Markus Weimann, Oberstaatsanwalt als Hauptabteilungsleiter. Leiter der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen in Hessen und Abteilungsleiter für Kapitalmarktstrafrecht
Der Betrug i. S. d. § 263 StGB ist ein Vermögensdelikt. Schutzgut ist nicht die Dispositionsfreiheit, sondern allein das Vermögen. Das hat vor allem Auswirkungen auf die Annahme eines Schadens. Im Bereich des Betruges mit Kapitalanlagen kommt es nicht auf einen persönlichen Schadenseinschlag an, sondern allein auf die objektivierbare Realisierung der Forderung aus dem eingegangenen Schuldversprechen. Im Umfang, in dem diese Forderung zum Zeitpunkt seiner schuldrechtlichen Begründung mit den individuellen Absprachen (z. B. Fälligkeiten, Renditen) nicht oder nur teilweise erfüllt werden kann, entspricht der Forderungsausfall dem Vermögensschaden.
Was ist der Schaden?
Kommt es dabei darauf an, aus welchen Mitteln die geschuldete Gegenleistung durch den Vertragspartner tatsächlich im Ergebnis erbracht wird? Liegt ein Vermögensschaden bereits vor, wenn die Art der Erfüllung von der ursprünglichen vertraglichen Grundlage und den damals für den Vertragsabschluss maßgeblichen subjektiven oder sogar ideellen Vorstellungen[1] des Gläubigers abweicht? Der Versuch Antworten zu finden:
Die Entwicklung der Aliud-Rechtsprechung
Zu den Fondsanlagen hatte sich hierzu der BGH[2] in einem Fall geäußert: „Die Anlage war zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck – langfristige Rentenzahlungen aus einem über Jahrzehnte akkumulierten Fondsvermögen – für die Anleger unbrauchbar. Die Anleger erhielten nicht die in den Emissionsprospekten beschriebene und von ihnen gewünschte wertbeständige Kapitalanlage, sondern wurden zu langfristigen Investitionen in eine der Bereicherung der Initiatoren dienende, daher höchst risikoreiche Beteiligung, gebracht. Angesichts der Höhe des unberechtigt entzogenen Kapitals und der hinzutretenden offen gelegten Kosten zwischen 14,8 % und 18,8 % (inklusive Aufgeld) lag es objektiv fern, dass mit den Anlagemodellen tatsächlich Renditen hätten erwirtschaftet werden können. Vielmehr barg die Anlageform bereits im Zeitpunkt der Zeichnung durch die Anleger die konkrete Gefahr des endgültigen Verlustes der zu leistenden Einlagen; diese Gefahr hat sich für jene Anleger, die nach den mit der (…) Bank abgeschlossenen Vergleichen ihre erbrachten Leistungen vollständig verloren, letztlich auch realisiert. Vor diesem Hintergrund war es nicht geboten, Feststellungen zum objektiven Verkehrswert der von den Fondsgesellschaften erworbenen Immobilien zu treffen. Die Kammer war auch nicht gehalten, stichtagsbezogen den Wert des Fondsvermögens zu ermitteln und anteilig der Einlagenhöhe jedes Anlegers gegenüberzustellen. Nachdem der Fondszweck angesichts des Umfanges der unberechtigten Kapitalentnahmen durch die Initiatoren nicht mehr erreicht werden konnte, wäre es hierauf nur angekommen, wenn den Beteiligungen der Anleger ein solcher Wert nicht nur rechnerisch, sondern auch wirtschaftlich unmittelbar zukommen würde und die Anleger ihn ohne weiteres realisieren könnten. Das ist hier nicht der Fall. Einer unmittelbaren Verteilung des verbliebenen Fondsvermögens auf die Anleger steht bereits entgegen, dass es grossteils in den erworbenen Grundstücken gebunden ist, die Anleger als Kommanditisten der Fondsgesellschaften zudem gesellschaftsrechtlichen Vorgaben unterliegen, die eine für die Einzelanleger nur unter erheblichem Aufwand durchzusetzende Liquidation der Gesellschaft knüpft. Auch eine Veräußerung oder Beleihung der aufgrund des betrügerischen Anlagekonzepts nicht kapitalmarktfähigen Beteiligung scheidet aus“[3].
