Sonntag, 30. Juni 2024

Start-Ups: Geschäftschance versus Risiko

Überblick über die Finanzierungsformen von Start-Ups und die Risikotreiber bei Beteiligungen an Start-Ups für Banken

Thomas Gerlach, Stv. Abteilungsleiter Interne Revision, Sparkasse Bad Hersfeld-Rotenburg

I. Einleitung

Ein klassisches Start-Up ist tendenziell in neuen, ggf. noch gar nicht ausgereiften Märkten mit ebenfalls neuen und noch nicht vollständig entwickelten Produkten oder Dienstleistungen unterwegs. Damit grenzt sich diese Kundenklientel von klassischen Existenzgründern ab, die entweder einen bereits bestehenden Betrieb übernehmen oder nach einer Neugründung in einer etablierten Branche bekannte und entwickelte Produkte anbieten. Außerdem beabsichtigen die Unternehmen oft, ein sehr dynamisches Wachstum bezüglich Umsatztätigkeit und Mitarbeiterzahl zu realisieren.

Regional finden sich Start-Ups vor allem in Großstädten und Ballungszentren. Berlin ist mit einem Anteil von 20,8 % (Hauptsitz deutscher Start-Ups) das Gründungs-Zentrum der Bundesrepublik, gefolgt von München mit 7,2 %. In Nordrhein-Westfalen haben sich vor allem im Ruhrgebiet viele Unternehmen angesiedelt, das bevölkerungsreichste Bundesland repräsentiert 18,7 % der Starter. In den eher ländlich geprägten Bundesländern spielen die Newcomer eine vergleichbar geringe Rolle, z. B. mit Anteilen von 1,1 % in Thüringen, 0,9 % in Mecklenburg-Vorpommern oder 1,8 % in Rheinland-Pfalz[1]. Für regional tätige Kreditinstitute wird sich die Intensität ihrer Kontakte mit Start-Ups daher abhängig von ihrem Geschäftsstandort unterscheiden.

Häufig stehen digitale Geschäftsmodelle klar im Vordergrund. Der „Deutsche Start-Up Monitor 2023“ weist einen Anteil von 64,90 % an digitalen Unternehmenszwecken aus[2] (siehe auch Abbildung 1). Ein Schwerpunkt liegt dabei in Software-as-a-Service (SaaS)-Leistungen. Dieses Geschäftsmodell basiert im Wesentlichen auf Cloud-Dienstleistungen, bei denen die Kunden auf vom Anbieter gehostete Programme bedarfsgerecht zugreifen können und somit keine oder nur geringe eigene IT-Infrastruktur vorhalten müssen. 

Abbildung 1: Start-Up-Geschäftsmodelle; eigene Darstellung; Datenquelle: Deutscher Start-Up-Monitor 2023


In dem Aspekt des Neuen liegen aber Segen und Fluch zugleich. Die Tätigkeit auf einem noch weitgehend unbeackerten Feld bietet hervorragende Chancen, sich mit Innovationen und neuen Ideen eine exponierte Marktstellung zu erarbeiten. Für viele, gerade junge Arbeitnehmer, ist die Mitarbeit in einem Start-Up reizvoll, die Unternehmen werben auch häufig mit flachen Hierarchien und guten Entwicklungschancen für sich als Arbeitgeber.

In der aktuellen wirtschaftlichen Lage wird die Luft für die Start-Ups aber merklich dünner. Die Kriege in der Ukraine und im nahen Osten sorgen für Unsicherheit, die hohe Inflation erschwert wirtschaftliches Handeln. Ergänzend hat sich die Zinssituation gedreht, aus der Niedrig- und Negativzinsphase wurde ein Marktumfeld, das wieder deutlich höhere Konditionen aufruft, was Investitionstätigkeiten zunehmend erschwert. Am Standort Deutschland scheinen sich die Probleme besonders zu häufen. Energiepreise, die im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig sind, ein überbordender Bürokratismus, erhebliche Mängel im Bildungssystem und ein immer stärker spürbarer Fachkräftemangel sorgen für ein wenig attraktives Umfeld. Dies gilt sowohl für die eigentlichen Gründer als auch für die Geldgeber, die mittlerweile wieder stärker durch die Risikobrille schauen.


II. Finanzierungen von Start-Ups

Die Bausteine von Start-Up-Finanzierungen unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung von den Finanzierungsstrukturen etablierter Unternehmen. Interessant ist dabei auch, die jeweilige Phase eines Gründers im Blick zu behalten, siehe dazu Abbildung 2.

