Dienstag, 17. Januar 2023

Haftungen der Abschlussprüfer bei Wirecard

Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

Im Rahmen der Prüfung der Haftung der Abschlussprüfer von Wirecard für einen unterstellt fehlerhaften Abschlussvermerk verweist das Oberlandesgericht München entsprechend den früheren Hinweisen des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Parallelangelegenheiten (vgl. hierzu OLG München, Hinweise vom 20.12. und 09.12.2021, 8 U 6063/21, WM 2022, 174 m. Anm. Pölzig WUB 2022, 120) in seinem Beschluss vom 13.12.2021, 3 U 6014/21 (WM 2022, 470 ff.) zunächst darauf, dass die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze über die Beeinflussung der Anlageentscheidung durch Prospektfehler unabhängig davon gelten, ob das Schadensersatzbegehren auf vertragliche oder deliktische Ansprüche gestützt wird. Dies deshalb, weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass ein Prospektfehler auch ohne Kenntnis des Prospekts durch den Anleger für die Anlageentscheidung ursächlich wird, wenn der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept der Fondsgesellschaft von den Anlagevermittlern als Arbeitsgrundlage verwendet wird. Dies gilt entsprechend auch für die Haftung des Wirtschaftsprüfers für unrichtige Bestätigungsvermerke, die in Prospekten Verwendung gefunden haben. Denn auch dann sind die im Prospekt abgedruckten Bestätigungsvermerke aufgrund der Verwendung des Prospekts entsprechend dem Vertriebskonzept durch den Anlagevermittler auch Grundlage der Anlageentscheidung geworden (Rn. 4). Hiervon ausgehend führt das Oberlandesgericht München dann aus, dass die Annahme eines Anscheinsbeweises voraussetzen würde, dass ein unterstellt unrichtiger Bestätigungsvermerk Grundlage der Anlageentscheidung der Anleger geworden ist, sei es durch eine darauf gestützte Anlageberatung oder Vermittlung, sei es durch eigene Nachforschungen (Rn. 5). Hiervon wiederum ausgehend führt das Oberlandesgericht München auf, dass im konkreten Fall unstreitig kein Prospektmaterial existierte mit der Folge, dass der Anleger nicht prospektgestützt beraten wurde mit der weiteren Konsequenz, dass der Anscheinsbeweis nicht eingreifen kann (Rn. 6).

Sodann verweist das Oberlandesgericht München darauf, dass nach der anerkannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Kausalzusammenhang zwischen einem Unternehmensbericht und dem Kaufentschluss der Anleger vermutet wird, wenn die Aktien nach Veröffentlichung eines Unternehmensberichts erworben wurden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Anleger den Bericht gelesen oder gekannt hat. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Bericht die Einschätzung eines Wertpapiers in Fachkreisen mitbestimmt und damit eine Anlagestimmung erzeugt. Diese Anlagestimmung, welche dann endet, wenn im Laufe der Zeit andere Faktoren für die Einschätzung des Wertpapiers bestimmend werden – etwa eine wesentliche Änderung des Börsenindex, der Konjunktureinschätzung oder aber neuere Unternehmensdaten wie etwa ein Jahresabschluss – könne der Anleger für sich in Anspruch nehmen (Rn. 8). Dabei lasse sich die Dauer der von einem Unternehmensbericht ausgehenden Anlagestimmung nicht allgemein festlegen. In aller Regel würde die Anlagestimmung spätestens ein Jahr nach der Veröffentlichung nicht mehr bestehen (Rn. 8).

Hiervon ausgehend führt das Oberlandesgericht München sodann aus, dass nach seiner vorläufigen Einschätzung die vorgelegten uneingeschränkten Bestätigungsvermerke jedenfalls bei einem DAX-Unternehmen wohl grundsätzlich geeignet sind, eine positive Anlagestimmung zu erzeugen (Rn. 9).

Unabhängig hiervon gelangt das Oberlandesgericht München zum Ergebnis, dass nach seiner vorläufigen Einschätzung sowie unabhängig von einer positiven Anlagestimmung ein entsprechender Erfahrungssatz aufgrund des gewöhnlichen Laufs der Dinge dem Anleger zugutekommt (Rn. 17). Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können tatsächliche Vermutungen auf Erfahrungssätzen beruhen, die – je nach ihrer Aussagekraft und Stärke – einen für die Beweisführung bedeutsamen Anscheins- oder Indizienbeweis für die behauptete Tatsache begründen, wobei eine tatsächliche Vermutung als Indizienbeweis für eine behauptete Tatsache die Gesamtwürdigung aller Umstände erfordere (Rn. 18).

Wiederum ausgehend von dem hypothetischen Kausalverlauf, dass ein Insolvenzverfahren droht und im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann, spreche nach Auffassung des Oberlandesgerichts München bei Gesamtwürdigung aller Umstände ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts ergehender Erfahrungssatz dafür, dass der Anleger die streitgegenständlichen Aktienkäufe nicht getätigt hätte. Denn es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass ein durchschnittlicher Anleger Aktien erwirbt, wenn ein Insolvenzverfahren droht und im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (Rn. 22; einen solchen Erfahrungssatz bei P&R-Containerkäufen ablehnend, OLG München Beschluss vom 21.04.2022, 8 U 4257/21 BKR 2022, 646).

Insgesamt gelangt das Oberlandesgericht München in seinem Beschluss zum Ergebnis, dass doch einiges für eine Haftung der Abschlussprüfer sprechen würde, dass jedoch für eine solche Feststellung eine umfassende Beweisaufnahme notwendig sei, weswegen der Senat vorschlägt, die Angelegenheit zur Durchführung der Beweisaufnahme an das Landgericht München zurückzugeben. 


Beitragsnummer: 21990

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