Kurz zusammengefasst liegt ein Schaden vor, wenn der Gläubiger bzw. das Tatopfer etwas anderes, nämlich ein Aliud[4], enthält, dass er zu dem geschuldeten Zweck nicht verwenden kann.
Diese Rechtsprechung hat der BGH, zunächst der 5. Strafsenat[5], nicht mehr aufrechterhalten. Dem lag folgender Sachverhalt zum vertraglichen Versprechen zugrunde: „Der Emittent, die E. AG, versprach in Form von Inhaberschuldverschreibungen bei Zeichnung der Euro (Solar) Anleihe den jeweiligen Anlegern eine sichere Anlage mit einer Verzinsung von 8,25 % und eine 100%-ige Rückzahlung zum Nennwert bei Laufzeitende. In der Folge, zwischen November (…) bis März (…), wurden in 5.144 Fällen Solar-Anleihen im Nennwert von ca. 49,3 Mio. € gezeichnet. Anleger zahlten ca. 50,2 Mio. € auf das Konto der E. AG. Hinsichtlich der tatsächlichen Verwendung ergab sich, dass die Anlegergelder weitgehend zur Schuldentilgung, für laufende Kosten, wie Vertriebskosten, aber für Zinszahlungen eingesetzt wurden“[6]. D. h. die Anleger hätten ihr Kapital und die versprochenen Zinsen aus der gezeichneten Anleihe nicht wieder erlangen können. Ausweislich des Jahresabschlusses der E. AG zum 31.12. (…) ergab sich aber eine ausgewiesene Forderung i. H. v. 37,9 Mio. € für das Vermögen der Schuldnerin.
Das ist zu berücksichtigen: Der Senat stellt beim Schaden nicht mehr allein auf das beim Anlagegespräch vorausgesetzte und versprochene Ziel, die Rendite aus dem Solargeschäft zu zahlen, ab, sondern bestimmt den Anlegervertrag allein nach objektiv bestimmbaren Kriterien. Danach hat der Anleger ein Rückzahlungsversprechen der E. AG, bezifferbar über den Nennbetrag und die Stückzinsen, und enthaltene Inhaberschuldverschreibung erworben. Vertraglich betrachtet handelt es sich um ein Unternehmensdarlehen, der Anleger hat damit „nur“ eine auf Geld gerichtete Forderung gegenüber der E. AG erlangt. Der Vermögensschaden bestimmt sich als etwaiger Minderwert zu der vom Anleger erbrachten Gegenleistung aus der Verlustgefahr, dass die E. AG nicht in der Lage sein wird, ihre Zahlungspflichten zu erfüllen. Zur Urteilsaufhebung und zur Zurückweisung kam es deshalb, weil für die sachverständige Bewertung des „Geschäfts- bzw. Anlagemodells“ auch die Renditeaussichten der avisierten Kunstgeschäfte der E. AG mit zu berücksichtigen wären. Der Realisierungswert aus dem Bilanzansatz ist für den Vermögenschaden nicht auszuklammern. Selbst, wenn sich daraus ein objektiver Wert des Erlangten für den Erwerber ergeben sollte, muss dieser aber – als zusätzliche Voraussetzung – für diesen realisierbar sein. Daran fehlt es, wenn es ihm unmöglich oder unzumutbar ist, diesen in Geld umzusetzen und der erworbene Anlagegegenstand auch keinen vermögensmäßig beachtlichen Gebrauchsvorteil verschafft. Die Gebundenheit der sonst zur Rückzahlung dienenden Geldmittel des Vertragspartners steht dem objektiven Wert genauso gegenüber, wie die fehlende Durchsetzbarkeit der Forderung auf diesen objektiven Wert. Zu berücksichtigen ist aber auch die Möglichkeit eines realisierbaren Teilwerts in seiner Höhe.
