Freitag, 22. November 2024

BaFin – Untersagungsverfügung nach § 4 Abs. 1a FinDAG

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

Die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt hatte bereits unmittelbar nach Erlass der Allgemeinverfügung durch die BaFin am 21.06.2021 in Sachen „langfristige Prämiensparverträge" in seiner Entscheidung vom 24.06.2021, 7 K 2237/20.F (BKR 2021, 583 mit Anm. Edelmann) den von der BaFin in Sachen „Negativ-Zinsen" auf § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG gestützten Bescheid vom 15.07.2019, in welchem die BaFin dem damals betroffenen Unternehmen die weitere Erhebung von Negativzinsen untersagte, aufgehoben und hierzu ausgeführt, dass im Hinblick auf den Umstand, dass traditionell Verbraucherschutzbelange im ordentlichen Rechtsweg gewahrt werden, eine Anordnung auf der Grundlage des § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG durch die BaFin nur dann in Betracht kommt, wenn eine generelle Klärung gerade durch die BaFin geboten erscheint, was nur dann der Fall ist, wenn nicht schon im ordentlichen Rechtsweg den Belangen des Verbraucherschutzes in hinreichender Weise Genüge getan wird (Rn. 25). Vor diesem Hintergrund sei nach Auffassung des VG Frankfurt eine generelle Klärung durch die BaFin und ein entsprechendes Einschreiten nach § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG grundsätzlich nur dann geboten, wenn entweder eine bereits vorliegende Entscheidung des BGH nicht beachtet oder umgesetzt wird oder, sofern eine höchstrichterliche Entscheidung zu der für die Beurteilung eines Missstandes maßgebenden Rechtsfrage noch nicht vorliegt, wenn eine Entscheidung des BGH in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist (Rn. 28). Da wiederum die Negativzinsproblematik bei den ordentlichen Gerichten bereits rechtshängig war, hat das VG Frankfurt die Allgemeinverfügung aufgehoben und ausgeführt, die BaFin müsse die Klärung der Rechtsfrage durch die ordentlichen Gerichte abwarten und von eigenen Maßnahmen absehen (Rn. 28).

Was wiederum die in Sachen „langfristige Prämiensparverträge" von der BaFin am 21.06.2021 erlassene Allgemeinverfügung anbelangt, in welcher die BaFin einer Vielzahl von Kreditinstituten im Wesentlichen aufgegeben hat, ihre Kunden über die Unwirksamkeit der in den langfristigen Sparverträgen enthaltenen Zinsanpassungsklauseln zu unterrichten, verbunden mit der unwiderruflichen Zusage, einen von Zivilgerichten im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung festzusetzende Referenzzinssatz zur Basis einer Nachberechnung der Guthabenzinsen seit Vertragsbeginn zu machen, so hat die 7. Zivilkammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt in seinem Urteil vom 23.10.2024, 7 K 548/22.F auch diese Allgemeinverfügung aufgehoben, ohne allerdings auf vorstehende, in der Entscheidung vom 24.06.2021 aufgestellten Grundsätze abzustellen. Letzteres deshalb, weil das Verwaltungsgericht Frankfurt nicht mehr zu diesem in der Prüfungsreihenfolge später zu erörternden Punkt kam. Vielmehr vertrat das Verwaltungsgericht Frankfurt in seiner Entscheidung vom 23.10.2024 die Rechtsauffassung, dass es bereits an dem für den Erlass einer Allgemeinverfügung zwingend erforderlichen verbraucherschutzrelevanten Missstand i. S. v. § 4 Abs. 1a S. 2 FinDAG fehle. Dies deshalb, weil es an einem erheblichen, dauerhaften oder wiederholten Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz, welcher nach seiner Art und/oder seinem Umfang her die Interessen nicht nur einzelner Verbraucherinnen oder Verbraucher gefährden kann oder beeinträchtigt, ganz offenkundig fehlt.