Abbildung 2: Phasen eines Start-Ups, eigene Darstellung

So ist das klassische Bankdarlehen nur mit einem Anteil von 12,8 %[3] vertreten, in Bestandsunternehmen beläuft sich der Anteil auf rund 34 %. Diese greifen zudem zu weiteren 34 % bei Bedarf auf Rücklagen zurück[4]. Im Lebenszyklus eines Start-Ups trifft man Bankdarlehen auch eher in der Endphase der Gründung (Later Stage) an, um bspw. notwendige Umstrukturierungen und konkrete Ausrichtungen auf den Markt zu finanzieren.

In der Start-Up-Szene begegnet man bei der Frage nach der Finanzierung eher den Begriffen Business-Angels, Venture Capital, Acceleratoren, Inkubatoren oder Crowd-Funding. Aber auch die ganz klassische staatliche Förderung über vergünstigte Darlehen oder Zuschussprogramme bildet einen festen Bestandteil der Mittelherkunft. Da diese Förderung häufig eine Hausbank voraussetzt, kommen also die Kreditinstitute wieder ins Spiel.

Neben dem Einsatz von Fremdkapital bringen die Gründer natürlich auch eigene Mittel in die jungen Unternehmen ein, viele versuchen sogar vollständig auf Fremdfinanzierungen zu verzichten. Für diese komplett eigenfinanzierte Gründung hat sich der Begriff Bootstrapping etabliert.

Diese Form der Finanzierung hat allerdings ihre Tücken. Natürlich entfallen Belastungen aus einem Zins- und Tilgungsdienst oder einer Ergebnisausschüttung an Teilhaber. Der Unternehmer/Gründer ist zudem uneingeschränkt sein eigener Herr in allen geschäftspolitischen Entscheidungen. Da allerdings die wenigsten (jungen) Gründer über umfangreiche finanzielle Eigenmittel verfügen, sind die Handlungsmöglichkeiten durch enge Budgets oft begrenzt. Zudem können Anlaufschwierigkeiten auch zu einem schnellen Ende der Gründung führen.

Es lohnt sich daher, die verschiedenen Optionen der Fremdkapitalbeschaffung zu kennen und diese in ihren Wirkungen einschätzen zu können.


1. Crowd-Funding

Das klassische Crowd-Funding stellt keine Fremdmittel im eigentlichen Sinne dar. Die Idee ist, eine große Anzahl von Menschen anzusprechen, die eine Unternehmensidee für unterstützungswürdig halten und diese mit einem finanziellen Beitrag stärken. Diese Beiträge sind in der Regel auf den einzelnen Förderer bezogen eher klein, zudem haben sie den Charakter einer Spende. Ein Rückfluss des Kapitals oder die Ausschüttung einer Rendite ist nämlich im Normalfall nicht vorgesehen, stattdessen erhalten die Unterstützer eine Belohnung in nicht monetärer Form.

Da speziell in den Anfangsjahren des Crowd-Fundings häufig kreative Projekte, also z. B. Musikproduktionen, Buchprojekte oder andere künstlerische Aktivitäten finanziert wurden, erhielten die Spender Vorabexemplare der Werke, signierte CDs oder Ähnliches.

Mittlerweile spricht diese Form der Finanzierung aber einen größeren Kreis an. Im Herbst 2023 hat bspw. ein Ruhrgebiets-Modelabel eine Crowd-Funding-Aktion zur Produktion eines fair und nachhaltig produzierten Sneakers erfolgreich abgeschlossen. Mehr als 220 Personen haben sich daran beteiligt. Als Belohnung konnten sie die Schuhe zu einem Sonderpreis erwerben[5].

Zwar sind Banken nicht die typische Zielgruppe von Plattformen, die für die jungen Unternehmen Crowd-Funding durchführen, geschäftspolitisch wäre es aber durchaus eine Überlegung, sich auf diesem Feld zu engagieren. Der finanzielle Einsatz ist überschaubar. Ein Imagegewinn sollte mit einem entsprechenden Engagement immer erreicht werden. Im Idealfall gewinnt man einen neuen Firmenkunden mit Zukunftspotential. Aus Sicht des Autors gibt es „Werbemaßnahmen“, die deutlich teurer und weniger effektiv sind.

