Donnerstag, 27. März 2025

Sanktion bei Verletzung der Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner, Stuttgart

 

In seiner Entscheidung vom 24.10.2024, C 339/23 (WM 2025, 195 mit Anm. Berger/Scholl, ZIP 2025, 626) führt der EuGH zunächst aus, dass sich aus dem Wortlaut des Art. 23 der Richtlinie 2008/48/EG ergibt, dass die Sanktionen für einen Verstoß gegen die in Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers so festgelegt werden müssen, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind (Rn. 26). Zudem hält er fest, dass die Wahl der betreffenden Sanktionsregelungen innerhalb vorstehend dargelegter Grenzen allein den Mitgliedstaaten überlassen ist (Rn. 26).

Hieran anschließend führt der EuGH noch aus, dass innerhalb der vorstehend dargestellten und von der Richtlinie vorgegebenen Grenzen nicht nur der nationale Gesetzgeber, sondern auch die nationalen Gerichte über ein Ermessen verfügen, welches es ihnen ermöglicht, nach den Umständen des Einzelfalls die der Schwere des festgestellten Verstoßes angemessene Maßnahme zu wählen (Rn. 27). Insofern müssten die nationalen Gerichte das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es soweit möglich anhand von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, dass mit den von der Richtlinie verfolgten Zielen vereinbar ist (Rn. 27).

Abschließend hält der EuGH fest, dass Art. 23 der Richtlinie 2008/48/EG dahingehend auszulegen ist, dass es dieser Norm nicht zuwiderläuft, wenn sich eine bei einem Verstoß gegen die in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehene Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verhängte Sanktion von derjenigen Sanktion unterscheidet, die bei einem Verstoß gegen andere, eventuell gleichwertige in dieser Richtlinie vorgesehene Pflichten, insbesondere die in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie genannte Pflicht hinsichtlich der in Verbraucherkreditverträge aufzunehmenden Angaben, vorgesehen ist, sofern die in diesem Art. 23 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind (Rn. 36). Zur Begründung führt der EuGH im Wesentlichen aus, dass beide Pflichten, nämlich die Verpflichtung, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers ordnungsgemäß zu bewerten sowie die Verpflichtung, dem Verbraucher bei Abschluss des Kreditvertrages bestimmte Informationen über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsabschlusses zur Verfügung zu stellen, unterschiedliche Ziele verfolgen würden (Rn. 30–34). Insofern müsse das nationale Recht für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung nicht die gleiche Rechtsfolge vorsehen wie für einen Verstoß gegen Informationspflichten.

In seiner weiteren Entscheidung vom 11.01.2024, C-755/22 (WM 2024, 340 mit Anm. Wittig, WuB 2024, 425) musste der EuGH ferner über die Frage entscheiden, ob ein Verbraucher nach vollständiger Rückzahlung eines Verbraucherdarlehensvertrags Ansprüche gegen den Darlehensgeber wegen fehlerhafter Kreditwürdigkeitsprüfung immer noch geltend machen kann.

Diesbezüglich hält der EuGH zunächst fest, dass eine Analyse anhand der Ziele von Art. 8 der Richtlinie 2008/48/EG den Schluss zulässt, dass ein Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehene Verpflichtung des Kreditgebers, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen, nicht allein aufgrund der vollständigen Erfüllung des Kreditvertrages geheilt werden kann. Auch spiele es keine Rolle, dass der Verbraucher den Vertrag während des Rückzahlungszeitraums des Kredites nicht angefochten hat (Rn. 37).

Sodann erinnert der EuGH daran, dass die Sanktionen bei Verstoß gegen die Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen, wobei zu diesem Zweck die Härte der Sanktionen der Schwere der mit ihnen geahndeten Verstöße entsprechen muss, indem sie eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleisten, aber nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der mit Art. 8 der Richtlinie 2008/48 verfolgten Ziele erforderlich ist (Rn. 40 f.).

Hieran anschließend führt der EuGH aus, dass die Verletzung der Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit auch dann zu Sanktionen in Form z. B. der Nichtigkeit des Kreditvertrages sowie des Wegfalls des Anspruchs des Kreditgebers auf Zahlung der vereinbarten Zinsen führen kann/muss, wenn dem konkret betroffenen Verbraucher aus der Verletzung der Pflicht zur Kreditwürdigkeitsprüfung keine Nachteile erwachsen und er das Darlehen vollständig vertragsgemäß zurückgezahlt hat. Dies begründet der EuGH im Wesentlichen damit, dass ansonsten der Nichteinhaltung der Verpflichtung des Kreditgebers zur ordnungsgemäßen Prüfung der Kreditwürdigkeit Vorschub geleistet werden würde (Rn. 47–51).

