Tim-Oliver Engelke, M. Sc., Bereichsleiter Gesamtbanksteuerung & Leiter der Risikocontrollingfunktion gemäß MaRisk, Kreissparkasse Düsseldorf[1]
Mit Veröffentlichung der Durchführungsverordnungen 2024/855 vom 15.03.2024 wurde erstmalig auf die neue Meldung zum Zinsrisiko im Anlagebuch (Interest Rate Risk in the Banking Book, IRRBB) im Zusammenhang mit dem barwertigen (Economic Value of Equity, EVE) und periodischen (Net Interest Income, NII) aufsichtlichen Ausreißertest (Supervisory Outlier Test, SOT) abgestellt. Wohingegen die Institute bereits mit dem barwertigen Ansatz im Zuge der Meldung von Zinsänderungsrisikopositionen im Anlagebuch im SAKI sowie in der internen Steuerung vertraut waren, stellt speziell der periodische Ausreißertest (NII SOT) eine Neuerung dar.
Zielrichtung des periodischen Ausreißertests ist die Ermittlung der Veränderung des Zinsüberschusses in einem parallelen Auf- und Abwärtsszenario über einen Einjahreshorizont in Verbindung mit einer konstanten Bilanzannahme. Das Delta des Zinsüberschusses zwischen dem Schock- und Basisszenario wird dabei in Relation zum Kernkapital des Institutes gestellt. Ergibt sich dabei eine stärkere negative Veränderung als 5 %, fällt dies unter die Angabe „stark rückläufig“ (vgl. Europäische Kommission 2024, S. 5). Fraglich ist in diesem Zusammenhang, welche Konsequenzen aus der Überschreitung der 5%-Schwelle aufsichtlich resultieren. Gemäß der Durchführungsverordnungen 2024/856 führt eine Überschreitung der Schwellenwerte nicht notwendigerweise zu der Anforderung zu einer Anpassung der internen Regelungen, Verfahren oder Mechanismen und geht nicht mit einer automatischen Ausübung von Aufsichtsbefugnissen einher, solange das Zinsänderungsrisiko zweckentsprechend und dem Geschäftsmodell angemessen ist (vgl. Europäische Kommission 2023, S. 1). Dies deckt sich demnach mit dem Rundschreiben 06/2019 (BA) der BaFin, wonach aufsichtliche Maßnahmen, die ausschließlich aus der Überschreitung der Schwellen resultieren, nicht vorgesehen sind (vgl. BaFin 2019, S. 2). In der Praxis wird im Zusammenhang mit MaRisk AT 4.2 Tz. 2 jedoch auf die Tatsache abgestellt, dass bezogen auf das Zinsrisiko im Anlagebuch der Risikoappetit sowohl barwertig als auch periodisch über Limite oder Warnschwellen begrenzt werden sollte (vgl. BaFin 2024, S. 20).
Bei der Ermittlung des periodischen Ausreißertests (NII SOT) stellt vor dem Hintergrund der konstanten Bilanzannahme speziell die Herleitung der Margenannahmen einen wesentlichen Treiber der Höhe des Quotienten dar. Gemäß der Veröffentlichung des BIS (Basel Committee of Banking Supervision) von 2016 sollte im Rahmen der konstanten Bilanzannahme hinsichtlich der Fälligkeiten auf ein „like-for-like replacement“ (vgl. BIS 2016, S. 37) und demnach einen gleichwertigen Ersatz abgestellt werden mit identischen Eigenschaften hinsichtlich Marge, Spread, Laufzeit und Höhe (vgl. BIS 2016, S. 15). Die deutsche Aufsicht fordert in diesem Zusammenhang im Rahmen des LSI-Stresstest die Prolongation durch identisches Neugeschäft zu den dann aktuell geltenden Konditionen (Deutsche Bundesbank und BaFin 2024, S. 6). Dies würde theoretisch die Prolongation auf Einzelgeschäftsebene erfordern und mit einem sehr hohen Aufwand in der Simulation des periodischen Zinsüberschusses einhergehen. In der Praxis wird daher seitens der Institute auf eine Betrachtung auf Bilanzposition oder Produkt-Ebene abgestellt.