Vom Crowd-Funding abzugrenzen ist das Crowd-Investing. Zwar wird auch hier versucht, eine Schwarmfinanzierung über viele Beteiligte zu realisieren, die Unterstützer können aber grundsätzlich mit der Rückzahlung und ggf. einer Verzinsung der eingebrachten Beträge rechnen. Voraussetzung ist natürlich ein erfolgreicher Geschäftsverlauf. Wird dieser nicht erreicht, droht auch ein Totalverlust.

 

2. Business-Angels

Gelingt es einem Start-Up, für sich einen Business-Angel zu gewinnen, werden die Finanzierungshilfen in der Regel umfangreicher. Die IHK Frankfurt nennt exemplarisch einen Bedarf bis EUR 500.000[6], dies hängt natürlich vom jeweiligen Geldgeber ab. Außerdem bringen die „Engel“ ihre Kompetenz mit ein und können den Gründern eine gute Beratungsleitung bieten.

Ebenso wie das Crowd-Funding kommt diese Form der Finanzierung primär in der (Vor-)Gründungsphase eines Start-Ups vor, die im Branchensprech als Seed Stage bezeichnet wird. Zu diesem Zeitpunkt sind die Unternehmen oft noch in der Entwicklung ihrer Produktidee, um eine Marktreife zu erlangen.

Bei den Business-Angels handelt es sich zumeist um Unternehmer oder Manager mit großer Erfahrung und einem entsprechenden finanziellen Hintergrund, die sich die Förderung von jungen Unternehmen auf die Fahne geschrieben haben. Dies hat aber, anders als beim Crowd-Funding, keinen Spenden-Charakter, vielmehr beteiligt sich der Investor an dem Start-Up, um an Gewinnen partizipieren zu können. Die Beteiligung an den neuen Firmen ist auch nicht auf Dauer angelegt, der normale Verlauf sieht einen Ausstieg, den sogenannten Exit, vor. Gerade bei Unternehmen, die eine Wachstumsphase erfolgreich gestalten konnten, bietet der Exit für den Investor die Möglichkeit, weitere Rendite aus seinem Engagement zu generieren.

Der Exit kann sehr unterschiedlich gestaltet werden. Die Varianten reichen von der Übernahme der Anteile durch den eigentlichen Gründer über Beteiligungsmodelle für Mitarbeiter bis zum Verkauf an einen langfristig orientierten strategischen Investor. Bei sehr großen Gründungen ist auch der Gang an die Börse eine mögliche Option.

Ein Business-Angel kann bei positivem Geschäftsverlauf sicher mit einer guten Rendite rechnen. Er geht aber hohe Risiken ein, es kann eben auch der Totalverlust drohen.

Ob sich die Tätigkeit als Business-Angel für Kreditinstitute eignet, ist zurückhaltend zu sehen. Im Sinne der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) würde es sich um eine kreditnahe bzw. kreditsubstituierende Beteiligung handeln, bei deren Eingehen die Regelungen des Kreditgeschäftes einzuhalten sind. Das relativ hohe Risiko dürfte aber in den meisten Fällen nicht zum strategischen Risikoappetit einer Bank passen.

Der Kontakt zur Gründerszene ist aber geschäftspolitisch interessant. In Deutschland sind Business-Angels vereinsmäßig im Business Angels Deutschland e.V. (BAND) organisiert. Der Verein nennt auf seiner Homepage[7] die Sparkassen-Finanzgruppe als Sponsor.


3. Venture-Capital

Das Einwerben von Venture-Capital (VC), also Wagniskapital der Geldgeber, wird zumeist in der zweiten Gründungsphase, Early Stage bzw. das eigentliche Start-Up genannt, angestrebt. Die Unternehmen verfügen dann über ein grundsätzlich marktreifes Produkt und benötigen Finanzmittel, um den eigentlichen Markteintritt zu realisieren. Auch in späteren Wachstumsphasen eignet sich Venture-Capital grundsätzlich gut, da die notwendigen Beträge oft im Millionenbereich liegen.

Am Markt agiert eine Vielzahl von Venture-Capital-Gesellschaften, auch VC-Fonds stehen als Investoren bereit. Die Gründer oder im Wachstum befindlichen Unternehmen stellen potentiellen Investoren ihre Geschäftsidee zunächst in einem sogenannten Pitch, einem Kurzvortrag zum Vorhaben, vor. Ruft dieser Vortrag bei den VC-Geldgebern Interesse hervor, wird die Prüfung intensiviert.

