Donnerstag, 31. Mai 2018

Aufsicht und Rat auf Augenhöhe

Lehren aus 20 Jahren Aufsicht.

Dr. Gunter Dunkel, ehem. Vorstandsvorsitzender der Norddeutsche Landesbank Girozentrale (Nord/LB), ehem. Präsident des Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (VOEB)

Kein Ehrenamt

Die Aufsichtsratstätigkeit in Finanzinstituten ist zu einer echten Herausforderung geworden. Nicht nur für die Aufsichtsräte selbst, sondern auch für die Vorstände. Rechte und v. a. Pflichten haben deutlich zugenommen und deren Erfüllung ist nicht nur ein „nice to have“, sondern im Zweifel haftungsrelevant.

Das Risiko eines Vorstandes oder Aufsichtsrates besteht dabei weniger darin, einen Schadenersatzprozess zu verlieren. Allein die Tatsache einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem beaufsichtigten Institut führt häufig schon zu massiven Reputationsschäden, die sich in der Regel auch materiell auf andere berufliche Tätigkeiten auswirken.

D&O Versicherungen helfen da nicht. Im Gegenteil: Sie zwingen die beaufsichtigte Bank geradezu, im Schadensfall gegen die Organe tätig zu werden, auch wenn dies im Einzelfall gar nicht gewünscht wird. Schon die rechtliche Auseinandersetzung ist es, die – unabhängig vom Ausgang – den Schaden verursacht.

Nicht nur die Regulierungswelle hat das Bankgeschäft komplizierter gemacht. Banken wandeln sich zu Technologieunternehmen, Risikomodelle bedienen sich der künstlichen Intelligenz und Bonitätsanalysen werden von Big Data unterstützt. Die Auswirkungen der Distributed Ledger Innovation (bekannter unter dem Namen Blockchain) sind für Finanzdienstleister von grundsätzlicher Natur, ohne dass klare Pfade in der Umsetzung erkennbar sind.

FILMTIPP

Wissen für Aufsichtsräte: Zeitsparend, verständlich, videobasiert – immer aktuell!



In einer Welt intensiver Regulierung und abrupter Marktveränderungen kommt dem Aufsichtsrat eine deutlich erhöhte Verantwortung zu, der nur mit einer Professionalisierung begegnet werden kann.

Augenhöhe

Da braucht es Aufsichtsräte, die auf Augenhöhe agieren ohne sich auf Allgemeinplätze zurückzuziehen.

Was sind nun die entscheidenden Kriterien für einen Aufsichtsrat auf Augenhöhe?

  1. seine Qualifikation und
  2. seine Integrität.

Aufsicht und Rat braucht zunächst einmal die Kenntnis des Handwerks.

Wie erkennt und misst man Risiken? Wie wird ein Kredit bilanziert? Wann ist eine Wertberichtigung ausreichend? Wie kann mit Derivaten das Marktpreisrisiko verringert werden? Bis zu welcher Grenze darf man langfristige Kredite mit kurzfristigen Einlagen refinanzieren? Was kennzeichnet ein gutes Risikomanagementsystem? Sind die Marktpreisrisiken vertretbar?

 SEMINARTIPP

11. Hamburger Bankenaufsicht-Tage, 5.–6. November 2018, Hamburg.



Häufig verstehen Aufsichtsräte in Finanzinstituten viele dieser Fragen sehr gut, weil sie in den jeweiligen Hauptberufen damit zu tun haben. Genauso häufig gibt es aber Bereiche, in denen man mehr wissen müsste, um mit dem Vorstand auf Augenhöhe zu sprechen.

Das hat auch die Aufsicht auf den Plan gerufen. Zuerst bei den von der Europäischen Zentralbank direkt beaufsichtigten Instituten und bald darauf auch – in Zusammenarbeit mit den nationalen Aufsichten – bei kleineren Instituten.

