Schließt die Kündigungsmöglichkeit bei qualifiziertem Verzug die Kündigung wegen wesentlicher Vermögensverschlechterung aus?
Rechtsanwalt Christof Blauß, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht, Kanzlei Blaich und Partner Rechtsanwälte mbB, StuttgartWegen Zahlungsverzug kann ein Verbraucherdarlehen durch die darlehensgewährende Bank gegenüber einem Verbraucher nur gekündigt werden, wenn die qualifizierten Kündigungsvoraussetzungen des § 498I BGB vorliegen. Es kann jedoch auch Situationen geben, in denen der Verbraucher in Vermögensverfall gerät, ein Ratenrückstand beim Verbraucherdarlehen aber (noch) nicht aufgelaufen ist. Muss die Bank in diesem Falle zuwarten, bis die Kündigungsvoraussetzungen des § 498I BGB vorliegen, d.h. ein entsprechender Zahlungsrückstand entstanden ist, oder darf die Bank bei einer drohenden oder eingetretenen wesentlichen Vermögensverschlechterung i. S. § 490I BGB schon früher kündigen?
I. Die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden als Kündigungsgrund
1. Zu den Kündigungsgründen allgemein
Die kreditgebende Bank kann ein laufzeitgebundenes Darlehen nur bei Vorliegen sog. „wichtiger Gründe“ außerordentlich fristlos kündigen
. Gesetzlich normiert sind die nicht weiter thematisierten außerordentlichen Kündigungsgründe wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und wegen (abgemahnter) Pflichtverletzungen des Kunden (§ 314 BGB), eine Kündigung wegen drohender oder eingetretener wesentlicher Vermögens- oder Sicherheitenverschlechterung (§ 490I BGB) sowie der Zahlungsverzug bei einem Verbraucherdarlehen (§ 498I BGB) als Sonderregelung
. Die gesetzlichen Kündigungsgründe korrespondieren insbesondere mit den vertraglichen Gründen in Ziff. 19 Abs. 3 AGB-Banken bzw. Ziff. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen.
Vorliegend soll das Verhältnis zwischen den fristlosen Kündigungsgründen des § 490I BGB und § 498I BGB im Falle von Verbraucherdarlehen beleuchtet werden.
2. Kündigung nach § 498I BGB
Ein Verbraucherdarlehen kann wegen Zahlungsverzug des Darlehensnehmers nur unter den Voraussetzungen des § 498I BGB gekündigt werden
. Eine Kündigung nach § 498I BGB wegen Zahlungsverzugs setzt den
Verzug des Darlehensnehmers mit den Darlehensraten an mindestens zwei aufeinanderfolgenden Fälligkeitsterminen, einen Rückstand von insgesamt zehn Prozent des Darlehensnennbetrags (bei einer Vertragslaufzeit bis drei Jahren) bzw. fünf Prozent bei einer längeren Vertragslaufzeit des Verbraucherdarlehens voraus. Bei einem Immobiliar-Verbraucherdarlehen muss der Rückstand mindestens 2,5 % des Darlehensnennbetrags betragen. Zusätzlich zu den dargestellten Rückständen erfordert die Kündigung nach § 498I BGB eine sog. „
qualifizierte Mahnung“, indem dem Darlehensnehmer seitens der Bank mindestens eine Frist von zwei Wochen zum Ausgleich der auflaufenden Zahlungsrückstände unter Androhung der Fälligstellung der offenen Restschuld gesetzt wird, sollte der Darlehensnehmer binnen dieser Frist den Rückstand nicht vollständig ausgleichen
. Gleichzeitig soll mit der Fristsetzung ein Regulierungsgespräch angeboten werden. Eine fehlerhafte oder unzureichende Mahnung führt zur Unwirksamkeit der hierauf basierenden Kündigung nach § 498I BGB
.
