Donnerstag, 30. März 2023

Zusammenarbeit Markt/Marktfolge/Problemkreditbearbeitung

Um die aktuellen Herausforderungen in der Zusammenarbeit zwischen Markt/Marktfolge und Problemkreditbearbeitung einordnen zu können, ist es hilfreich, sich die Veränderungen vor Augen zu führen, die in den letzten Jahren in der Firmenkundenbetreuung stattgefunden haben.

Martha Bittner, Abteilungsleiterin Kreditmanagement, Sparkasse Essen

 

Firmenkundenbetreuung im Wandel:

Bis vor gut 10 Jahren war die Firmenkundenbetreuung schwerpunktmäßig davon geprägt, dass es ein langjähriges, von Vertrauen und gegenseitiger Kenntnis geprägtes Verhältnis zwischen Firmenkunden und Betreuung gab. Der Betreuende kannte seinen Kunden persönlich und war regelmäßig auch in der Betriebsstätte vor Ort. Das Betreuungsverhältnis beruhte auf Beratung und Begleitung der Firmenkunden. Es standen vergleichsweise hohe Zeitanteile für die Kundenbetreuung zur Verfügung, administrative Tätigkeiten wurden oft von einer Vertriebsunterstützung oder der Marktfolge übernommen.

Seit der Bankenkriese 2008 und dem Beginn der Niedrigzinsphase hat im gesamten Bankensektor die Notwendigkeit zur Effizienzsteigerung stark zugenommen und damit auch das Firmenkundengeschäft verändert. Im Spannungsfeld zwischen Risiko und Ertrag gewann der Blick auf den Ertrag – auch vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlich stabilen Rahmenbedingungen mit geringen Kreditausfällen – zunehmend an Bedeutung.

In der Folge kam es zu diversen organisatorischen Veränderungen in der Firmenkundenbetreuung:

  • Standardisierung der Kreditprozesse
  • Standardisierung der Produkte
  • Anpassung Risikorelevanzgrenze (Anzahl der offenlegungspflichtigen Fälle sinkt)
  • Konzentration der Analyse in der Marktfolge
  • Vereinheitlichung / Verschlankung Bilanzanalyse
  • Zunehmende Bedeutung (maschineller) Ratingsysteme (Ratingangepasste Finanzierungen)
  • Vermehrter Verzicht auf Sicherheiten (Verschlankung Bearbeitungsprozesse)
  • Aktivlinien

 

Auswirkungen auf Seiten der Firmenkundenbetreuung:

Diese Veränderungen führten zum einen dazu, dass Analysetätigkeiten in die Marktfolge verlegt wurden. Die Auswertung der wirtschaftlichen Unterlagen erfolgt heute fast ausschließlich in der Marktfolge. Bei der Firmenkundenbetreuung liegt der Fokus auf der Vertriebstätigkeit. Der Betreuende bespricht mit dem Kunden Finanzierungwünsche und gibt die eingeholten Unterlagen an die Marktfolge weiter. Dort erfolgt die Auswertung und die Berechnung der Kapitaldienstfähigkeit und der Firmenkundenbetreuende bekommt anschließend das Ergebnis der Auswertung und kann mit dem Kunden den Vertrag abschließen.

Durch die Anhebung der Risikorelevanzgrenze in vielen Häuser können zudem vermehrt Entscheidungen im Ein-Voten-Verfahren getroffen werden, d.h. die inhaltliche Auseinandersetzung zwischen Markt und Marktfolge über die geplante Finanzierung findet in diesen Fällen nicht mehr statt.

Parallel dazu nimmt die Anzahl der Fälle zu, in denen Kreditentscheidungen nach standardisierten Verfahren vereinfacht getroffen werden können und sollen, ohne dass eine intensive Befassung mit der aktuellen Situation erfolgt. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Aktivlinie. Hier erfolgen Kreditvergaben aus der bestehenden Aktivlinie ohne Prüfung der aktuellen wirtschaftlichen Unterlagen. Aber auch bei anderen Verfahren -wie z.B. der Nutzung einer Kreditampel – wird die Einzelfallprüfung stark verkürzt.

Durch die Nutzung der standardisierten Verfahren benötigt die einzelne Kreditentscheidung weniger Zeit. In der Folge wurden in vielen Häusern Mitarbeiterkapazitäten reduziert. Die Anzahl der Betreuungsverbünde bei den Firmenkundenbetreuenden ist oft gestiegen. Zudem wurden zusätzlich administrative Tätigkeiten auf die Firmenkundenbetreuenden verlagert, so dass die für den einzelnen Kunden zur Verfügung stehenden Zeitanteile rückläufig sind. Hinzu kommt, dass die prozessualen Veränderungen oft mit internen Umstrukturierungen einhergegangen sind, so dass Kundenzuordnungen – mitunter mehrfach hintereinander – gewechselt haben, so dass heute der Firmenkundenbetreuende die Kunden in seinem Portfolio oft erst kurz kennt und teilweise noch nie persönlichen Kontakt mit den Kunden hatte. Geschäfte werden verstärkt per Telefon oder Videokonferenz abgewickelt. Gerade bei kleineren Kunden finden Gespräche in der Regel nicht mehr beim Kunden statt, so dass der Betreuende den Betrieb oft nicht mehr aus eigener Anschauung kennt.

