Montag, 20. März 2023

Kommt nach dem Widerrufsjoker der Kapitaldienstjoker?

Mit der Normalisierung der Zinsen am Kapitalmerkt droht in der Baufinanzierung ein neues Einfalltor für nachträgliche Geldforderungen aus bestehenden Darlehensverträgen

Eberhard Mailach, Leiter Kreditsekretariat, Prozessmanagement Kreditgeschäft, Nassauische Sparkasse

 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat vor ziemlich genau einem Jahr infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine die geopolitische Zeitenwende ausgerufen. Eine Zeitenwende ist auch auf dem Kapitalmarkt eingetreten. Eine lange Zeit extrem niedriger Zinsen ging schlagartig zu Ende. Was für Käufer und Bauherren von Immobilien plötzlich mit einer unerwartet starken Belastung einhergeht, ist für den erfahrenen Kreditmenschen eine Rückkehr zur Normalität. Damit greifen aber auch wieder Schutzvorschriften, die in Zeiten historisch niedriger Zinsen nicht relevant waren.    

 

Umfeld Zinsentwicklung

 

Abb. 1: Zinsentwicklung 10-jährige Baufinanzierung Deutschland

 

Die langjährige Übersicht der Zinsen für 10-jährige Baufinanzierungen in Deutschland zeigt deutlich die Ausnahmesituation am Kapitalmarkt insbesondere nach der Finanzmarktkrise im Jahr 2008. Während in den Vorjahren ein regelmäßiger Wechsel zwischen Phasen steigender und fallender Zinsen erkennbar ist, bewegt sich das Zinsniveau seit der Finanzmarktkrise mit wenigen kleinen Anstiegen kontinuierlich nach unten. Im 2. Quartal 2022 hat sich der Trend radikal gedreht und die Zinssätze haben sich seither mehr als verdoppelt. Aktuell liegen die Zinsen für 10-jährige Baufinanzierungen um die 4 %. Obgleich dieser Zinssatz im Rückblick der letzten Jahre bereits hoch erscheint, zeigt die Historie, dass das Ende der Fahnenstange sicherlich noch nicht erreicht ist. Im langjährigen Durchschnitt beläuft sich der Mittelwert auf 6,28%. Blendet man die Niedrigzinsphase nach der Kapitalmarktkrise aus, ermittelt sich sogar ein langjähriges Mittel von 7,59 %.

 

Konsequenz für die Baufinanzierungen

Die Zeitenwende am Kapitalmarkt ist bei den Kreditinstituten durch einen radikalen Einbruch bei der Baufinanzierungsnachfrage angekommen. Während die Kapitaldienstbelastung bereits deutlich gestiegen ist, verharren das Preisniveau am Immobilienmarkt und auch die Baupreise weiterhin auf hohem Niveau. Viele Immobilienerwerbe wurden gestoppt oder werden aufgrund der eingeengten Möglichkeiten erst gar nicht angegangen. 

Auslaufende Zinsfestschreibungen stellen derzeit noch kein Problem dar. Aktuell liegt das Zinsniveau im Bereich der vor 10 Jahren aufgerufenen Zinssätze, so dass Zinsprolongationen weitgehend zu den bestehenden Zinssätzen und damit ohne Mehrbelastung für den Kreditnehmer erfolgen. Ist eine längere Zinsbindung zu prolongieren, kann sich der Kreditnehmer sogar über einen niedrigeren Anschlusszins freuen. 

Eine bisher kaum gesehene Gefahr für die Kreditinstitute lauert jedoch in der Wohnimmobilienkreditrichtlinie.

 

Risiko „Kapitaldienstjoker“

Der jahrelang wirkende „Widerrufsjoker“ wurde mit Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtline im Jahr 2016 zerschlagen. Seither gilt bei Immobiliar-Verbraucherdarlehen auch bei fehlerhaften oder nicht erfolgten Widerrufsbelehrungen eine maximale Widerrufsfrist von zwölf Monaten und 14 Tagen (§ 356b (2) BGB). Mit Hilfe der ursprünglichen Regelung eines zeitlich unbefristeten Widerrufsrechtes bei fehlerhaften Widerrufsbelehrungen haben Verbraucher ihre Festzinsdarlehen nach Jahren widerrufen, um in günstigere Zinssätze zu wechseln oder Festzinsdarlehen ohne die anfallende Vorfälligkeitsentschädigung zurück zu zahlen.

