Frank Schottenheim, Director Financial Institutions, Risikomanagement, PS Team GmbH
I. Maschinenbau: Beziehungen auf Distanz
Ob Baumaschinen, Straßenbautechnik oder landwirtschaftliche Maschinen, Produktionsanlagen oder IT-Equipment: All diese kostspieligen Objekte verbindet, dass sie in der Regel von Unternehmen genutzt werden, die das Equipment nicht besitzen. Neben Herstellern, Banken und Leasinggesellschaften interessieren sich weitere Akteure für die Assets und ihren Zustand. Um sie in Augenschein zu nehmen, müssen sie in der Regel weite Wege in Kauf nehmen.
1. Factoring: wachsender Marktanteil
Zu den Playern mit wachsender Bedeutung zählen bspw. Factorer. Der Deutsche Factoring Verband gibt den Umsatz seiner Mitglieder im Jahr 2020 mit 279,2 Mrd. € an, erwirtschaftet mit mehr als 80.000 Kunden. Dabei liegt die Factoring-Quote, das Verhältnis von angekauften Forderungsvolumen zum BIP, bei beachtlichen 8,4 %. Das reicht zwar noch nicht an Quoten von bis zu 18 % (Belgien) heran, doch der Anteil steigt.
Der Forderungsverkauf wandelt sich vom vermeintlich letzten Ausweg zu einem attraktiven Instrument der Absatzfinanzierung. Als Branche mit langen Zahlungszielen hochpreisiger Güter nutzt der Maschinen- und Anlagenbau (MAB) das Factoring, um die eigene Liquidität zu steigern und damit die Verhandlungsposition gegenüber Kreditgebern zu verbessern. Hinzu kommt die Entlastung von Rechnungsnachverfolgung und Mahnverfahren.
2. Leasing: MAB als sichere Bank
Im vergangenen Jahr lag der Leasinganteil bei Ausrüstungsinvestitionen bei über einem Viertel (26,7 %). Damit ist diese Art der Finanzierung eine wichtige Säule für das in weiten Teilen mittelständisch geprägte Geschäft mit gewerblichen Mobilien. Wie beim Factoring müssen mehrere Parteien so viel wie möglich über die Investitionsgüter wissen und dieses Wissen austauschen: Hersteller, Nutzer, Leasinggesellschaft, Versicherer und so weiter.
3. Remarketing: Assets mit mehreren Leben
Nachdem eine Finanzierung ausgelaufen ist oder wenn ein Kreditnehmer seinen Zahlungsvereinbarungen nicht nachkommen kann, geraten erneut die Assets in den Blick: Maschinen müssen sichergestellt und bewertet werden. Im Rahmen des Remarketings gilt es, sie so zu präsentieren, dass sich potenzielle Käufer ein Bild von deren Zustand machen können.
II. Remote Audits: digitales Tool für dynamische Geschäftsbeziehungen
Reisebeschränkungen und hohe Spritkosten erschweren die Besichtigung von Objekten. Videotechnologien setzen sich daher auch in diesem Bereich immer mehr durch und stellen zumindest eine willkommene Ergänzung dar. Genügen diese den spezifischen Anforderungen industrieller Anwender (vgl. dazu Beitrag in ForderungsPraktiker Ausgabe 01-02/2022 „Digital begutachten: Remote Audits in der Praxis“ https://www.fch-gruppe.de/Beitrag.aspx?ID=19439), erhöhen sie die Flexibilität verschiedener Stakeholder erheblich.
Die PS-Team-App Dragonfly – Remote Audit Solution wird von einem wachsenden Anwenderkreis vielfältig eingesetzt. Andreas Weiß, Abteilungsleiter Commerz Real Mobilienleasing:
„Damit können wir vom Schreibtisch aus virtuell Objektprüfungen vornehmen. Die Lösung ist speziell auf Audits von Industriegütern wie Bau- und Agrarmaschinen oder Flurfördergeräte ausgelegt. So lokalisiert und überprüft sie den Standort über GPS-Daten und Zeitstempel weisen den Aufnahmen eindeutig Tag und Uhrzeit zu. Ohne Qualitätsverlust sparen wir und unsere Kunden viel Zeit und Geld.“
1. Gebrauchtmaschinen
Um zu einem gemeinsamen Verständnis von Wert und Zustand einer Gebrauchtmaschine zu gelangen, müssen Käufer und Verkäufer diese begutachten. Die Live-Streaming-App erlaubt, sich online an der Maschine zu treffen und auch Dritte wie bspw. Kreditgeber und Versicherer mit geringem Aufwand einzubinden. Interessenten fällt es leichter, sich anhand des remote dokumentierten Istzustands für oder gegen den Kauf zu entscheiden. Verkäufer nutzen digitale Technologien, um die Objekte ins rechte Licht zu setzen und Kaufargumente zu untermauern.
Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Konstellation sich Verkäufer, Käufer, Kreditgeber und -nehmer begegnen: Sowohl für Finanzierungsverhandlungen als auch für Leasingrückläufer sowie Versicherungsobjekte dient das – remote erstellte – Wertgutachten als Entscheidungsgrundlage. Andreas Weiß:
„Wir können die App für alle erdenklichen Zwecke einsetzen: für die Beweissicherung in Insolvenzverfahren, die Schadenschnellaufnahme, eine Erstinspektion, Inbetriebnahmen und Funktionsnachweise, für Bestandsprüfungen, die Objektverwertung und weitere Prozesse, die möglicherweise künftig auf uns zukommen.“
2. Maschinenparks
Steht ein Unternehmen zum Verkauf, soll eine Nachfolgeregelung greifen oder bei einer Insolvenz müssen Wertgutachten nicht nur für einzelne Maschinen, sondern für ganze Maschinenparks erstellt werden, um anhand des Zeitwerts den Unternehmenswert einschätzen zu können. Mit Video-Apps lässt sich eine Vielzahl von Objekten schnell rechtssicher dokumentieren. Vor allem in kritischen Phasen erhöhen die Beteiligten so ihre Handlungsfähigkeit. Auch für die Auflösung von Arbeitsgemeinschaften (ARGE), die vor allem im Bau verbreitet sind, bietet sich der Einsatz von Video-Apps an.
3. Schadensfälle
Da immer mehrere Parteien an einer Maschine beteiligt sind, kommt es in Schadensfällen häufig zu Konflikten. Remote Audits bieten nicht nur Sicherheit, sondern können auch zur Deeskalation beitragen. Eigentümer, Mieter oder Nutzer machen sich gemeinsam ein Bild vom entstandenen Schaden. Asset-Experten lassen sich ad hoc einbinden.
„Ein weiterer Pluspunkt: Wir erfassen die Einsatzbedingungen und das Umfeld wie etwa eine Baustelle gleich mit“,
sagt Andreas Weiß. Eigentümer stellen so schnell fest, ob ein Schaden auf einen unsachgemäßen Einsatz zurückzuführen ist. Nutzer können ihrerseits nachweisen, dass auf der Baustelle alles mit rechten Dingen zugeht.
III. Global handlungsfähig
Ganz gleich, auf welchem Kontinent und in welchem Land: Die auf Baustellen eingesetzten Maschinen stammen in der Regel von einer überschaubaren Anzahl weltweit agierender Hersteller. Konzentrationsprozesse sind auch bei Bauunternehmen und Finanzierern zu beobachten. Sie stehen paradigmatisch für eine globalisierte Wirtschaft, die Unternehmen viele Möglichkeiten eröffnet, aber auch vor praktische Herausforderungen stellt. Um diese zu lösen, binden die Beteiligten häufig unabhängige Gutachter und Sachverständige ein. Dank digitaler Instrumente können auch Anbieter, die physische Audits logistisch an ihre Grenzen führen würden, zu Global Playern werden. Trotz vergleichsweise geringer Kapazitäten können sie ihre Kernkompetenzen in internationale Projekte einbringen und erweitern auf diese Weise ihren Spielraum. Speziell auf den industriellen Einsatz ausgelegte Apps tragen dazu bei, den deutschen Mittelstand zu stärken, indem sie dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.
PRAXISTIPPS
- Erweitern Sie mit digitalen Technologien Ihren Spielraum für die Begutachtung von Maschinen, Anlagen und weiteren Industriegütern.
- Prüfen Sie, inwiefern Sie Video-Apps nutzen können, um Prozesse zu modifizieren oder neu aufzusetzen und so Ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
- Es kommt nicht auf die Unternehmensgröße an: Erschließen Sie sich mit Remote Audits neue Kundengruppen.
Beitragsnummer: 21665