Mittwoch, 19. April 2023

Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion der Muster-Widerrufsbelehrung

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart/WissMit. Carla Löchel

In einem Fall, in welchem der Bundesgerichtshof zu prüfen hatte, ob einem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen noch ein Widerrufsrecht nach § 312 g Abs. 1 BGB zusteht, musste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinandersetzen, wann sich ein Unternehmer auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterwiderrufsbelehrung berufen kann.

In seiner diesbezüglichen Entscheidung vom 01.12.2022, I ZR 28/22, ZOP 2023, 686, weist der Bundesgerichtshof zunächst darauf hin, dass der Unternehmer seine für den Beginn der Widerrufsfrist gemäß § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB maßgebliche Informationspflicht gemäß Art. 246 a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB auf zwei Wegen erfüllen könne. Zum einen könne der Unternehmer seine Informationspflicht dadurch erfüllen, dass er gemäß Art. 246 a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB das in der Anlage 1 zu dieser Bestimmung vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend ausgefüllt in Textform dem Verbraucher übermittelt. Wählt der Unternehmer diese Form der Unterrichtung und erfüllt er die in Art. 246 a § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB aufgestellten Voraussetzung, dann kommt ihm die sogenannte „Gesetzlichkeitsfiktion“ bzw. der „Musterschutz“ dieser Bestimmung zugute. Im Ergebnis gehen damit mögliche Fehler des Gesetzgebers bei der Fassung der Musterbelehrung zu Lasten des Verbrauchers (Rn. 27). 

Da die Verwendung der Musterwiderrufsbelehrung wiederum nicht verpflichtend ist, könne der Unternehmer seine Informationspflicht auch durch eine „eigene“ Belehrung erfüllen, die von der Musterbelehrung abweicht, aber inhaltlich den in § 356 Abs. 3 Satz 1 BGB, Art. 246 a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB geregelten Anforderungen genügt. Allerdings trage in einem solchen Fall der Unternehmer selbst das Risiko, dass seine Informationen den allgemeinen Anforderungen an eine korrekte Belehrung genügen (Rn. 28).

Hiervon ausgehend gelangt der Bundesgerichtshof sodann anhand einer am Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck und Regelungszusammenhang orientierten und europarechtskonformen Auslegung des Art. 246 a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB zum Ergebnis, dass die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 246 a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB nur dem Unternehmer zugutekommt, der die Muster-Widerrufsbelehrung nach Anlage 1 unverändert verwendet und richtig ausfüllt (Rn. 31–36).

Nachdem in der vom Unternehmer verwendeten konkreten Belehrung statt der Formulierung „des Vertragsabschlusses" die Formulierung „des Vertragsschlusses" enthalten war, die verwendete Belehrung wiederum einen vom Muster nicht vorgegebenen Text aufwies und die verwendete Belehrung zu dem den im Muster vorgesehenen Hinweis nicht enthielt, wonach die im Falle eines Widerrufs vorzunehmende Rückzahlung aller vom Kunden erhaltenen Zahlungen auch die dort näher bestimmten Lieferkosten umfasst, gelangt der Bundesgerichtshof zum Ergebnis, dass sich der Unternehmer auf die Schutzwirkung der Musterbelehrung nicht berufen könne mit der Konsequenz, dass das Widerrufsrecht auf Grund der fehlerhaften Belehrung spätestens 12 Monate und 14 Tage nach dem in § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Zeitpunktes Vertragsschlusses (§ 356 Abs. 3 Satz 2 BGB) erlischt.

 

PRAXISTIPP

Durch vorstehende Entscheidung wird deutlich, dass es für den Unternehmer ratsam ist, die Musterbelehrung stets völlig unverändert zu verwenden. Tut er dies nicht, trägt er selbst das Risiko, dass seine Belehrung sich später nicht gesetzeskonform herausstellt; ein Risiko, welches sich in der Regel erst Jahre nach Verwendung der Belehrung realisiert, weil der Bundesgerichtshof eine geringfügige Ergänzung oder Weglassung als nicht gesetzeskonform ansieht.

 


Beitragsnummer: 22111

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