Gemäß Artikel 4 der Durchführungsverordnung 2024/856 sollten die verwendeten Margen der prolongierten Positionen auf den Margen kürzlich gekaufter oder verkaufter Produkte mit ähnlichen Merkmalen basieren (vgl. Europäische Kommission 2023, S. 5). Dies wird bekräftigt durch die FAQ der EBA vom Oktober 2022, wonach bei der Herleitung von Margen eher auf aktuelle statt historische Ausprägungen abgestellt werden sollte, um ein „realistischeres“ Bild der Auswirkungen des periodischen Zinsschocks zeichnen zu können (vgl. EBA 2022, S. 44). In der Praxis greifen die Institute dabei auf unterschiedliche Ansätze zurück. Zu unterscheiden ist hier u. a. das Abstellen auf die Stichtagsmarge des Gesamtbestandes versus die Betrachtung der Margen des Neugeschäfts der letzten Monate. Bezogen auf die Aktivseite empfiehlt die EBA die Orientierung an kürzlich vergebenen Darlehen, was demnach eher der Betrachtung der Margen des echten Neugeschäfts der letzten Monate entspricht (vgl. EBA 2022, S. 44). Da im Rahmen des periodischen Ausreißertests jedoch nur auf die nächsten zwölf Monate abgestellt wird, ist die Herleitung der Margen speziell auf der Passivseite und dem damit verbundenen Zinsaufwand im Zinsanstiegs-Szenario von Bedeutung. Hierbei stellt sich in der Praxis oft die Frage, wie normalverzinsliche private Sicht- und Spareinlagen parametrisiert werden, da diese aufgrund der hohen Volumina und je nach Ausprägung der Mischungsverhältnisse deutliche Auswirkungen auf den Zinsaufwand haben können. Institute orientieren sich hierbei teilweise an vergangenen Zinsperioden und der Tatsache, dass in den genannten Produkten in Breite kein Zinssatz gezahlt wurde. Die Darstellung dieses Sachverhalts und der Produktzinsbegrenzung auf beispielsweise 0,0 % oder 0,1 % geht in der Simulation über den Zeitverlauf der nächsten zwölf Monate mit einer Veränderung der Margen einher. Hintergrund ist hierbei das trägere Zinsanpassungsverhalten, was auch in der Praxis bei täglich fälligen Einlagen beobachtet werden kann (vgl. Deutsche Bundesbank 2023, S. 41). Fraglich ist, ob die Veränderung der Margen über den Zeitverlauf der Annahme der konstanten Bilanz entspricht.
Aufgrund der Relevanz der Herleitung der Margen hat die EBA dem Thema einen extra Abschnitt in ihrer neuesten Veröffentlichung („IRRBB heatmap implementation“) vom 06.02.2025 gewidmet. Gemäß EBA zielt die „Standardlösung“ in Übereinstimmung mit der Durchführungsverordnung 2024/856 auf das Konstanthalten der Margen und Spreads über den Zeitverlauf ab (vgl. EBA 2025, S. 25). Zudem sollten die Margen und Spreads unabhängig vom jeweiligen Zinsszenario angewendet werden (vgl. EBA 2025, S. 26). Gleichsam referenziert die EBA jedoch auch auf die Möglichkeit der Herleitung der Margen analog zu den bestehenden Steuerungsannahmen und Simulationen sowie die konservative Berücksichtigung unterschiedlicher Annahmen je Szenario (vgl. EBA 2025, S. 25). Dies geht jedoch mit zusätzlichen Herleitungs- und Dokumentationsanforderungen hinsichtlich der Modellierungsannahmen einher (vgl. EBA 2025, S. 26–27).
Basierend auf einer Umfrage der EBA zu den genannten Ansätzen ergibt sich dabei die Erkenntnis, dass 38 % der Institute auf kürzliche realisierte Margen mit konstanter Darstellung in der Simulation abstellen. Im Gegensatz dazu orientieren sich 62 % der Institute an den Parametrisierungen analog bestehender Steuerungsannahmen (EBA 2025, S. 25).
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass sich die Institute dezidiert mit den beiden Ansätzen und der Herleitung repräsentativer Margen und Spreads beschäftigen sollten. Je nach Bilanzstruktur und verwendeten Mischungsverhältnissen können dabei deutlich unterschiedliche Ergebnisausprägungen entstehen, die je nach Höhe des NII-SOT-Koeffizienten entsprechend gewürdigt werden sollten.
PRAXISTIPPS
- Evaluieren Sie die Limitierung periodischer als auch barwertiger Kennzahlen zur Steuerung des Zinsänderungsrisikos.
- Überprüfen Sie verschiedene Ansätze zur Herleitung von Margen, z. B. Stichtagsmarge (Gesamtbestand), Marge Neugeschäft (letzte Monate) und Planmarge.
- Überprüfen Sie den Unterschied konstanter vs. variabler Margen – speziell auf der Passivseite.
- Dokumentieren Sie die Annahmen bezüglich der Modellierung der Margen.
Literaturhinweise:
Basel Committee on Banking Supervision (BIS) (2016): Standards – Interest rate risk in the banking book.
BaFin (2019): Rundschreiben 06/2019 (BA) – Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch.
BaFin (2024): Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, Erläuterungen zum Rundschreiben 06/2024 vom 29.05.2024.
Deutsche Bundesbank (2023): Finanzstabilitätsbericht 2023.
Deutsche Bundesbank und BaFin (2024): LSI-Stresstest 2024 – Institutsübergreifendes Auskunftsersuchen.
EBA (2022): Final report - Draft Regulatory Technical Standards specifying supervisory shock scenarios, common modelling and parametric assumptions and what constitutes a large decline for the calculation of the economic value of equity and of the net interest income in accordance with Article 98(5a) of Directive 2013/36/EU.
EBA (2025): IRRBB HEATMAP IMPLEMENTATION, EBA/REP/2025/04.
Europäische Kommission (2023): Delegierte Verordnung 2024/856.
Europäische Kommission (2024): Delegierte Verordnung 2024/855.
[1] Der Beitrag stellt die persönliche Meinung des Verfassers dar, die nicht notwendigerweise mit der des Arbeitgebers übereinstimmen muss.
Beitragsnummer: 22928