Die „Fit & Proper“-Überprüfung umfasst nicht nur die fachliche Eignung, sondern auch mögliche Interessenskonflikte und die für das Amt verfügbare Kapazität. Auch wollen die Aufseher wissen, wie sich der Aufsichtsrat in Wissen und Erfahrung gegenseitig ergänzt. Unter besonderer Beobachtung stehen dabei der Aufsichtsratsvorsitzende sowie der Vorsitzende des Risiko- und des Prüfungsausschusses. Da werden schon dem einen oder anderen Organ Auflagen zur Weiterbildung oder zur Niederlegung eines Mandates gemacht.

Neben Eignung und Zusammensetzung des Aufsichtsrates steht dessen Fortbildung vermehrt im Rampenlicht. Das hat viel mit aufsichtsrechtlichen Neuerungen zu tun, aber auch mit Marktveränderungen. Diese zu kennen und einzuschätzen sind eine notwendige Voraussetzung sowohl für Aufsicht als auch für Rat.

Qualifizierung

Die Qualifizierung des Aufsichtsrates ist eine Daueraufgabe, die nicht mit einer Einmalschulung erledigt werden kann. Der Aufsichtsratsvorsitzende muss zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden darauf achten, dass neue Aufsichtsräte eine umfassende Grundschulung erhalten sowie das Wissen regelmäßig aktualisieren. Spezifische Themen müssen, meist in Verbindung mit Aufsichtsratssitzungen, vertieft werden. Als Beispiel seien die Vergütungsverordnung oder die Mindestanforderungen an das Risikomanagement erwähnt, deren Interpretation und geübte Praxis zu den besonders sensiblen Bereichen der Aufsicht gehören.

Integrität und Interessenskonflikte

Integrität und Interessenskonflikte sind ein zweites noch sensibleres Feld. Die Kriterien dafür sind in den letzten Jahren enger und enger gezogen worden, so dass sich hier eine neue „gelebte Praxis“ entwickelt hat, deren Kenntnis für einen Aufsichtsrat unverzichtbar ist. Sich hier auf den Aufsichtsratsvorsitzenden zu verlassen, ist keinesfalls ausreichend. Jeder Aufsichtsrat muss sich ständig selbst befragen, ob er bei einer konkreten Entscheidung einen Interessenskonflikt hat. Wenn ja, muss dieser vorher angezeigt werden und an der Entscheidungsfindung darf nicht teilgenommen werden.

 BUCHTIPP

Prof. Dr. Svend Reuse (Hrsg.), Praktikerhandbuch Risikotragfähigkeit, 2. Aufl. 2016.



In einem vom Autor zu lösenden Fall war ein Aufsichtsrat gleichzeitig Kunde der Bank. Bei einem Anlageprodukt, das der Aufsichtsrat gezeichnet hatte, kam es zu Rechtstreitigkeiten und Vergleichsnotwendigkeiten. Der Aufsichtsrat hatte seinen offensichtlichen Interessenkonflikt nicht offengelegt. Dieser kam erst Monate später durch einen Vorstandsbericht und eine Beschwerde zutage und zwang den Aufsichtsratsvorsitzenden zu handeln.

Kritische Selbstprüfung

Aufsicht auszuüben und Rat zu geben verlangt die hohe Schule der Menschenkenntnis und -führung. Ausreichende und aktualisierte Qualifikation sowie Integrität durch Unabhängigkeit und Freiheit von Interessenskonflikten sind dazu notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzungen. Jedes Aufsichtsratsmitglied ist aufgefordert, sich selbst und das Gremium kritisch auf die veränderten Anforderungen abzuklopfen.

PRAXISTIPPS

  • Die Zusammensetzung eines jeden Aufsichtsrates muss einer formalen und inhaltlichen Prüfung unterzogen werden. Die Prüfung ist zu dokumentieren und als „Best Practice“ mit dem Aufsichtsrat zu erörtern.
  • Die Qualifizierung des Aufsichtsrates muss besonders für neue Mitglieder effiziente, zeitnahe und dokumentierte Standardroutinen durchlaufen.
  • Die Aktualisierung der Qualifikation muss routinemäßig und ebenfalls dokumentiert erfolgen.
  • Jeder Aufsichtsrat ist für seine Qualifizierung und Unabhängigkeit in erster Linie selbst verantwortlich. Diese Pflicht ist nicht auf den Vorstand oder den AR-Vorsitzenden beschränkt.



Beitragsnummer: 536

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