Dr. Matthias Hillmer, ehemaliger Leiter der Beratungsabteilung der DZ BANK AG für die Gesamtbanksteuerung der Genossenschaftsbanken in Deutschland
In den letzten drei Jahren hat die Inflationsentwicklung einen entscheidenden Einfluss auf die Kapitalmärkte gehabt. Mit der massiv anziehenden Jahresrate des Verbraucherpreisindex für Deutschland von 1,2 % im Januar 2021 auf 8,8 % im Oktober 2022 haben sich auch die Kapitalmarktzinsen stark erhöht: Rentierten zehnjährige Bundespapiere bis Ende 2021 noch negativ, so sind deren Rendite bis Oktober 2023 auf knapp 3 % angestiegen, um seither wieder um bis zu einem Prozentpunkt zurückzugehen. Noch ausgeprägter war die Zinswende am Geldmarkt, indem die EZB die Leitzinsen in historisch kurzer Zeit seit Juni 2022 um enorme 4,5 Prozentpunkte bis September 2023 erhöht hat. Auch am Aktienmarkt spielten die Preisedaten und insbesondere die Inflationserwartungen in letzter Zeit eine sehr große Rolle bei der Aktienkursentwicklung.
In dieser Ausarbeitung sollen die Preisentwicklung und die Folgen für die Kapitalmärkte daraus nicht auf Basis ökonomischer Erklärungsansätze und der vermuteten Reaktion der Geldpolitik untersucht werden. Vielmehr stehen allein die statistischen Besonderheiten und die Wirkung der veröffentlichten (Jahres-)Inflationszahlen auf die Märkte bzw. die Öffentlichkeit im Vordergrund. Es ist erstaunlich, wieviel Erkenntnisse allein dadurch über den grundsätzlichen Inflationstrend der letzten Jahre ableitbar ist, der weder durch die Kapitalmärkte noch die EZB immer vollumfänglich erkannt und verarbeitet wurde.
I. Was ist die richtige Inflationsrate?
Schon bei der einfachen Frage, wie die Preisentwicklung auf Basis eines Preisindex in allgemein verständliche Zuwachsraten übersetzt werden kann, kommt es zu Problemen. In der Öffentlichkeit wird die Inflationsentwicklung v. a. an der Jahresrate des monatlich errechneten Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts festgemacht. Es soll hier nicht um die Frage gehen, wie (gut) dieser Index die Preisentwicklung erfasst, sondern um die Übersetzung in eine anschauliche statistische Zahl und deren Interpretation.
Die prozentuale Veränderung zum Vorjahresmonat ist hier sicher eine gut geeignete Größe. Sie ist ohne jegliche Skalierungen gleich als Jahreswert zu interpretieren. Zudem vermeidet der Vergleich mit dem gleichen Monat des Vorjahrs größere Verzerrungen auf Basis von saisonalen Effekten. Genau diese sind der große Nachteil der zweiten i. d. R. verwendeten Größe, der Monatsrate als prozentuale Veränderung des Preisindex zum Vormonat. Dieser Wert ist zwar grundsätzlich näher an der aktuellen Entwicklung. Um ihn direkt mit der Jahresrate zu vergleichen, müsste er annualisiert, d. h. mal zwölf genommen werden. Aber auch ohne diese Hochrechnung fällt bereits auf, dass die Monatszahl sehr stark schwankt und erst saisonbereinigt werden müsste, um sie richtig interpretieren zu können.
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Beitragsnummer: 22543