 

PRAXISTIPP

Für das deutsche Recht dürften die Entscheidungen des EuGH im Wesentlichen nicht von Bedeutung sein. Dies deshalb, weil nach hiesiger Auffassung die Sanktionen im deutschen Recht nach § 505d Abs. 1 BGB i. S. d. EuGH wirksam, angemessen und abschreckend und damit geeignet sind, eine unverantwortliche Kreditvergabe im Interesse der Verbraucher und eines funktionierenden Verbraucherkreditmarkts zu verhindern (so auch Wittig, WuB 2024, 428, 430 f. mit ausführlicher Begründung sowie Berger/Scholl, ZIP 2025, 626). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Anspruch auf Zinsermäßigung sowie der hiermit verbundene Anspruch auf Rückzahlung zu viel gezahlter Zinsen unabhängig davon besteht, ob der Darlehensvertrag zwischenzeitlich erfüllt oder durch Kündigung des Darlehensnehmers beendet wurde.

Europarechtlich bedenklich könnte vor dem Hintergrund der Entscheidung vom 11.01.2024 allenfalls die deutsche Regelung in § 505d Abs. 1 S. 5 BGB sein, wonach der Darlehensgeber den Nachweis erbringen kann, dass er den Kredit auch dann hätte vergeben dürfen/können, wenn er vor Abschluss des Darlehensvertrages die Kreditwürdigkeitsprüfung ordnungsgemäß durchgeführt und den Pflichtverstoß vermieden hätte. Dies deshalb, weil eine solche Regelung als nachträgliche Heilung des Pflichtverstoßes angesehen werden könnte, die vom EuGH ausdrücklich abgelehnt wird (kritisch auch Wittig, WuB 2024, 428, 430). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das deutsche Recht mit dieser Regelung keine Heilungswirkung i. S. d. EuGH bezweckt, sondern lediglich dem Darlehensgeber, den auch in anderen Fallkonstellationen zulässigen Einwand erlaubt, dass die von ihm begangene Pflichtverletzung nicht kausal für die erfolgte Kreditgewährung gewesen ist, was aus hiesiger Sicht nicht gegen den vom EuGH aufgestellten Heilungsverbotgrundsatz verstößt.


Beitragsnummer: 22955

Beitrag teilen:

Produkte zum Thema:

Produkticon
Kommentar zum Kreditrecht, 4. Auflage

269,00 € inkl. 7 %

Produkticon
Gewerbliche Kredite: Vertragsrecht & notwendige Aufklärungspflichten

469,00 € exkl. 19 %

19.05.2025

Beiträge zum Thema:

Beitragsicon
Abgrenzung Verbraucher-/Unternehmereigenschaft

Neben der EuGH-Grundsätze zur Bestimmung der Verbraucher-/Unternehmereigenschaft könnte eine Immobilienverwaltung für eine gewerbliche Tätigkeit sprechen.

22.11.2024

Beitragsicon
Strengere Kreditvergabestandards: MaRisk und EBA-Leitlinien im Fokus

Banken müssen ihre Prozesse zur Kreditgewährung, -weiterbearbeitung und -kontrolle noch strikter ausrichten.

13.03.2025

Beitragsicon
Das Recht der Künstlichen Intelligenz: Herausforderungen & Risiken

Erhalten Sie einen guten Überblick zu den Vorgaben der neuen KI-Verordnung sowie Tipps wie Ihnen die KI-Implementierung in der Bank rechtzeitig gelingt.

25.04.2024

Beitragsicon
Angabe der Telefonnummer bei Fernabsatzvertrag!

Fernabsatzvertrag

27.03.2025

Beitragsicon
Die Entwicklung einer effektiven Risiko- und Compliance-Kultur

Wo strukturierte Einarbeitung & Integration fehlt, wird Risiko- & Compliance-Kultur zum Zufallsprodukt - Regelverstöße entstehen fehlendem Risikobewusstsein.

28.04.2025

Um die Webseite so optimal und nutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, werten wir mit Ihrer Einwilligung durch Klick auf „Annehmen“ Ihre Besucherdaten mit dem Tool Matomo aus und speichern hierfür erforderliche Cookies auf Ihrem Gerät ab. Weitere Infos finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen im Abschnitt zu den Datenauswertungen mit Matomo.