
Dr. Kai-Oliver Giesa, Rechtsanwalt und Partner, SNP Schlawien Partnerschaft mbB
Am 23.02.2022 veröffentlichte die Europäische Kommission den Entwurf einer EU-Richtlinie über Sorgfaltspflichten zur Nachhaltigkeit von Unternehmen (Corporate Sustainability Due Diligence). Ebenso wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zielt der Richtlinienentwurf auf eine Vermeidung und Reduzierung menschenrechtlicher sowie umweltbezogener Risiken in Geschäftsbeziehungen. Im Vergleich zu dem LkSG enthält der Richtlinienentwurf inhaltliche Verschärfungen der Sorgfaltspflichten und eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf weitere Unternehmen. Sollte der Richtlinienentwurf in der vorliegenden Fassung verabschiedet werden, müsste das LkSG im Laufe einer Umsetzungsfrist von zwei Jahren angepasst werden. Auch Unternehmen der Kreditwirtschaft sollten sich möglichst frühzeitig auf die zu erwartenden Neuerungen vorbereiten.
Anwendungsbereich
Im Vergleich zu dem LkSG soll die geplante EU-Richtlinie einen deutlich größeren Anwendungsbereich haben. Das LkSG gilt ab dem Jahr 2023 für Unternehmen mit Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland ab 3.000 Mitarbeitern im Inland (ab dem Jahr 2024: 1.000 Mitarbeiter im Inland). Die EU-Richtlinie soll in einem ersten Schritt für alle Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem weltweiten Netto-Jahresumsatz von mindestens 150 Mio €. Anwendung finden. Nach zwei Jahren soll sich der Schwellenwert auf Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und einem weltweiten Jahresumsatz von 40 Mio. € reduzieren, sofern die Hälfte des Umsatzes aus bestimmten ressourcenintensiven Branchen stammt. Auch für Unternehmen aus Drittstaaten, die innerhalb der EU Jahresumsätze über den oben genannten Schwellenwerten verzeichnen, soll die EU-Richtlinie vergleichbar zeitlich abgestuft gelten. Bei einem Jahresumsatz zwischen 40 Mio. € und 150 Mio. € gilt dies aber nur, falls die Unternehmen mindestens die Hälfte dieses Jahresumsatzes in ressourcenintensiven Branchen erwirtschaften. Ressourcenintensive Branchen im Sinne der EU-Richtlinie sollen u. a. die Textilwirtschaft, die Lebensmittelproduktion, die Landwirtschaft sowie die Förderung und Verarbeitung von Bodenschätzen sein.
Auch wenn die EU-Richtlinie nicht direkt für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gelten soll, würde sich die EU-Richtlinie zumindest mittelbar auch auf diese Unternehmen auswirken. Bereits im Zusammenhang mit der Einführung des LkSG lässt sich beobachten, dass Großunternehmen ihre Pflichten aus dem LkSG vertraglich an ihre Vertragspartner weiterreichen. Auch diese Vertragspartner müssen gemäß den vertraglichen Regelungen Sorgfaltspflichten einhalten. Dieser Effekt dürfte sich durch den erweiterten Anwendungsbereich der EU-Richtlinie verstärken und sich auch auf internationale Geschäftsbeziehungen ausweiten.
Lieferkette
Während das LkSG einen starken Fokus auf die Geschäftsbeziehungen der Unternehmen mit ihren direkten Zulieferern hat, sollen sich die Sorgfaltspflichten gemäß der EU-Richtlinie verstärkt auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken. Darunter sind alle Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Herstellung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen, einschließlich der Entwicklung, der Nutzung und der Entsorgung, sowie der damit verbundenen Tätigkeiten der vor- und nachgelagerten Geschäftsbeziehungen zu verstehen. Somit sind z. B. auch Tochtergesellschaften, Kunden sowie mittelbare Lieferanten betroffen, zu denen zumindest eine dauerhaft etablierte Geschäftsbeziehung besteht.
Unternehmen der Kreditwirtschaft
Die Richtlinie nimmt in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch Unternehmen der Kreditwirtschaft in die Pflicht. Dies gilt u. a. für Kreditinstitute aller Art, Investmentfirmen und Versicherungen. Für sie gelten die Prüfungs- und Sorgfaltspflichten vor allem in Bezug auf die Vergabe von Leistungen (z. B. Kreditvergabe). Ausgenommen wären lediglich Kreditvergaben gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).
Menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten
Die erforderlichen Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe von negativen umwelt- und menschenrechtlichen Auswirkungen sowie zur Berichterstattung und der Installation eines Beschwerdesystems ähneln denen des LkSG, wobei es punktuelle Verschärfungen geben soll. Zum einen wird von den Unternehmen ausdrücklich verlangt, Risiken entlang der Wertschöpfungskette auch mit gezielten Investitionen zu verhindern. Zum anderen wird ausdrücklich geregelt, dass schon im Rahmen der Präventionsmaßnahmen die Unterbrechung oder in Härtefällen sogar die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit einem risikobehafteten Geschäftspartner geboten sein kann.
Für die oben genannte Gruppe der größeren Unternehmen (d. h. mehr als 500 Mitarbeiter und weltweiter Netto-Jahresumsatz von mindestens 150 Mio. €) würden ferner verschärfte Umweltschutzregeln gelten. Sie müssten die Komptabilität ihrer Unternehmenspolitik mit der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens überprüfen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Reduktion der eigenen Emissionen treffen.
Zivilrechtliche Haftung
Eine besonders gewichtige Verschärfung soll in Form einer gesonderten zivilrechtlichen Haftung der Unternehmen eintreten. Sofern ein Unternehmen gegen die Sorgfaltspflichten verstößt und dadurch einen umwelt- oder menschenrechtlichen Schaden verursacht, können Geschädigte direkt Schadensersatzansprüche gegen das betreffende Unternehmen geltend machen. Hierdurch dürften die Haftungsrisiken für Unternehmen erheblich steigen.
PRAXISTIPPS
- Prüfung der direkten Anwendbarkeit der EU-Richtlinie auf das eigene Unternehmen.
- Schaffung der personellen Strukturen zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten (z. B. Risikomanagement, Risikoanalyse und Abhilfemaßnahmen).
- Einrichtung des Beschwerdeverfahrens.
- Anpassung der Verträge (z. B. Kreditverträge, Dienstleistungsverträge, Lieferverträge).
- Schulung der betroffenen Mitarbeiter.
- Überarbeitung des Geschäftspartnermanagements (z. B. Bewertung, Auswahl und Kontrolle).
Beitragsnummer: 20665