Der Widerruf der Darlehen war natürlich nur interessant, weil diese Darlehen in einer Phase höherer Zinsen abgeschlossen wurden und nun eine günstigere Refinanzierung in einem Umfeld niedrigerer Zinsen möglich war. Eine solche Phase könnte in der Zukunft wieder eintreten. 

Niemand weiß, wie hoch die Zinsen noch steigen werden und wie lange diese Phase anhalten wird. Sicher ist jedoch, dass es auch in Zukunft wieder Zeiten mit einem niedrigeren Zinsniveau geben wird. Dann werden findige Rechtsanwaltskanzleien wieder auf Werbetour gehen und Darlehensnehmer suchen, die aus ihren Darlehensverträgen zu finanziellen Lasten ihres Darlehensgebers aussteigen wollen. 

Der Ansatzpunkt hierfür findet sich im § 505a BGB i. V. m. § 505d BGB. Demnach darf ein Immobiliar-Verbraucherdarlehen nur vergeben werden, wenn die vertragsgemäße Bedienung des Darlehens als wahrscheinlich angesehen wird. Hierzu ist eine umfassende und zukunftsgerichtete Kreditwürdigkeitsprüfung auf die gesamte Laufzeit des Darlehens durchzuführen und zu dokumentieren.

Verstößt der Kreditgeber gegen die Verpflichtung zur Kreditwürdigkeitsprüfung, so ermäßigt sich der vom Darlehensnehmer geschuldete Zins bei Darlehen mit fester Zinsbindung auf den der Zinsbindung entsprechenden Zinssatz für Kapitalmarktanlagen in Hypothekenpfandbriefen oder öffentlichen Pfandbriefen und bei variablen Darlehen auf den Zinssatz, zu dem europäische Banken einander Anleihen in Euro mit einer Laufzeit von drei Monaten gewähren. Der Darlehensgeber kann bei nicht vertragsgemäßer Vertragserfüllung keine Ansprüche aus Pflichtverletzungen des Darlehensnehmers geltend machen, z. B. die Berechnung von Verzugszinsen oder Vollstreckungskosten. Zudem steht dem Verbraucher bei nicht sachgerechter Kreditvergabe ein fristloses Kündigungsrecht zu. Der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist hinfällig. 

Der Darlehensnehmer kann diese Ansprüche jedoch nicht geltend machen, wenn er den Darlehensgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig über seine wirtschaftlichen Verhältnisse informiert hat.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Kreditwürdigkeitsprüfung sorgfältig auf Grundlage der vom Kreditnehmer eingereichten Unterlagen zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen durchzuführen. Nicht plausible Angaben des Kreditnehmers sind zu korrigieren. Dabei dürfen Einnahmen nur verringert und Ausgaben nur erhöht werden. Die Dokumentation muss so gestaltet sein, dass ein sachkundiger Dritter, insbesondere ein die Klage beurteilender Richter, die Kreditwürdigkeitsprüfung und deren positives Ergebnis nachvollziehen kann.

 

PRAXISTIPPS

  • Führen Sie die Kreditwürdigkeitsprüfung sorgfältig und nachvollziehbar auf der Grundlage der vom Darlehensnehmer eingereichten Unterlagen durch.
  • Legen Sie einheitliche Standards für die Durchführung der Kreditwürdigkeitsprüfung fest.
  • Regeln Sie den Umgang mit Besonderheiten wie unregelmäßige oder befristete Einkünfte und definieren Sie Mindestansätze für bestimmte Ausgabenpositionen.
  • Wege zu einer strukturierten Kapitaldienstberechnung finden Sie auch im Buch „Analyse der zukünftigen und nachhaltigen Kapitaldienstfähigkeit“.

 


Beitragsnummer: 22067

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