In einer Vorab-Regelung, dem Term-Sheet, werden Eckdaten der Beteiligung festgehalten. Der Investor wird vor einem endgültigen Vertragsschluss immer eine intensive Due-Diligence-Prüfung durchführen, um die Chancen und Risiken bestmöglich beurteilen zu können. Schließlich gilt auch für Venture-Capital das bereits mehrfach erwähnte Risiko des Totalverlustes.

Bei den Gründern ist das Interesse an Venture-Capital größer als das Angebot. Bei der Frage nach der bevorzugten Finanzierungsform antworteten im letzten Jahr 34,8 % der Start-Ups, gerne VC-Mittel nutzen zu wollen, umsetzen konnten es nur 18,6 %[8]. Um das VC-Angebot in Deutschland zu verbessern, sind daher auch öffentliche Institutionen aktiv.

So investiert beispielhaft die LfA Förderbank Bayern gemeinsam mit dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) in Fonds, die wiederum den Unternehmen Eigenkapital in der Gründungs-, Früh- und Expansionsphase zur Verfügung stellen.

Je nach Ausrichtung ihrer Asset-Allokation könnte also auch für Banken ein Engagement in VC vorstellbar sein, dies aber im Bewusstsein um das vergleichsweise hohe Risiko. In Rheinland-Pfalz wirbt beispielhaft eine Volks- und Raiffeisenbank für ihre Beteiligung an einem regionalen VC-Fonds und sieht sich damit in der Rolle eines örtlichen Wirtschaftsförderers.

 

4. Inkubatoren und Acceleratoren

Inkubator (deutsch: Brutkasten) und Accelerator (deutsch: Beschleuniger) erklären sich über ihren Namen eigentlich selbst. Es handelt sich um Betreuungsprogramme, die jungen Unternehmen mit Wissen, Ressourcen wie etwa IT-Systemen und Finanzen auf die Sprünge helfen wollen. Dabei werden bei Inkubator-Programmen eher Start-Ups in der Vorgründungsphase angesprochen, ganz wörtlich sollen hier Geschäftsideen noch „ausgebrütet“ werden. Die Förderung ist tendenziell nicht monetär ausgerichtet und soll optimale Arbeitsbedingungen schaffen. Besteht ein Geschäftsmodell grundsätzlich bereits, helfen Acceleratoren-Programme, die Marktreife oder das Wachstum zu beschleunigen. Dies beinhaltet in der Regel auch finanzielle Beteiligungen.

Wenn finanzielle Leistungen durch die Förderer erbracht werden, erhalten sie im Gegenzug Anteile an dem neuen Unternehmen.

Häufig bieten große Konzerne diese Art von Laborbedingungen an, interessante Ansprechpartner können auf der Internetseite www.gruenderplattform.de gefunden werden. Die Konzerne engagieren sich dabei durchaus auch aus eigenem Interesse. Bspw. fördert eine deutsche Großbank über eine Tochtergesellschaft Start-Ups der Bereiche FinTech, KI und BigData. Neben einem Ansatz für eine Geschäftsverbindung kann das Institut somit auch inhaltlich bzw. technisch von den Startern profitieren.

 

5. Öffentliche Förderdarlehen

In der Finanzierungsform der öffentlichen Förderdarlehen ist die Hausbank ganz klassisch von Beginn an mit am Start, da die meisten Förderkredite im Hausbankverfahren vergeben werden. Der Markt bietet hier eine Vielzahl von Möglichkeiten, auf Bundesebene insbesondere durch die Kreditanstalt für Wideraufbau (KfW), auf Ebene der Bundesländer über verschiedene Institute, wie bspw. die Investitionsbank Schleswig-Holstein, die hessische WIBank, die NRW Bank oder die LfA Landesförderanstalt Bayern.

Die Förderbanken bieten unterschiedliche Programme, die nicht nur durch günstige Zinsen, sondern zum Teil auch durch Haftungsfreistellungen das Gründergeschäft erleichtern.

Ergänzend zu Darlehensangeboten sollten Gründer und Institute auch die Möglichkeiten auf Zuschüsse beachten, die den finanziellen Spielraum vergrößern können. Diese Mittel decken teilweise auch Coachings und Beratungen ab, die in der Gründerphase unterstützen können.


6. Aktuelle Finanzierungslage

Aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen gestaltet sich die Lage für Start-Ups schwieriger als in der Vergangenheit. Laut einem Bericht der Tagesschau reduzierte sich das Finanzierungsvolumen bereits 2022 um 43 %, im ersten Halbjahr 2023 ging es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um weitere 49 % zurück[9].