Diese rein wirtschaftliche Betrachtungsweise zur Bestimmung des Vermögensschadens ist nachvollziehbar: Geschuldet wird bei Kapitalanlagen letztlich Geld aus dem Vermögen der Schuldnerin. Dazu muss das liquide Gesamtvermögen der Schuldnerin untersucht und danach bewertet werden, ob und in welchem Umfang daraus die Geldschuld tatsächlich erfüllt werden kann.
Strafrechtliche Untersuchung des Geschäftsmodells
Die strafrechtlichen, aber auch für die Bankpraxis bei der Kreditvergabe zu berücksichtigenden tragfähigen wirtschaftlichen Prüfungen erfordern eine umfassende Untersuchung und Bewertung des sogenannten Risikogeschäftes. Typischerweise sind dies für den Betrug Anlageformen bzw. -modelle mit einer langen Laufzeit von meist über zehn Jahren, wobei keine laufenden Renditezahlungen versprochen werden. Beteiligungsformen sind – beispielhaft –: Unternehmensbeteiligungen i. d. R. als Kommanditanteile, stille Beteiligungen, oft in Form partiarischer Darlehen mit qualifizierten Nachrang oder der Vertrieb von Derivaten, Optionen oder Aktien, zumeist im außerbörslichen Handel.
Die Bewertung des Anlagemodells/der Geschäftsidee basiert auf der Bewertung zukünftiger Tatsachen/Prognosen, um gegenwärtig zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung den Wert des Rückzahlungsanspruchs bzw. das Verlustrisiko des Anlegers nicht nur einzuschätzen, sondern auch beziffern zu können. Daraus folgen die typischen Verteidigungslinien, um etwaige werthaltige und erfüllbare Ansprüche geltend machen zu können oder gar die Anmeldung der Insolvenz als die Folge der staatsanwaltschaftlichen Fehleinschätzung, nicht der unternehmerischen Fehlleistung darzustellen. Einfach in der Nachweisführung sind die Fälle der Nichtexistenz des Anlagemodells („sogenannter Nullfall“). In den anderen Fallkonstellationen ist das vorhandene Unternehmensvermögen festzustellen, daraus und aus Plänen, Kalkulationen oder anderen Berechnungen muss die zu prognostizierende Unternehmensentwicklung[7] abgeleitet, bewertet und als Grundlage für die Bestimmung des jeweiligen Verlustrisikos der Anlage ermittelt werden[8]. Die danach verbleibende Existenz einer nicht auszuschließenden Gewinnaussicht führt zu der Folgeermittlung, die (konkrete) Verlustgefahr für den Anleger zu bestimmen. In diesem Zusammenhang spielen nicht nur wirtschaftliche Fragen eine Rolle; sollte nämlich im Ergebnis eine anlegergerechte Mittelverwendung festgestellt werden, sind vielfach, gerade bei den typischen Auslandssachverhalten, Fragen nach der juristischen Durchsetzbarkeit der im Ausland angeblich erworbenen Eigentums- bzw. Nutzungsrechte zur Refinanzierung der Renditeansprüche der Anleger zu beantworten. Konkret könnten beispielsweise die Erträge von sog. Öko-Investments mit dem Eigentumserwerb an den Bäumen in Süd- oder Mittelamerika oder von Schürfrechten für Gold- oder seltene Erden durch ausländische staatliche Konzessionen reglementiert werden.
Revisionsfeste Feststellungen zur letztgenannten Fallgruppe zu treffen, ist anspruchsvoll und gelingt nur durch die Einholung eines betriebswirtschaftlichen Gutachtens. Dieses hat den notwendigen Gesamtkapitalbedarf für das beabsichtigte Geschäftsmodell zu kalkulieren. Daraus leitet sich in tatsächlicher Hinsicht die zu klärende Frage, ob entsprechendes Eigen- und Fremdkapital zur Verfügung stand und, z. B. nicht durch zweckwidrige Entnahmen, fehlte; denn in jedem guten Betrug steckt auch eine Untreue durch verdeckte Gewinnausschüttungen oder willkürliche Entnahmen für die private Lebensführung. Weiter sind dann die jeweiligen Forderungen der Gläubiger/Tatopfer bilanziell dahin gehend zu bewerten, ob das verfolgte Geschäftsmodell in seiner Prognostik hinreichend diese Forderungen zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit hätte erfüllen können. Darauf, die Zukunft, bezogen ist dann nach den Ihnen bekannten banküblichen Bewertungsansätzen für Wertberichtigungen[9], die entsprechend auch strafrechtlich Anwendung finden sollen[10], eine Bewertung der Forderung vorzunehmen. Ist die Forderung nicht komplett uneinbringlich, erfolgt die Teilwertberichtigung nach den wirtschaftlichen Grundsätzen. Daraus kann der Schaden für jede einzelne Forderung für die konkrete Vermögensgefährdung als Schaden i. S. d. § 263 StGB beziffert werden.