In diesem Zusammenhang stellte das Verwaltungsgericht zunächst klar, dass nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1a FinDAG ein hierauf gestütztes Vorgehen einen Verstoß gegen ein Verbraucherschutzgesetz erfordert und damit einen Verstoß gegen eine zivilrechtliche Norm, weswegen allein ein Verstoß gegen Rechtsprechungsgrundsätze ein Tätigwerden nach § 4 Abs. 1a FinDAG nicht zu rechtfertigen vermag. Hieran anknüpfend prüfte sodann das Gericht, ob entsprechend dem Vortrag der BaFin § 306 Abs. 2 BGB und insbesondere die vom Bundesgerichtshof für erforderlich gehaltene ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB als Verbraucherschutzgesetze i. S. v. § 4 Abs. 1a S. 3 FinDAG angesehen werden können, woran nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ganz erhebliche Zweifel bestünden, was jedoch im konkreten Fall dahingestellt bleiben konnte. Dies deshalb, weil jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids kein Verstoß gegen die vom Bundesgerichtshof geforderte ergänzende Vertragsauslegung vorlag. Dies schon deshalb nicht, weil der Bundesgerichtshof erst in seiner Entscheidung vom 09.07.2024, XI ZR 44/23 den bei der ergänzenden Vertragsauslegung von langfristigen Sparverträgen der streitgegenständlichen Art heranzuziehenden Referenzzinssatz festgelegt habe, weswegen vor diesem Zeitpunkt bereits ein Verbraucherschutzverstoß im Sinne eines Verstoßes gegen Rechtsprechungsgrundsätze nicht vorliegen konnte.

Abschließend hält das Verwaltungsgericht noch fest, dass auch keine Verpflichtung der Kreditinstitute bestand, die durch die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel entstandene Vertragslücke durch individuelle Vereinbarung oder durch Einholung der Zustimmung der betroffenen Kundinnen und Kunden zu schließen. Dies deshalb, weil bei einem Massengeschäft wie den vorliegenden Prämiensparverträgen der Abschluss von individualvertraglichen Vereinbarungen den Kreditinstituten so lange unzumutbar sei, wie keine gerichtliche ergänzende Vertragsauslegung und damit keine rechtssicheren Vorgaben in Bezug auf den zu verwendenden Referenzzinssatz existieren.


PRAXISTIPP

Auf den ersten Blich überrascht es sehr, dass ein und dieselbe Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt mit einer völlig anderen Argumentation als bei der Aufhebung der Allgemeinverfügung der BaFin in Sachen Negativzinsen die von der BaFin in Sachen Prämiensparverträge erlassene Allgemeinverfügung nach § 4 Abs. 1a FinDAG aufhob. Dies gilt umso mehr, als das VG Frankfurt in seiner aktuellen Entscheidung bei den langfristigen Prämiensparverträgen die erlassene Allgemeinverfügung der BaFin bereits deswegen als nicht geboten i. S. v. § 4 Abs. 1a FinDAG hätte ansehen können, weil zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides ebenso wie bei den Negativzinsen auch bei den langfristigen Sparverträgen in absehbarer Zeit mit dem Erlass höchstrichterlicher Urteile zur streitgegenständlichen Problematik zu rechnen war. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Frage, welcher Referenzzinssatz im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zugrunde zu legen ist, sondern auch in Bezug auf die Frage, in welchem Ausmaß die BaFin, gestützt auf § 1 Abs. 1a FinDAG, die Kreditinstitute zum Handeln verpflichten kann. Denn diesbezüglich hat der Bundesgerichtshof erst kürzlich in seinem Urteil vom 11.09.2024, I ZR 168/23 (BB 2024, 2642 mit Anm. Edelmann) festgehalten, dass einem Verbraucherschutzverband gegen ein Kreditinstitut ein Beseitigungsanspruch auf Rückzahlung von einbehaltenen Entgelten nach § 8 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 3 a UWG in Verbindung mit § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zusteht, weil ein solcher Anspruch mit der Systematik des kollektiven Rechtsschutzes nach dem geltenden deutschen Recht nicht im Einklang stünde, womit klargestellt ist, dass Verbraucherschutzverbänden gegenüber Kreditinstituten, gestützt auf § 8 UWG, wenn überhaupt, so doch nur ein Folgenbeseitigungsanspruch im Sinne eines Informationsanspruchs zusteht. Ist dem aber in zivilrechtlicher Hinsicht so, dann bestehen erhebliche Zweifel daran, ob der BaFin über § 4 Abs. 1 a FinDAG weitergehende, über die zivilrechtlichen Ansprüche hinausgehende „Eingriffsbefugnisse" in dem Sinne eingeräumt werden dürfen, welche weit über die zivilrechtlichen, den Verbraucherschutzverbänden über unterschiedliche Eingriffsbefugnisnormen eingeräumten Möglichkeiten hinausgehen.