 

Auswirkungen auf Seiten der Marktfolge:

Auch auf der Marktfolgeseite gab es deutliche Veränderungen. Aufgrund einer Zuordnung zwischen Firmenkundenbetreuung und Mitarbeitendem in der Markfolge war früher oft ein Mitarbeitender in der Marktfolge über lange Jahre für den gleichen Kunden verantwortlich und hat sowohl Sachbearbeitung als auch Analysetätigkeiten übernommen, so dass auch auf der Marktfolgeseite eine vertiefte Kundenkenntnis bestand. Inzwischen haben viele Häuser die Sachbearbeitung von der Analyse getrennt. In der Folge fehlt dem Sachbearbeitenden oft die Kenntnis über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden. Die Analyse beschäftigt sich aus den oben genannten Gründen nicht mehr mit allen Kunden. Oft gibt es keine feste Zuordnung mehr, so dass die Kundenunterlagen ggf. jedes Mal von einem anderen Analysten ausgewertet werden. Betrachtet wird dann jeweils nur der aktuelle Moment. Eine langjährige Kundenkenntnis besteht oft nicht mehr. Unterhalb der Risikorelevanzgrenze werden laufende Finanzierungen ohne Leistungsstörungen kaum mehr betrachtet.

 

Auswirkungen auf die Zusammenarbeit:

Die Zusammenarbeit zwischen Markt und Markfolge ist damit heute viel weniger von einem gegenseitigen Verständnis geprägt, in dem beiden Seiten den Kunden oft seit Jahren kennen. Vielmehr erfolgen zunehmen singulär erscheinende Prüfungen. So ist bei Neuanträgen z.B. das Geschäftsmodell der Marktfolge noch nicht bekannt und muss im Rahmen des Antrags erläutert werden. Besonderheiten in der Bilanz müssen in jedem Fall neu erörtert werden. Abweichende Gliederungen zwischen Jahresabschluss und unterjährigem Reporting müssen erkannt und erläutert werden.

Gleichzeitig sind die vorhandenen Kapazitäten und damit die zur Verfügung stehenden Zeitanteile geringer geworden. Oft gibt es Bearbeitungsstandards mit Zeitvorgaben für die Erledigung. Offene Fragen werden dann nicht konstruktiv miteinander besprochen, sondern der Vorgang wird mit einer Rückfrage in den Markt zurückgegeben. Die Kundenbetreuung beantwortet dann oft nur diese eine Frage, gibt den Vorgang zurück und im Rahmen der Analyse ergibt sich eine Folgefrage. So entsteht ein Ping-Pong-Spiel zwischen Markt und Marktfolge. Die Firmenkundenbetreuung muss ggf. mehrfach beim Kunden nachfragen, die Nachfragen werden als lästig empfunden, der Kunde zeigt wenig Verständnis für den am Ende oft langwierigen Prozess. Mitunter führt dies dazu, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Markt- und Markfolge verschlechtert und es an einem gegenseitigen Verständnis fehlt.

 

Notwendigkeit der Risikobetrachtung:

Steigende regulatorische Anforderungen und eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aufgrund der multiplen Krisen führen inzwischen dazu, dass der Fokus neben dem Vertrieb auch wieder verstärkt auf die Risikobetrachtung gelegt werden muss. Zudem ist bei einem Teil der Kunden durch die Inanspruchnahme von Corona-Darlehen, die jetzt in die Tilgungsphase eintreten – die Verschuldung gestiegen, so dass weiterer Finanzierungsbedarf (u.a. durch Wiederanziehen der Nachfrage oder höheren Working-Capital-Bedarf aufgrund der steigenden Preise) nicht mehr in den Standardverfahren gedeckt werden kann.

 

Einschaltung der Problemkreditbearbeitung:

Sowohl bei der Weiterbelassung von Engagements im risikorelevanten Geschäft als auch bei weiterem Finanzierungsbedarf, der in den Standardverfahren nicht mehr gedeckt werden kann, erfolgt zunehmend eine Einschaltung der Problemkreditbearbeitung. In dieser Situation stehen aufgrund der oben genannten Entwicklungen oft nicht die für die weitere Bearbeitung erforderlichen Unterlagen zur Verfügung. An dieser Stelle wird eine deutlich umfangreichere Informationstiefe benötigt. Es müssen wesentlich mehr Detailfragen mit dem Kunden erörtert werden. Entsprechende Nachfragen (insbesondere kritische Nachfragen) ist der Kunde aus den letzten Jahren nicht mehr gewohnt. Auf Seiten der Firmenkundenbetreuung ist ein kritischer Umgang mit dem Kunden ebenfalls oft ungewohnt.

 

Fazit:

Durch die organisatorischen Veränderungen der Vergangenheit besteht in vielen Fällen ein geringerer Einblick in die laufenden wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden als früher. Die Informationstiefe ist für Entscheidungen außerhalb der Standardverfahren und in kritischen Situationen oft nicht ausreichend. Die Beteiligten sind aufgrund der zurückliegenden, wirtschaftlich guten Jahre keine kritischen Gespräche und Nachfragen mehr gewohnt. Durch die Aufgliederung der Bearbeitung in einzelne Schritte an unterschiedlicher Stelle ist das Verständnis untereinander geringer und die Zusammenarbeit wird erschwert.

PRAXISTIPPS

  • Um die anstehenden Herausforderungen meistern zu können ist ein verstärkter Dialog zwischen Markt, Marktfolge und Problemkreditbearbeitung wünschenswert.
  • Ziel muss dabei ein einheitliches Verständnis davon sein,
    1. in welcher Kundensituation welche Unterlagen erforderlich sind,
    2. welche qualitativen Anforderungen an die Unterlagen zu stellen sind (Aktualität, Vergleichbarkeit Jahresabschluss / Reporting / Planung) und
    3. welche Fragen an den Kunden gestellt werden müssen.
  • Dabei muss auf allen Seiten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Vertrieb und Risikobetrachtung angestrebt werden.

Beitragsnummer: 22074

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