssen sehr viel spricht.


Beitragsnummer: 20632

Beitrag teilen:

Beiträge zum Thema:

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.