Dienstag, 27. Februar 2024

Rückführungsvereinbarung als Anzeichen für Zahlungseinstellung

Neben der tatsächlichen Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit steht nach § 130 Ziffer 2 Insolvenzordnung (InsO) „die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit … schließen lassen.” Immer wieder stellt sich im Zusammenhang mit der Zahlungseinstellung eines Schuldners die Frage, inwieweit unter Umständen ein befriedigter Gläubiger von der misslichen Lage Kenntnis hatte oder hätte haben müssen und er insbesondere von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht (nach § 133 InsO) wusste. Im vorliegenden BGH-Urteil vom 06.07.2017 (AZ: IX ZR 178/16) gibt der BGH eine kleine Hilfestellung zur richtigen Einordnung.

 

Ausgangssituation

Der Beklagte erstellte für den Betrieb des Schuldners im Rahmen eines einmaligen geschäftlichen Kontakts Dachöffnungen und führte Kernbohrungen durch. Für diese Arbeiten stellte er dem Schuldner am 07.07.2011 einen Betrag in Höhe von EUR 1.674,93 in Rechnung. Nachdem der Schuldner den Rechnungsbetrag auch nach dreimaliger Mahnung nicht beglichen hatte, leitete der Beklagte das gerichtliche Mahnverfahren ein. Am 27.01.2012 erging gegen den Schuldner ein Vollstreckungsbescheid. Im März 2012 bestanden gegen den Schuldner fällige Forderungen weiterer Gläubiger in Höhe von mehr als EUR 91.000, welche bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr zurückgeführt wurden. Der mit der Vollstreckung des Titels beauftragte Gerichtsvollzieher vereinbarte mit dem Schuldner am 12.03.2012 Ratenzahlungen in Höhe von monatlich EUR 200. Am selben Tag erbrachte der Schuldner die erste Teilleistung in der vereinbarten Höhe. Anschließend informierte der Gerichtsvollzieher den Beklagten schriftlich über das Ratenzahlungsangebot des Schuldners und teilte mit, der Schuldner sei seines Erachtens in der Lage, die Sache durch Ratenzahlung zu erledigen. Am 03.04.2012 und 04.05.2012 zahlte der Schuldner jeweils EUR 355 an den Gerichtsvollzieher, am 04.07.2012 einen Betrag von EUR 460,80 sowie am 10.08.2012 und 30.08.2012 jeweils EUR 300. Am 04.10.2013 stellte der Schuldner einen Insolvenzantrag; das Insolvenzverfahren wurde schließlich am 27.11.20213 eröffnet.

Der Insolvenzverwalter hatte nun eine Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO („…, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. …“) angestrengt, kam damit aber nicht durch.

 

Die Entscheidung

  • Der Leitsatz des BGH-Urteils bringt es auf den Punkt: „Erklärt sich der Schuldner einer geringfügigen Forderung gegenüber dem Gerichtsvollzieher zum Abschluss einer Zahlungsvereinbarung bereit, muss der Gläubiger allein aus diesem Umstand nicht zwingend darauf schließen, dass der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.
  • Richtigerweise legt der BGH (in Rn. 17) dar: „… Zum Schutz vor einer möglichen Zahlungsunwilligkeit, bewussten Zahlungsverzögerungen oder einem erzwungenen Lieferantenkredit muss dem Gläubiger, demgegenüber erstmalig ein Zahlungsrückstand auftritt und der über keine weiteren Erkenntnisse zur Zahlungsfähigkeit des Schuldners verfügt, möglich sein, außerhalb des von der besonderen Insolvenzanfechtung erfassten Zeitraums seine Forderung ohne Anfechtungsrisiko auf dem gerichtlichen Weg durchzusetzen. …”.
  • Weiter geht der BGH auf die Höhe der Forderung ein, die ja im Vergleich zu den Gesamtverbindlichkeiten relativ gering war. Während die Vorinstanzen Vollstreckungen bei kleineren Forderungen als Indiz für eine Zahlungseinstellung betrachtet hatten, kam der BGH nun zu einer praxisnäheren Betrachtung. Rn. 18: „Ein solches Zahlungsverhalten lässt mehrere Deutungen zu, etwa auch die, dass die kleinere Forderung aus Nachlässigkeit nicht beglichen worden ist.


Die praktische Lösung

Der Bundesgerichtshof betont mit dieser Entscheidung, dass es keine rein schematischen Lösungen gibt, sondern in jedem Fall auf die einzelne Situation abgestellt werden muss. Und er zeigt auch, dass der Gesamtüberblick sehr wichtig ist. Gerade die Kreditinstitute werden sich in der Regel nicht darauf berufen können, keinen umfassenden Überblick über die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse zu haben, da üblicherweise in mehr oder wenigen regelmäßigen Abständen bei den gewerblichen Kunden betriebswirtschaftliche Auswertungen angefordert werden.

Wenn allerdings in diesem Zusammenhang z. B. auch Summen-/Saldenlisten verlangt werden, sollte schon eine zumindest grobe Durchsicht der Unterlagen erfolgen, da durch die Informationsdichte der detailliert aufgeführten Konten eine Nichtkenntnis einer möglichen Zahlungseinstellung des Kunden nicht mehr glaubhaft behauptet werden kann. Letztlich hat die in dem Urteil nicht gegebene umfassende Kenntnis der Verhältnisse des Schuldners dazu geführt, dass die Anfechtungsklage des Insolvenzverwalter ins Leere ging.

 

PRAXISTIPPS

  • Die regelmäßige Anforderung von Bonitätsunterlagen des Kreditnehmers ist wichtig, sollte aber auf die wirklich für eine Bonitätsbeurteilung notwendigen Informationen beschränkt werden.
  • Die vorliegenden Informationen müssen zumindest grob analysiert werden, um mögliche Ansatzpunkte für eine Zahlungsunfähigkeit des Kunden zu erkennen. Eine handschriftliche/stichwortmäßige Dokumentation sollte im ersten Schritt ausreichend sein.
  • Sollte eine Schieflage des Kunden erkannt werden, ist die zeitnahe Entfaltung von weiteren Aktivitäten seitens des Kreditinstitutes nicht von Nachteil.
  • Bei Zweifelsfragen ist der Problemkreditbetreuer hinzuzurufen, um die weitere Vorgehensweise abzustimmen.

 

Link zum Urteil:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=e570e6b6e5917a4b5fdce2d1f04b82a0&nr=79357&pos=0&anz=1

 

Hans-Jürgen Wieczorrek, Firmenkundenbetreuer Sanierung, Kreissparkasse Köln


Beitragsnummer: 22526

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