Prof. Dr. Artur M. Swierczok, LLM (UCL), MSt. (Oxford), Banking & Finance, Baker McKenzie Rechtsanwaltsgesellschaft mbH von Rechtsanwälten und Steuerberatern, Frankfurt am Main
Vor knapp einem Jahr wurde das „Gesetz zur befristeten Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung der Folgen der Krise“ (kurz: „SanInsKG“[1]) vom Deutschen Bundestag verkündet. Ziel des SanInsKG war es, Unternehmen zu entlasten, die „im Kern gesund“ und langfristig überlebensfähig sind, für die aber eine vorausschauende Liquiditätsplanung aufgrund der primär durch den Krieg in der Ukraine hervorgerufenen Preissteigerungen und Schwankungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten nicht möglich ist.
Verkürzung des Prognosezeitraums läuft zum 31.12.2023 aus
Eine der im Rahmen des SanInsKG umgesetzten Maßnahmen war die Verkürzung des Zeitraums für die Fortführungsprognose im Überschuldungsfall nach § 19 Abs. 2 InsO von zwölf auf vier Monate. Dies bedeutet, dass ein Unternehmen – auch wenn es ein „negatives Eigenkapital“ auf Basis von Liquidationswerten aufweist – nicht überschuldet ist, wenn seine Durchfinanzierung für mindestens vier Monate gesichert ist (sog. „positive Fortführungsprognose“). Das SanInsKG tritt am 31.12.2023 um 24:00 Uhr außer Kraft, sodass spätestens ab diesem Zeitpunkt wieder eine zwölfmonatige Betrachtung erforderlich ist.
Geltung der alten Gesetzeslage bereits ab dem 01.09.2023?
Nach den Gesetzesmaterialien zum SanInsKG kann die Verkürzung des Prognosezeitraums aber auch schon vorher „an praktischer Wirksamkeit verlieren“ (so die dortige, etwas kryptische Formulierung). Es sind folgende Szenarien zu unterscheiden:
Szenario 1 – Prognosezeitraum beginnt ab dem 01.01.2024:
Spätestens wenn das SanInsKG außer Kraft tritt, also am 31.12.2023 um 24:00 Uhr, gilt ohne Zweifel wieder der zwölfmonatige Prognosezeitraum. Dies sei hier klarstellend nochmals erwähnt.
Szenario 2 – Prognosezeitraum, der nach dem 01.09.2023, aber vor dem 31.12.2023 beginnt:
Derzeit ist unklar, wie mit dem Prognosezeitraum umzugehen ist, dessen Beginn noch im Jahr 2023 liegt, dessen viermonatiger Zeitraum aber über den Jahreswechsel hinausreicht. Da das SanInsKG am 31.12.2023 um 24:00 Uhr außer Kraft tritt, könnte der reine Wortlaut des SanInsKG nahelegen, dass die Viermonatsfrist auch dann gilt, wenn ihr Beginn im Jahr 2023 liegt.
Die Gesetzesmaterialien des SanInsKG scheinen jedoch darauf hinzudeuten (siehe obiges Zitat), dass in dieser Konstellation ab dem 01.09.2023 wieder die zwölfmonatige Prognosefrist gelten könnte: Wenn innerhalb der vier Monate vor dem Auslaufen des SanInsKG klar ist, dass ein Unternehmen unmittelbar am 01.01.2024, d. h. bei erneuter Geltung der Zwölf-Monats-Frist mit hoher Wahrscheinlichkeit überschuldet sein wird, weil es nicht über genügend Mittel verfügt, um diesen zwölfmonatige Prognosezeitraum abzudecken, könnte dies möglicherweise bereits vor diesem Zeitpunkt eine Überschuldung begründen. Zumindest kann eine Argumentation in diese Richtung nicht ausgeschlossen werden.
Szenario 3 – Prognosezeitraum, der nach dem 01.05.2023, aber vor dem 31.08.2023 beginnt:
Etwas anderes dürfte jedoch gelten, wenn der Prognosezeitraum zwischen dem 01.05.2023 und dem 31.08.2023 beginnt. Hier ist vier Monate nach vorne zu schauen und nicht zwölf. Das gleiche Argument, mit dem oben in Szenario 2 von einer „Vorverlagerung“ des zwölfmonatigen Prognosezeitraums ausgegangen wird, trägt in dieser Konstellation nicht mehr. Denn ein Unternehmen müsste innerhalb des viermonatigen Prognosezeitraums ebenso berücksichtigen, dass es den zwölfmonatigen Prognosezeitraum nach dem 01.09.2023 erneut anwenden müsste. Das führte im Extremfall dazu, dass eine negative Fortführungsprognose bereits ab dem 01.05.2023 eintreten könnte. Dies wäre ein sehr „seltsames“ Ergebnis und kann nicht im Sinne des Gesetzgebers des SanInsKG gewesen sein.
Summa summarum sollte der in der Fortführungsprognose betrachtete Zeitraum (spätestens) ab dem 01.09.2023 explizit überprüft werden. Zudem sind im Rahmen der regelmäßigen Aktualisierung die Auswirkungen des Auslaufens des verkürzten Prognosezeitraums zu betrachten.
PRAXISTIPPS
- Alles in allem sollte die Fortführungsprognose regelmäßig aktualisiert und überwacht werden.
- Ab dem 01.09.2023 sollten Unternehmen aufgrund der unklaren Rechtslage (Szenario 2) vorsichtshalber wieder den zwölfmonatigen Prognosezeitraum anwenden, um eine persönliche und strafrechtliche Haftung nach § 15a InsO zu vermeiden.
- In diesem Zusammenhang ist auch seitens des Kreditinstitutes anzuraten, den von der Fortführungsprognose umfassten Prognosezeitraum (jeweils) zu überprüfen. Auch hier ist vorsichtshalber eine Vorgehensweise wie in Szenario 2 dargestellt zu bevorzugen.
Beitragsnummer: 22294