Speziell auf den Baustein Venture-Capital schaut KfW Research mit seinem KfW-VC-Dashboard. Für das dritte Quartal 2023 konstatiert man nach einem anfänglich positiven Trend erneut einen Rückgang der Deals, sowohl bezogen auf das Volumen als auch auf die Stückzahl[10]. Gleichzeitig identifiziert man eine Steigerung im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit, womit zumindest ein verhalten optimistisches Signal gesetzt wird.

Die Chefvolkswirtin der KfW, Frau Dr. Köhler-Geib, wird mit der Einschätzung zitiert, „man könnte von Tauwetter sprechen, wenn auch nahe dem Gefrierpunkt[11], was die Situation anschaulich auf den Punkt bringt.


III. Risikosicht

Wie mehrfach erwähnt, bedeutet das Engagement in Start-Up-Unternehmen immer ein höheres Risiko, da die Erfolgsaussichten deutlich schwerer zu beurteilen sind als bei einem etablierten Marktteilnehmer. Die aktuell zurückhaltend zu bewertende Lage ist zudem der hohen makroökonomischen Volatilität und der Zinswende geschuldet.

Dies sind nicht nur theoretische Überlegungen, vielmehr belegt gerade das Jahr 2023 mit seinen Echtzahlen diese Einschätzung. Die Zahl der Insolvenzen von Start-Ups stieg auf 297, was einer Steigerung von 65 % im Vergleich zu 2022 entspricht, zudem ist die absolute Zahl die höchste bislang ermittelte[12].

Die betroffenen Unternehmen stammten aus ganz unterschiedlichen Branchen. Den Gang zum Insolvenzgericht trat der Lebensmittelretter Sirplus ebenso an wie der Software-Hersteller Fraugster oder der Badsanierer Banovo. Dabei hatten die Unternehmen teilweise Kapital in Millionenhöhe eingeworben, konnten aber nicht rechtzeitig auf einen rentablen Kurs einschwenken. Mehrere junge Unternehmen berichten von geplatzten Finanzierungsrunden, von deren Erfolg aber der Weiterbestand abhängig gewesen wäre.

Vor diesem Hintergrund ist eine gewisse Zurückhaltung von Kreditinstituten bei der Finanzierung von Start-Ups nachvollziehbar. Eine Bank agiert mit dem Geld ihrer Kunden, dies bedeutet eine besondere Verantwortung und führt zu einer verstärkten Sicht auf die Risiken eines Engagements. Die MaRisk legen die Hürden für die Kreditvergabe, ob als klassischer Bankkredit oder als Beteiligung, ebenfalls relativ hoch. Insbesondere die nachhaltige Kapitaldienstfähigkeit ist bei einem Existenzgründer nicht einfach nachweisbar. Die Anforderungen an die Start-Ups hinsichtlich ausgereifter Business-Pläne und insbesondere auch einer belastbaren Liquiditätsplanung sind zu Recht umfangreich.

Hinzu kommen die Eigenmittel der Kreditinstitute als begrenzender Faktor. Gerade in Zeiten eines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds, zudem nach den Jahren 2022 und teilweise 2023 mit höheren Bewertungsergebnissen durch den Zinsanstieg, wird der Einsatz der Eigenmittel kritisch und mit Blick auf die Effektivität beäugt. Hohe Risiken passen dazu nicht unbedingt ins Bild.

Erschwerend wirken zudem die Regelungen von Artikel 128 (2a) der CRR (Capital Requirements Regulation, EU-Verordnung 575/2013). Dieser Teil der europäischen Eigenmittelverordnung befasst sich mit der Forderungsklasse der mit besonders hohem Risiko verbundenen Positionen. Assets einer Bank, die dieser Forderungsklasse zugeordnet werden, müssen für die Unterlegung mit Eigenmitteln über den Faktor 150 % hochskaliert werden.

Die Europäische Bankenaufsicht hat im Januar 2019 Leitlinien zur Festlegung dieser High-Risk-Forderungsklasse herausgegeben. Darin werden explizit Beteiligungen an Risikokapitalgesellschaften genannt, ergänzend wird u. a. beschrieben, dass die herausgelegten Mittel der Entwicklung neuer Produkte dienen. Außerdem werden Risikopositionen aufgeführt, die einen unüblichen Umfang von Risikotreibern aufweisen. Start-Up-Finanzierungen dürften daher zur Einstufung in die Forderungsklasse prädestiniert sein, was zu einer höheren Bindung von Eigenmitteln führt.