Sie sehen hierbei den Unterschied zu der Wertberichtigung auf Forderungen in der Bankbilanz: Sie erfolgt zum Abschlussstichtag am 31.12. des Bilanzjahres. Der Strafrechtler muss diese Abschreibung „unterjährig“ zum Zeitpunkt des konkreten Anlagegeschäfts für jedes einzelne Anlagegeschäft vornehmen. Der BGH[11] weist im Zusammenhang mit der Bestimmung des Vermögensschadens darauf hin, dass zur Bestimmung des Vermögensschadens nicht allein auf die Zahlungsunfähigkeit zum Stichtag abzustellen ist und ebendiese „nur“ mit wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen zu belegen ist[12]. Vielmehr – und damit wird die Aufgabe der Aliud-Rspr. wiederum bestätigt – sind für die konkrete Feststellung des Werts der Rückzahlungsansprüche nebst Zinsforderungen im Zeitpunkt der Vermögensverfügungen das (a) vorhandene Unternehmensvermögen und (b) die zu prognostizierende Unternehmensentwicklung entscheidend, die nach wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungsverfahren beziffert und in den Urteilsgründen dargelegt werden müssen[13].
Sie können unschwer daran ersehen, dass der Strafrechtler in diesem Bereich in erster Linie wirtschaftliches Wissen einbringen und in der Lage sein muss „in das Unternehmen einzutauchen“. Das ähnelt aber vielleicht Ihrer Arbeitsweise bei der Bewertung von Kreditanträgen im Unternehmensbereich. Der Trost für Sie: Auch den Strafverfolgern bleibt diese Arbeit nicht erspart!
[1] Als Motiv der Vermögensverfügung relevant in den Fallkonstellationen des Spendenbetruges oder des sogenannten Greenwashings.
[2] BGH 1 StR 379/05 Rn. 21.
[3] Ähnlich zuvor BGHSt 30, 177, 181; 32, 22; NStZ 1983, 313; NJW 1992, 1709; NStZ 1983, 313; NJW 1992, 1709; NStZ 2000, 479; NJW 2003, 3644, 3645.
[4] Sogenannte Aliud-Rspr.: BGHSt 47, 148, 154; BGH NStZ-RR 2000, 331
[5] 5 StR 510/13 („Solaranleihenfall“), nachfolgend bestätigend 2 StR 353/16
[7] D. h., es müssen die konkreten Pläne zur Renditeerzielung feststellbar sein oder zumindest überprüfbar.
[8] Vgl. BGH 5 StR 510/13: „Stichtagsbezogener Gefährdungsschaden“.
[9] BFHE 215, 230; Teilwertbestimmung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2, 3 EStG oder bilanziell nach § 340e Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 253 Abs. 3 S. 2 HGB.
[10] Vgl. BVerfGE 126, 10 (zur Untreue), BVerfG NJW 2012, 907, 916 (zum Betrug) und BGH NJW 2012, 2370 (zur Schadenfeststellung beim täuschungsbedingt erlangten Darlehen).
[11] BGH 1 StR 528/20 = Wistra 2022, S. 34.
[12] Vgl. BGH 5 StR 538/17 Rn. 16 und BGH 1 StR 665/12 Rn. 15).
[13] BGH 1StR 528/20 Rn. 13 m.w. Hinweisen auf eine insoweit gefestigte höchstrichterliche Rspr., u. a. 5 StR 510/13 Rn. 20.
Beitragsnummer: 22971