Donnerstag, 9. Januar 2025

Anfechtung bei nahestehenden Personen

Auch nahestehende Personen eines Schuldners können im Falle einer Insolvenz von einer Anfechtung durch den Insolvenzverwalter nach § 138 InsO betroffen sein. In seinem Urteil vom 22.02.2024 (AZ: IX ZR 106/21) hat sich der Bundesgerichtshof mit dieser Thematik beschäftigt. Für ein Kreditinstitut ist dies vor allem dann interessant, wenn der Anfechtungsgegner gleichzeitig Kunde und/oder Sicherheitengeber ist.


Ausgangssituation

Der BGH schildert die Ausgangssituation gem. Rn. 1,2 wie folgt: „Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 22. August 2013 am 30. Oktober 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. (im Folgenden: Schuldnerin). Der Beklagte, ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder Augenoptiker sind, ist alleiniger Gesellschafter der M. GmbH (im Folgenden: GmbH). Diese wiederum ist alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin. Der Vorstand des Beklagten ist Mitglied des Beirats der M. GmbH. Die Schuldnerin überwies von ihrem allgemeinen Geschäftskonto wiederholt Gelder, zuletzt 146.400 € am 16. Juli 2013. Anlass und Rechtsgrund dieser Zahlungen sind zwischen den Parteien streitig.

Mit der Klage begehrt der Kläger im Wege der Insolvenzanfechtung Zahlung von insgesamt 296.700 € nebst Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat hinsichtlich der Zahlung vom 16. Juli 2013 über 146.400 € nebst Zinsen und anteiliger außergerichtlicher Anwaltskosten zugelassenen Revision verfolgt der Kläger insoweit seinen Klageantrag weiter.“


Die Entscheidung

Im Leitsatz hält der Bundesgerichtshof fest: „Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, so sind nahestehende Personen auch solche, die mittelbar zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.“

Das BGH-Urteil baut zunächst auf folgende (übliche) Kernaussagen auf:

  • Für die Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung (Rn. 6).
  • Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ... die Kenntnis des Beklagten von einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitpunkt der Überweisung vom 16. Juli 2013 gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 InsO zu vermuten (Rn. 7).

Gerade die Kenntnisvermutung wird hierbei auf folgende Punkte gestützt:

  • Gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ist die Befriedigung innerhalb von drei Monaten vor dem am 22.08.2013 gestellten Insolvenzantrag erfolgt. Zahlungsunfähigkeit war gegeben und diese war dem Gläubiger bekannt. (Rn. 8).
  • Der Beklagte ist aufgrund der mittelbaren Beteiligung an der Schuldnerin als nahestehende Person gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO anzusehen (Rn. 9). Hierbei sind auch Personen als nahestehend anzusehen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. Diese Bestimmung umfasst auch mittelbare Beteiligungen (Rn. 10).
  • Die gesetzlichen Vorstellungen gehen über die bloße Beteiligungsgröße hinaus, da „zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligte Personen über besondere, das heißt über bloße Auskunftsrechte hinausgehende Möglichkeiten verfügen, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu unterrichten (Rn. 13)“.

Gerade der letzte Punkt ist brisant, da über die Kapitalbeteiligung zumindest die theoretische Möglichkeit besteht, deutlich detaillierter Einblick in die wirtschaftliche Situation zu nehmen.


Konsequenzen für das Kreditinstitut

Häufig sind gerade Gesellschafter oder andere nahestehende Personen (im Sinne des § 138 InsO) über Sicherheitenverträge in die Beziehungen der juristischen Person mit dem Kreditinstitut eingebunden. Dies ist zunächst nicht weiter tragisch, wird aber in dem Fall möglicherweise zu einem Problem, wenn der Anfechtungsgegner (= Gesellschafter) mit einer Anfechtungsforderung des Insolvenzverwalters konfrontiert wird.

Kreditengagements bei juristischen Personen werden häufig auch auf die Bonität der (bspw. bürgenden) Gesellschafter abgestellt. Werden hier später Forderungen des Insolvenzverwalters geltend gemacht, kann dies durchaus ernsthafte Auswirkungen auf die tatsächliche Zahlungsfähigkeit dieser Personen haben.


PRAXISTIPPS

  • Im Falle einer Insolvenz sollte zumindest grob geprüft werden, ob, wie hier im beispielhaften Fall, Zahlungen an Gesellschafter oder andere nahestehenden Personen geflossen sind.
  • Zusammen mit der Rechtsabteilung sollte geprüft werden, ob eventuell eine Nachbesicherung möglich ist.


Link zum Urteil:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=0542e35d15183686feefeed6549e55cd&nr=136987&anz=1&pos=0

 

Hans-Jürgen Wieczorrek, Firmenkundenbetreuer Sanierung, größeres Kreditinstitut im Rheinland

 

 


Beitragsnummer: 22853

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