Neben den reinen Fakten spielt zudem auch die Psychologie eine Rolle. Der Geschäftsklimaindex bei Start-Ups sank 2023 nahezu auf das Niveau zu Zeiten der Corona-Pandemie, die Anzahl der Finanzierungsrunden ging ebenfalls deutlich zurück[13]. Schlechte Nachrichten sorgen in der Wirtschaft in ihrer Folge oftmals zu einer Verstärkung von Problemen, was auch mit höheren Risiken einhergeht.


IV. Fazit

Die Beteiligung am Start-Up-Geschäft ist ein Abwägen zwischen Chancen und Risiken. Dabei können die Risiken deutlich höher ausfallen als im täglichen Firmenkundengeschäft. Andererseits bietet sich die Chance, von Beginn an Teil einer Erfolgsstory zu sein. Gerade Geschäftsbeziehungen in einer noch von Unsicherheiten geprägten Gründungsphase sind im Erfolgsfall andauernd und nachhaltig.

Start-Ups spielen zweifellos eine wichtige Rolle. Sie forcieren die Entwicklung in der Digitalisierung, sie können Produktinnovationen mit Lösungen zur Bekämpfung des Klimawandels entwickeln, sie können Alternativen zu Teilen der Old-Economy bieten, nicht zuletzt sind sie auch als Jobmotor eine relevante Größe.

Start-Ups verdienen daher Aufmerksamkeit, sowohl individuell als auch im Sinne des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Der Satz mag trivial wirken, er hat aber mehr als nur ein Körnchen Wahrheit: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.


PRAXISTIPPS

  • Legen Sie strategisch fest, ob Ihre Bank sich im Bereich Start-Ups engagieren möchte.
  • Falls ein Engagement gewünscht ist, definieren Sie Arten der Beteiligung i. w. S. und ggf. Obergrenzen für den Einzelfall.
  • Schaffen Sie Know-how auf Markt- und Marktfolgeseite. Auf der Marktseite stehen idealerweise Spezialisten als Ansprechpartner für die Kunden zur Verfügung.


[1] Deutscher Start-Up Monitor 2023, Start-Up-Verband, pwc, netSTART.

[2] Deutscher Start-Up Monitor 2023, Start-Up-Verband, pwc, netSTART.

[3] Deutscher Start-Up Monitor 2023, Start-Up-Verband, pwc, netSTART.

[4] Umfrage des Warenkreditversicherers Atradius.

[5] www.grubenhelden.de (Crowd-Funding HANIEL).

[6] www.frankfurt-main.ihk.de/hauptnavigation/gruendung-und-foerderung/mittelstandsfinanzierung/business-angels

[7] www.business-angels.de

[8] Deutscher Start-Up Monitor 2023, Start-Up-Verband, pwc, netSTART.

[9] „Wieder weniger Geld für deutsche Start-ups“, Tagesschau, 17.07.2023.

[10] KfW-Research VC-Dashboard, Q3/2023.

[11] KfW-Research, German Venture Capital Barometer Q3/2023.

[12] Quelle: Handelsblatt (online), „2023 als Jahr der Start-up-Pleiten“, 10.01.2024.

[13] Zeit-online vom 15.08.2023: „Geschäftsklima unter Start-ups nahe am Corona-Tiefpunkt“.


Beitragsnummer: 22251

Beitrag teilen:

Produkte zum Thema:

Produkticon
FCH BeratungAktuell: Kreditgeschäft
Produkticon
Arbeitsbuch Neue Werthaltigkeits-/PAAR-Prüfungen im Kreditgeschäft

89,00 € inkl. 7 %

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
Kein Widerruf nach vollständiger Erfüllung eines Kreditvertrags

Ein Verbraucher kann sich nach vollständiger Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen aus einem Kreditvertrag nicht mehr auf sein Widerrufsrecht berufen.

17.04.2024

Beitragsicon
Einführung des IRB-Ansatzes in einer VR-Bank

Vorstudie liefert der VR-Bank Bonn Rhein-Sieg eG umfangreiche Erkenntnisse über eine mögliche Einführung des auf internen Ratings basierenden Ansatzes (IRBA).

28.03.2023

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit Google Analytics aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Hierbei kommt es auch zu Datenübermittlungen an Google in den USA. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Google Analytics.