Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart
In seiner Entscheidung vom 15.04.2024, 1 U 47/23, BKR 2024, 729, hat das Oberlandesgericht Bremen im Anschluss an das OLG Frankfurt (22.09.2023, 3 U 84/23, BeckRS 2023, 42385), das OLG München (04.09.2023, 19 U 1508/23, BKR2023, 839) und das OLG Köln (20.12.2021, 13 U 18/21, BeckRS 2021, 61942; so auch LG Zweibrücken, 23.01.2023, 20130/22, BeckRS 2023, 2293; LG Saarbrücken, 10.06.2022, 1 O 394/21, ZIP 2022, 1855; AG München, 05.01.2017, 132 C 49/15, BeckRS 2017, 121411), festgehalten, dass die Mitteilung von TANs durch den Bankkunden an einen Dritten – auch wenn sich letzterer als Bankmitarbeiter ausgegeben hat – eine Verletzung der Verpflichtung zur Geheimhaltung der personalisierten Sicherheitsmerkmale i. S. v. § 675 l Abs. 1 Satz 1 BGB sowie eine Verletzung der in den Sonderbedingungen für das Onlinebanking geregelten vertraglichen Pflichten darstellt, wobei diese Pflichtverletzung grundsätzlich den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründet (Rn. 21). Dies deshalb, weil es bereits als allgemein und jedermann einleuchtend anzusehen ist, dass dem Bankkunden persönlich zugesandte Sicherheitsmerkmale von diesem nicht abweichend von der vereinbarungsgemäß vorgesehenen Verwendung gegenüber Dritten offenbart werden dürfen, wenn nicht die Sicherheit seines durch diese Merkmale geschützten Kontozugangs gefährdet werden soll. Zudem sei generell aufgrund der in den letzten Jahren vielfach durch verschiedene Medien bekannt gewordenen Fälle die Kenntnis als allgemeines Wissen vorauszusetzen, das Kunden durch betrügerische Briefe und Anrufe vorgeblicher Bankmitarbeiter zur Preisgabe von Zugangsdaten zum Online-Banking veranlasst werden sollen. Denn spätestens seit 2006 werde das kriminelle Phänomen des Phishings und anderer Methoden, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen den Angerufenen zu finanziellen Transaktionen zu veranlassen, öffentlich breit diskutiert (Rn. 21).
Sodann weist das OLG Bremen darauf hin, dass grundsätzlich dem Anspruch des Zahlungsdienstleisters aus § 675 v Abs. 3 BGB der Einwand eines Mitverschuldens des Zahlungsdienstleisters § 254 BGB entgegengehalten werden könne, wenn ihm ein eigenes unsorgfältiges Handeln anzulasten ist. Abweichend vom OLG Frankfurt (Entscheidung vom 22.09.2023, 3 U 84/23, BeckRS 2023,42385 Rn. 19), führt das OLG Bremen jedoch aus, dass der Annahme eines eigenen Sorgfaltsverstoßes des Zahlungsdienstleisters nicht entgegenstehe, dass die Auslösung des unautorisierten Zahlungsvorgangs erst durch die grob fahrlässige Weitergabe eine dem Kunden übermittelten TAN erfolgt. Insbesondere würde dies nicht zur Annahme einer das Mitverschulden ausschließenden überholenden Kausalität führen (Rn. 31).
PRAXISTIPP
Nachdem zwischenzeitlich mehrere OLGs festgestellt haben, dass in der Weiterleitung einer TAN in einem Telefongespräch an einen unbekannten Dritten ein grob fahrlässiger Sorgfaltspflichtverstoß vorliegt, welcher einen Schadensersatzanspruch der Bank gemäß § 675v Abs. 3 BGB begründet (so auch OLG München, 04.09.2023, 19 U 1508/23 BKR 2023, 839; OLG Frankfurt a. M., 22.09.2023, 3 U 84/23, BeckRS 2023, 42385; OLG Köln, 20.10.2021, 13 U 18/21, BeckRS 2021, 61942), dürfte nunmehr feststehen, dass in allen Fällen, in welchen die TAN durch den Kontoinhaber pflichtwidrig an Dritte weitergegeben wurde, stets von einer grob fahrlässigen, einen Anspruch nach § 675 v Abs. 3 BGB begründenden Pflichtverletzung auszugehen ist. Dies dürfte auch dann gelten, wenn der Bankkunde nicht zugibt, die TAN an einen dritten weiter gegeben zu haben; dies jedenfalls dann, wenn die betrügerischen Transaktionen Dritter in tatsächlicher und technischer Hinsicht nur in Kenntnis der dem Bankkunden auf sein Mobiltelefon mitgeteilten TAN möglich ist.
Ob und inwiefern man in den Fällen, in welchen gerade die Weitergabe der TAN die grobe Fahrlässigkeit des Bankkunden begründet, ein Mitverschulden noch annehmen oder aber der Mitverschuldenseinwand wegen Annahme einer überholenden Kausalität abgeschnitten ist, wird wohl der Bundesgerichtshof entscheiden müssen. Nachdem jedoch in technischer Hinsicht feststeht, dass die Weitergabe der TAN an den betrügerischen Dritten die einzige Möglichkeit darstellt, um dem Dritten die betrügerischen Transaktionen zu erlauben, spricht einiges dafür, dass ein Mitverschulden wegen überholender Kausalität in Fällen der vorliegenden Art ausgeschlossen ist.
Beitragsnummer: 22870