Dr. Andreas Grözinger, RA, Partner und Fachanwalt für Strafrecht, Gercke Wollschläger PartG mbB
#MeToo als Paradigmenwechsel
Die #MeToo-Bewegung hat weltweit eine neue Aufmerksamkeit auf das Thema Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gelenkt. Axel Springer und SAP sind nur zwei Fälle, in denen #MeToo-Vorwürfe Führungspersonen zum Verhängnis wurden. Für Unternehmen und insbesondere für deren Vorstände und Aufsichtsräte stellen solche Vorwürfe eine doppelte Herausforderung dar: einerseits die sachgerechte Aufklärung konkreter Vorwürfe, andererseits die Schaffung einer Unternehmenskultur, die Machtmissbrauch nachhaltig verhindert. Kommt es zu #MeToo-Vorwürfen im Unternehmen, geht es regelmäßig um mehr als die Reputation des Unternehmens, nämlich um Fragen der Unternehmenskultur und des Strafrechts.
Indizien von Machtmissbrauch
Ein zentraler Aspekt von #MeToo-Fällen ist der Missbrauch von Machtstrukturen. Machtmissbrauch manifestiert sich nicht immer in offensichtlichem Fehlverhalten, sondern häufig in subtilen, systemischen Strukturen. Vorstände und Aufsichtsräte müssen diese Dynamiken verstehen, um effektive Maßnahmen ergreifen zu können. Wichtige Indizien für ein missbrauchsanfälliges Arbeitsumfeld sind hierbei:
- die Immunisierung gegen Kritik,
- ein systematisch intransparentes Kommunikationsverhalten,
- die Umgehung von Autoritäts- und Entscheidungsstrukturen, einschließlich des systematischen Abbaus von Distanzempfinden, Grenzziehungsbewusstsein und der systematischen Grenzüberschreitung zwischen institutioneller und nicht-institutioneller Ebene.
- die Überschreitung ethischer und rechtlicher Grenzen,
- die systematische Einflussnahme mithilfe von Angst und der Herstellung von Angst-Räumen,
- das Einfordern von Vertrauen und Gehorsam kraft Amtes.
Je mehr und je stärker diese Indizien vorliegen, desto stärker wiegt das Risiko des Machtmissbrauchs.
Besondere Anforderungen an interne Untersuchungen
Die Aufklärung von #MeToo-Vorwürfen stellt das Unternehmen regelmäßig vor große Herausforderungen. Denn #MeToo-Untersuchungen sind keine reine Formalie, sondern ein Prüfstein für die Integrität und Handlungsfähigkeit eines Unternehmens. Hierbei müssen Unternehmensverantwortliche folgende Besonderheiten im Blick behalten.
Besonderheit 1: Die Aufklärung von Missbrauchsvorwürfen ist eine Gratwanderung zwischen Opferschutz und der Wahrung der Rechte des Beschuldigten. Zum einen muss das Unternehmen jeden Hinweis auf sexuelle Belästigung ernst nehmen und vollumfänglich untersuchen. Zum anderen dürfen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Beide Seiten müssen gleichermaßen Gehör finden. Die Untersuchung muss unvoreingenommen und bei der Befragung des Beschuldigten objektiv und ohne Schuldzuweisungen erfolgen.
Besonderheit 2: Es kommt regelmäßig zu Aussage-gegen-Aussagesituation, so dass den Untersuchungsführern weder Zeugen noch Unterlagen bei der Aufklärung helfen. Hier kommt der Aussagepsychologie besondere Bedeutung zu. Die Untersuchungsergebnisse und Aussagen sind penibel zu dokumentieren, um eine Prüfung der Aussagen auf Widersprüche zu prüfen.
Besonderheit 3: Im Fall des Verdachts einer strafrechtlich relevanten sexuellen Handlung besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Vorwurf öffentlich wird. Umso wichtiger ist es, den Vorwurf frühzeitig ernst zu nehmen und der betroffenen Person Gehör zu schenken und proaktiv an der Aufklärung mitzuwirken.
Präventive Maßnahmen und Haftungsrisiken
Die Prävention von #MeToo-Vorfällen erfordert eine klare Positionierung und proaktive Maßnahmen seitens des Unternehmens. Dies verlangt vom Vorstand, Strukturen zu schaffen, die Diskriminierung und Belästigungen verhindern. Neben einem klaren „Tone from the Top“ und einem zugehörigen Code of Conduct ist die Etablierung von Beschwerdestellen und Hinweisgeberkanälen unerlässlich, um frühzeitig Kenntnis von #MeToo-Vorwürfen zu erlangen.
Zudem bieten sich regelmäßige Schulungsprogramme an, um die Belegschaft und Führungskräfte für das Thema hinreichend zu sensibilisieren. Der ganzheitliche Blick darf nicht fehlen. Bestehende Strukturen und Hierarchien müssen kritisch reflektiert werden.
Ein Versäumnis in diesen Bereichen kann weitreichende Haftungsfolgen nach sich ziehen. Neben zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen gegen das Unternehmen (§ 15 Abs. 1 und 2 AGG) droht eine persönliche Haftung des Managements nach § 130 OWiG, wenn erforderliche Maßnahmen unterlassen wurden.
PRAXISTIPPS
- „Take action!“ – Zögern Sie nicht, im Verdachtsfall sofort Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten. Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung erfordern entschlossenes Handeln, um das Vertrauen in die Unternehmensführung zu bestärken und weitere Schäden abzuwenden.
- „Prevention is key!“ – Präventive Maßnahmen und ein klares Bekenntnis der Leitung gegen jede Form von Machtmissbrauch und (sexueller) Diskriminierung sind die beste Haftungsprophylaxe. Fördern Sie eine offene Meldekultur und etablieren Sie Beschwerdestellen. Strukturen, die Diskriminierung und Belästigung entgegenwirken, reduzieren nicht nur Risiken, sondern stärken auch die Unternehmenskultur.
- „Balance the interests!“ – #MeToo-Fälle sind eine Gratwanderung zwischen Opferschutz und den Rechten des Beschuldigten. Beiden Seiten eine faire und respektvolle Behandlung zu garantieren, ist ein zentraler Bestandteil jeder Untersuchung und unerlässlich für die Glaubwürdigkeit des Prozesses.
- „Think long-term!“ – Beschränken Sie sich nicht nur auf die Aufklärung vergangener Vorfälle. Nutzen Sie #MeToo-Untersuchungen, um langfristig diskriminierungsfreie Strukturen zu schaffen und systemischen Problemen vorzubeugen.
Beitragsnummer: 22847