Montag, 6. Juni 2022

„Forbearance“-Maßnahmen in der Bankpraxis

Thomas Wuschek, Rechtsanwalt, MBA, SanExpert-Rechtsanwalt, Bottrop

Ausgangslage – Non Performing Loans, Forbearance, Bankenaufsicht, Finanzsystem

Auch im Jahr 2022 befinden sich die Kreditinstitute hinsichtlich der Entwicklung ihres Kreditgeschäftes weiterhin in einem komplexen, herausfordernden Marktumfeld. Dieses wird durch neue und erweiterte regulatorische Anforderungen z. B. der MaRisk, der Papiere von EZB und EBA zum Thema der Beherrschung der Risiken von Non Performing Loans und der Richtlinie zur Kreditvergabe und -überwachung aufsichtsrechtlich begleitet. Dabei steht im Zielbild ein qualitativ hochwertiges Kreditgeschäft, bei dem die Banken die perspektivischen Ausfälle beherrschen, im Blickpunkt.

Im Rahmen der Aufarbeitung der Finanzmarktkrise, die in ihrem weiteren Verlauf in einer Staatsschuldenkrise mündete, zeigte sich, dass innerhalb der europäischen Bankenlandschaft keine einheitlichen oder aufeinander abgestimmte Definitionen und Vorgehensweisen zu den Themenbereichen Schuldnerausfall, Bildung von Risikovorsorge oder Forbearance existierten.

Forbearance-Maßnahmen (Stundungsmaßnahmen) stellen auf der einen Seite ein wichtiges Instrument zur Anpassung des Risikoprofils eines Instituts im Kreditgeschäft dar – insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Abschwungphasen. Auf der anderen Seite kann der Einsatz von Forbearance-Maßnahmen auch zu einer Verzögerung oder gar Verschleierung von finanziellen Schwierigkeiten bei Kreditnehmern führen. In der Folge können geeignete Gegenmaßnahmen nur verspätet vorgenommen und die tatsächliche Portfolioqualität sowie die damit verbundenen Adressenausfallrisiken lediglich eingeschränkt beurteilt werden.

Vor allem werden durch die EZB- und EBA-Leitfäden zu notleidenden Krediten und den Papieren der EBA zum Ausfall und notleidenden Krediten ganz klar der erhöhte Anspruch der Aufsicht ersichtlich. Dies betrifft ein aus den Ergebnissen und Erfahrungen der Problemkreditbearbeitung abgeleitetes System der Risikofrüherkennung, der Kapitaldienstrechnung, der Sicherheitenbewertung und der Anwendung von Forbearance-Maßnahmen. 

Im Rahmen von sogenannten „PaaR-Prüfungen” (Prüfung aufsichtlich angemessener Risikovorsorge) wird durch die Bankenaufsicht auf die Umsetzung der wesentlichen genannten Anforderungen fokussiert geprüft. Hier steht neben dem bisherigen prozessorientierten Prüfungsansatz wieder die Einzelengagement-bezogene Werthaltigkeitsprüfung verstärkt im Fokus der Aufsicht (Überprüfung von Kreditsicherheiten, Beurteilung der nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeit). 

Gestundete Risikopositionen (Forborne Exposures)

Der im Bankenaufsichtsrecht verwendete Forbearance-Begriff geht zurück auf die seitens der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde vorgegebene Definition für „Forborne Exposures“ (Gestundete Risikopositionen). Demnach müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Kreditnehmer als „forborne“ einzustufen ist. Zum einen müssen seitens des Instituts Zugeständnisse (auch als Forbearance-Maßnahme bzw. Stundungsmaßnahme bezeichnet) gegenüber dem Schuldner eingeräumt worden sein. Zum anderen müssen (drohende) finanzielle Schwierigkeiten beim Schuldner vorliegen, die ursächlich für die Zugeständnisse waren.

Generell qualifizieren sich die Zugeständnisse seitens des Instituts als Maßnahmen, die ohne die finanziellen Schwierigkeiten beim Schuldner, diesem nicht gewährt worden wären. Des Weiteren wird der Schuldner durch die Forbearance-Maßnahme(n) gegenüber den ursprünglichen Vertragsbedingungen günstiger gestellt. Hierbei handelt es sich um Bedingungen, die Schuldnern mit ähnlichem Risikoprofil unter gewöhnlichen Umständen nicht eingeräumt worden wären.

Forbearance-Prozesse

Ziel von Forbearance-Maßnahmen ist es, rechtzeitige Vertragsänderungen vorzunehmen, um eine Migration von Kreditnehmern bzw. Risikopositionen in den Status notleidend zu vermeiden bzw. bereits als notleidend eingestufte Positionen in den „gesunden“ Kreditbestand zurückzuführen. Zentrales Kriterium erfolgreicher Forbearance-Maßnahmen ist deren Tragfähigkeit für den jeweiligen Kreditnehmer. Im Rahmen von tragfähigen Forbearance-Maßnahmen wird der Schuldner in die Lage versetzt, seine Verbindlichkeiten im Zeitverlauf abzubauen.

Die aufsichtsrechtlichen Vorgaben unterscheiden zwischen kurz- und langfristigen Forbearance-Maßnahmen, wobei nicht selten eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen zielführend sein kann.

Als kurzfristig werden Forbearance-Maßnahmen bezeichnet, wenn deren Dauer maximal zwei Jahre (im Falle von Projektfinanzierungen oder der Errichtung von Gewerbeimmobilien sogar nur ein Jahr) beträgt.

Kurzfristige Forbearance-Maßnahmen bieten sich immer dann an, wenn diese nicht zur Restrukturierung aufgelaufener Rückstände dienen sollen und die finanziellen Schwierigkeiten bei einem Kreditnehmer durch ein eindeutiges Ereignis hervorgerufen wurden. Des Weiteren sollte nachweislich keine Unsicherheit bezüglich der Erholung der Ertragssituation beim Kreditnehmer bestehen.

Im Falle von strukturellen bzw. nachhaltig bestehenden finanziellen Schwierigkeiten bei einem Schuldner können langfristige Forbearance-Maßnahmen – im Bedarfsfall kombiniert mit zusätzlichen kurzfristigen Maßnahmen – geeignete Handlungsoptionen für ein Institut darstellen, um den betreffenden Kreditnehmer weiter zu begleiten.

Bevor ein Institut Forbearance-Maßnahmen mit einem Kreditnehmer vereinbart, ist deren Tragfähigkeit zu beurteilen. Im Sinne einer soliden Ermittlung der Tragfähigkeit ist insbesondere der Aspekt zu berücksichtigen, ob auf Basis der Kapitaldienstfähigkeitsberechnung der Kreditnehmer nachweislich die im Rahmen der Forbearance-Maßnahme(n) anfallenden Zahlungen bedienen kann. 

Die Anwendung und die Überwachung von Forbearance-Maßnahmen sollten Institute in einer Forbearance-Richtlinie verbindlich regeln und in diesem Zusammenhang klare Vorgaben und Voraussetzungen in Bezug auf einzelne Maßnahmen und zur Tragfähigkeitsermittlung festlegen.

PRAXISTIPPS

  • Klare Definition von finanziellen Schwierigkeiten.
  • Darstellung der Forbearance-Maßnahmen im Kredit- und Bankprozess.
  • Erstellen einer Forbearance-Richtlinie für sämtliche Prozesswege im Rahmen der Forbearance-Maßnahmen.   

Beitragsnummer: 21675

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