Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
In seiner Entscheidung vom 27.06.2024, I ZR 98/23 (BKR 2024, 819 ff. mit Anm. Schmitt, BKR 2024, 824 ff. sowie Peifer, GRUR 2024, 1127 ff.), hat sich der Bundesgerichtshof erstmals mit einem Fall von Umwelt-Werbung befasst, in welchem Katjes als Hersteller von Süßwarenprodukten aus Fruchtgummi und Lakritz in einer Lebensmittel-Fachzeitschrift mit der Klimaneutralität der Produktion geworben hatte. Dabei hat der Bundesgerichtshof an die Bewerbung eines Produkts mit dem Begriff "klimaneutral" erheblich strengere Maßstäbe angesetzt als die Vorinstanzen (vgl. hierzu LG Kleve, 22.06.2022, 8 O 44/21, GRUR-RS 2022, 16689 sowie OLG Düsseldorf, 06.07.2023, 20 U 952/22, GRUR-RS 2023, 16069), welche beide sowohl eine Irreführung des Verbrauchers durch die Verwendung des Begriffs „klimaneutral" im konkreten Fall abgelehnt hatten als auch ein unlauteres Vorenthalten einer wesentlichen Information (Rn. 7).
Dabei wirft der BGH den Vorinstanzen im Kern vor, nicht beachtet zu haben, dass für die Beurteilung umweltbezogener Werbeaussagen besondere rechtliche Maßstäbe gelten (Rn. 22). Sodann weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass seine für die gesundheitsbezogene Werbung maßgeblichen strengen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen (vgl. hierzu Rn. 23) grundsätzlich auch für die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen gelten (Rn. 24).
Sodann weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass sich infolge der allgemeinen Anerkennung der Umwelt als ein wertvolles und schutzbedürftiges Gut zunehmend ein verstärktes Umweltbewusstsein entwickelt hat und infolgedessen der Verkehr vielfach Waren und Leistungen bevorzugt, auf deren besondere Umweltverträglichkeit hingewiesen wird. Dieses umweltbewusste Kaufverhalten der Verbraucher würde, so der BGH weiter, auch durch den Umstand gefördert, dass sich Werbemaßnahmen, die an den Umweltschutz anknüpfen, als besonders geeignet erweisen, emotionale Bereiche im Menschen anzusprechen, die von einer Besorgnis um die eigene Gesundheit bis zum Verantwortungsgefühl für spätere Generationen reichen (Rn. 25). Hiervon ausgehend sowie vor dem Hintergrund der Tatsache, dass nicht selten über Bedeutung und Inhalt von verwendeten Umweltbegriffen Unklarheiten bestehen und beim breiten Publikum über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen meist nur ein geringer sachlicher Wissensstand besteht (Rn. 25), folgert der Bundesgerichtshof, dass im Bereich der umweltbezogenen Werbung eine Irreführungsgefahr besonders groß ist und ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen besteht (Rn. 26).
Dies zugrunde legend und davon ausgehend, dass der Begriff „klimaneutral" mehrdeutig und erklärungsbedürftig ist, legt der Bundesgerichtshof sodann dar, dass die Anforderungen an eine Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff verwendet, regelmäßig nur dann erfüllt sind, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert wird, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist, wobei der Bundesgerichtshof gerade bei der Bewerbung des Produkts mit dem Begriff klimaneutral eine Erläuterung in der Werbung selbst deshalb für zwingend erforderlich hält, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität seien, da der Grundsatz des Vorrangs der Reduktion gegenüber der Kompensation gelten würde (Rn. 29). In diesem Zusammenhang führt der Bundesgerichtshof noch aus, dass der Begriff „klimaneutral" deswegen mehrdeutig ist, weil er zum einen als Vermeidung von CO2-Emissionen und zum anderen im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen des Unternehmens verstanden werden kann.
Anschließend weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass dem Durchschnittsverbraucher bekannt sei, dass eine Klimaneutralität in der Praxis sowohl durch Vermeidung von Emissionen als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne (Rn. 33).
Nachdem der Bundesgerichtshof schließlich klargestellt hatte, dass nach den für umweltbezogene Werbung geltenden strengen Maßstäbe außerhalb der Werbung selbst erfolgende, vom Verbraucher erst durch eigene Tätigkeit zu ermittelnde aufklärende Hinweise nicht ausreichend und daher unbeachtlich sind, Katjes wiederum in ihrer streitgegenständlichen Anzeige den zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweis nicht in der Werbung selbst aufgenommen hatte, wurde Katjes die betroffene Werbung untersagt (Rn. 36).
Da Katjes in seiner Werbung selbst ausgeführt hatte, dass das Unternehmen klimaneutral produziere, in der Werbung selbst jedoch nicht klargestellt hatte, dass Klimaneutralität nicht nur durch die Reduktion, sondern auch durch die Kompensation von CO2-Emissionen erreicht werden kann, beide Maßnahmen wiederum keine gleichwertigen Maßnahmen darstellen, hat der Bundesgerichtshof Katjes die konkrete Werbung untersagt.
PRAXISTIPP
Auch wenn vorstehende Entscheidung zur Produktion von Katjes-Süßwaren erging, spielen diese im Bereich des Bankrechts und insbesondere im Bereich des Kapitalmarktrechts eine nicht unerhebliche Rolle. Denn auch dort werden gegenüber Investoren, Unternehmen und Verbraucher umweltbezogene Werbeaussagen getätigt, welche Projekte und Praktiken als nachhaltig, umweltfreundlich, klimaneutral, umweltschonend, umweltverträglich etc. darstellen, weswegen auch bei der umweltbezogenen Werbung von Bankprodukten vorstehende Grundsätze des „Strengeprinzips" zu berücksichtigen sind. Wie wenig greifbar allerdings die in der Zukunft vom Bundesgerichtshof aufzustellenden Grundsätze sind, zeigt sich daran, dass der Bundesgerichtshof in vorstehender Entscheidung den Durchschnittsverbraucher zwar für in der Lage sieht zu erkennen, dass eine Klimaneutralität in der Praxis sowohl durch die Vermeidung von Emissionen als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden kann, auf der anderen Seite jedoch den Durchschnittsverbraucher entgegen der Meinung der Berufungsinstanz nicht in der Lage sieht zu erkennen, dass die Kooperation von Katjes mit einem Klimapartner gerade den Sinn hat, Klimaneutralität durch Kompensation zu erreichen.
Beitragsnummer: 22774