Montag, 28. August 2023

Liegt eine Zahlungsunfähigkeit bei schleppender Zahlungsweise vor?

Im Jahre 2022 hat sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 28.04.2022 (AZ: IX ZR 48/21) wieder einmal mit der Thematik der Zahlungsunfähigkeit beschäftigt, was auch für die tägliche Kreditpraxis relevant ist.

 

Die Ausgangssituation

Die S. GmbH (=Schuldnerin) war ein Bauunternehmen, das fast ausschließlich für die öffentliche Hand gearbeitet hatte. Die am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Beitragsmonats im Zeitraum vom Januar 2013 bis Februar 2015 fälligen Sozialversicherungsbeiträge bewegten sich zwischen EUR 8.767,13 und EUR 22.102,28, meistens jedoch in einer Größenordnung zwischen EUR 15.000,-- und EUR 20.000,--. Die Schuldnerin zahlte die Beiträge für die Monate Januar 2013 bis einschließlich November 2016 vollständig, einschließlich der angefallenen Mahngebühren und Zinsen, jedoch stets mit einer Verzögerung. Die Verzögerung schwankte und betrug überwiegend zwischen vier und sechs Wochen, mindestens 22 Tage und maximal 54 Tage. Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Monate September, Oktober und November 2016 zahlte die Schuldnerin am 11. November 2016, 20. Dezember 2016 und 11. Januar 2017.

Auf einen Eigenantrag der Schuldnerin vom 6. Februar 2017 eröffnete das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 1. Mai 2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 machte der Kläger unter Hinweis auf § 133 InsO Abs. 1 Satz 2 gegenüber der Beklagten die Anfechtung sämtlicher Zahlungen seit 1. Januar 2013, insgesamt EUR 898.406,80 geltend. Die Gläubigerversammlung vom 1. Juni 2017 beschloss einen Insolvenzplan, der den Kläger ermächtigte, rechtshängige Anfechtungsprozesse gemäß § 259 Abs. 3 InsO fortzuführen. Das Insolvenzgericht hob das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans mit Beschluss vom 26. September 2017 zum 30. September 2017 auf.

Mit Beschluss vom 1. April 2020 eröffnete das Insolvenzgericht ein neuerliches Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte wiederum den Kläger zum Insolvenzverwalter. Dieser hat vorsorglich die Aufnahme des Anfechtungsprozesses erklärt.

 

Die Lösung

Der BGH stellt klar, dass bei der Anfechtung kongruenter Deckungen der Benachteiligungsvorsatz nicht allein darauf gestützt werden kann, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist. Rn 14: „In diesen Fällen ist für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz von entscheidender Bedeutung, dass der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird.“ Um es vorwegzunehmen: Im vorliegenden Fall konnte dies nicht angenommen werden, da die Krise ja nicht so weit fortgeschritten war. Etwas weiter relativiert der BGH diese Sichtweise in Rn 15 wie folgt: „Besteht - abhängig vom Ausmaß der bestehenden Deckungslücke und der aus objektiver Sicht erwartbaren und vom Schuldner erkannten Entwicklung - Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit, darf der Schuldner davon ausgehen, dass ihm der hierfür erforderliche Zeitraum verbleibt.“ Erst wenn seine Planungen außerhalb des realistischerweise von den Gläubigern gewährten Zeitraums liegen, handelt er mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht.

Es sollte selbstredend sein, dass bei der Liquiditätsplanung mit schlüssigen Annahmen gearbeitet werden muss und zudem Beträge und Fristen korrekt eingesetzt werden sollten. Solche Punkte sind wichtig, um mögliche spätere Vorwürfe einer Zahlungsunfähigkeit abwehren zu können. Bislang ist davon ausgegangen worden, dass ein Schuldner zahlungsunfähig ist, wenn „die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist.“ (Rn 24) Auch wenn der BGH diese konkrete Anforderung (in Rn 27) wieder etwas relativiert („Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus … Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen.“), so kommt es letztlich darauf an, dass „die Gesamtheit der Indizien die nach dem Beweismaß des § 286 ZPO begründete Überzeugung rechtfertigt.

In diesem Fall waren die Zahlungsverzögerungen sehr auffällig, die jedoch immer wieder vom Schuldner ausgeglichen wurden. Hier argumentiert der BGH, dass ein möglicher Vollstreckungsdruck bei knapper Liquidität schon einmal eine andere Reihenfolge der anstehenden Überweisungen hervorruft. Der BGH schließt daher wie bisher eine schematische Betrachtung aus. „Maßgebend ist, dass die zusätzlichen Umstände im konkreten Einzelfall ein Gewicht erreichen, das der Erklärung des Schuldners entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können.“ (Rn 29) Vielmehr kommt der BGH zum Schluss, dass auch durchgängig um einen Monat verspätete Zahlungen alleine keine Aussagekraft haben, um den Schluss auf eine Zahlungseinstellung ziehen zu können. (Rn 32) Wenn nun, wie im hier vorliegenden Fall, die öffentliche Hand Hauptauftraggeber ist, kann es aus Sicht des BGH durchaus sein, dass durch die bekannte lahme Zahlungsweise dieser Auftraggeber alle sonst üblichen Parameter eine Zahlungsunfähigkeit andeuten können, ohne dass diese bei längerfristiger Betrachtung tatsächlich gegeben ist. Es bleibt abzuwarten, ob diese Sichtweise des BGH Bestand haben wird.

 

Hinweise für die Praxis

Was bedeutet dieses Urteil nun für die Kreditpraxis?

  • Jedes Kreditinstitut hat Kreditnehmer mit einer schleppenden Zahlungsweise. Eine regelmäßige Zahlungsverzögerung kann zwar ein Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit sein, jedoch muss die Gesamtsituation betrachtet werden, da auch die Zahlungsfrequenz und die Relationen von offenen Forderungen zu fälligen/ überfälligen Verbindlichkeiten betrachtet werden müssen.
  • In einer krisenhaften Situation ist es für das involvierte Kreditinstitut sehr wichtig, sich mit der Finanz- und insbesondere der Liquiditätsplanung des Kreditnehmers auseinander zu setzen. Sonst besteht die Gefahr, dass eine Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers in Verbindung mit einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht nicht erkannt wird. Sehr lange Anfechtungszeiträume sind dann meistens die Folge, was zu erheblichen Verlusten beim Kreditinstitut führen kann.


Hans-Jürgen Wieczorrek, Firmenkundenbetreuer Sanierung, Kreissparkasse Köln

 

Link zum Urteil:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=d48a658eafc655f3a47f2380c69d8876&nr=130392&pos=0&anz=1


Beitragsnummer: 22272

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