Auf den zweiten Blick scheint es aber so zu sein, als ob das VG Frankfurt der BaFin unbedingt aufzeigen wollte, dass bei dem Erlass einer auf § 4 Abs. 1a FinDAG gestützte Allgemeinverfügung die BaFin bereits viel grundsätzlichere Hürden zu nehmen hat, denen sich die BaFin bisher wohl nicht bewusst war.

Hiervon unabhängig wird das Verwaltungsgericht Frankfurt bei seinen zukünftigen Entscheidungen (die BaFin hatte kurz vor der Verhandlung ihre alte Allgemeinverfügung an die Entscheidung des BGH v. 09.07.2024, a. a. O., angepasst, was das Gericht – weil hierüber nicht mitentschieden wurde – und wohl auch die Parteien als den Erlass einer neuen Allgemeinverfügung gewertet haben) den Umstand berücksichtigen müssen, dass der Bundesgerichtshof zwar in seiner Entscheidung vom 09.07.2024, XI ZR 44/23, die Umlaufrenditen inländischer Bundeswertpapiere mit Restlaufzeit von über 8–15 Jahren (ehemalige Zeitreihe WU 9554) als Referenzzinssatz im konkreten Fall für maßgeblich erachtet hat, damit jedoch nicht festgelegt ist, ob nicht auch ein weiterer Referenzzinssatz wie z. B. die Umlaufrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen/börsenorientierter  Bundeswertpapier mit Restlaufzeiten von 5–8 Jahren (ehemalige Zeitreihe WU 9553) als ebenso gültiger Referenzzinssatz anzusehen ist (vgl. hierzu Edelmann in Banken-Times SPEZIAL Bankrecht, Ausgabe Juli/August 2024, 59 ff.), worüber der Bundesgerichtshof in nicht absehbarer Zeit entscheiden dürfte. Schließlich wird zu bedenken sein, dass die BaFin in ihrer nach § 4 Abs. 1a FinDAG zu erlassenden Allgemeinverfügung die individualvertraglichen Besonderheiten der jeweiligen Geschäftsbeziehung zwischen Kreditinstitut und Kunde berücksichtigen muss, so z. B. ob etwaige Ansprüche von Kunden zwischenzeitlich verjährt sind oder ob Aufrechnungs- oder Zurückbehaltungsmöglichkeiten oder sonstige Einwendungen und Einreden des Kreditinstitutes bestehen.

Insgesamt bleibt daher mit Spannung abzuwarten, wie sich die Verwaltungsgerichte zukünftig zu § 1 Abs. 1 a FinDAG positionieren werden. Insbesondere wird abzuwarten bleiben, ob das Verwaltungsgericht Frankfurt trotz der vom Gericht diesbezüglich geäußerten und vorstehend dargelegten Bedenken aufgrund Ergehens der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 09.07.2024, XI ZR 44/23 die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur ergänzenden Vertragsauslegung als Verbraucherschutzgesetz i. S. v. § 4 Abs. 1a FinDAG ansehen wird.


Beitragsnummer: 22804

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