Die Kündigungsbeschränkung, wie auch die strenge Formalisierung der qualifizierten Mahnung, sollen dem Verbraucherschutz dienen. Umgekehrt begründet diese Formalisierung für die Bank erhebliche Fehlerrisiken, die zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
3. Kündigung nach § 490I BGB
Aufgrund der strengen Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung nach § 498I BGB erscheint es naheliegend, dass der Darlehensgeber nach „einfacheren“ Kündigungsgründen sucht, will er sich frühzeitig von einem notleidenden Engagement lösen.
Anders als bei einer Kündigung nach § 498I BGB bedarf es für eine Kündigung nach § 490I BGB wegen einer eingetretenen oder drohenden wesentlichen Vermögensverschlechterung keines Zahlungsrückstandes. Noch nicht valutierte Darlehen kann die Bank „im Zweifel stets“, valutierte Darlehen „in der Regel“ bereits dann fristlos kündigen, wenn eine konkrete Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kunden droht und dadurch die Rückzahlung – auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Sicherheiten – gefährdet ist. Diese Voraussetzungen müssen aus Sicht der Bank im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung anhand objektiver Kriterien beurteilt werden. Dabei wird teilweise die Ansicht vertreten, ein Kündigungsgrund nach § 490I BGB sei rechnerisch anhand des Vergleichs der Aktiva des Darlehensnehmers im Zeitpunkt der Kreditgewährung im Vergleich zum Zeitpunkt der Kündigung zu ermitteln. Eine Verschlechterung der Vermögensverhältnisse sei dann anzunehmen, wenn sich der Aktivwert des Vermögens des Darlehensnehmers um ca. 20-25 % verringert habe.
SEMINARTIPPS
Prüfung von Problemkrediten, 05.11.2018, Frankfurt/M.
BauFi-Tage: Aktuelle Rechtsfragen rund um die Baufinanzierung, 13.11.2018, Frankfurt/M.
Diese Ansicht verkennt jedoch, dass § 490I BGB für eine Kündigung gerade nicht die Realisierung der wesentlichen Vermögensverschlechterung erfordert, sondern eine drohende Vermögensverschlechterung anhand objektiver Kriterien zu ermitteln ist und es für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung ausreicht, wenn beispielsweise keine ausreichenden Sicherheiten vorhanden sind, weshalb die Rückzahlung deshalb gefährdet ist. Eine wesentliche Vermögensverschlechterung des Kunden, die bei nicht ausreichenden Sicherheiten ein Kündigungsgrund i. S. d. § 490I BGB indizieren kann, liegt somit u. a. bei Vollstreckungsmaßnahmen anderer Gläubiger gegen den Darlehensnehmer vor. Insbesondere die Tatsache, dass der Schuldner zur Abgabe der Offenbarungsversicherung vorgeladen wird, begründet nach herrschender Ansicht ein starkes Indiz für das Vorliegen einer wesentlichen Vermögensverschlechterung, da der Vorladung zur Abgabe der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung erfolglose Vollstreckungsmaßnahmen vorausgegangen sein müssen.
Nach alledem steht fest, dass es für eine Kündigung nach § 490I BGB eines aufgelaufenen Zahlungsrückstandes – anders als bei § 498I BGB nicht bedarf. Die Bank muss nicht zuwarten, bis sich der Schaden durch eingetretenen Vermögensverfall des Kunden und dadurch bedingt ausgebliebenen Zahlungsraten tatsächlich realisiert hat.
4. § 498I BGB als lex speciales?
§ 498I BGB hat unstreitig verbraucherschützenden Charakter
und entspricht inhaltlich der früheren Regelung des § 12 VKG. Deshalb wird von einer Mindermeinung in der Literatur die Ansicht vertreten, § 498 BGB enthalte bei Darlehen mit Verbrauchern eine abschließende Regelung, die für eine Kündigung des Verbraucherdarlehens nach § 490I BGB keinen Raum mehr lasse
, sondern gegenüber anderen Kündigungsgründen Sperrwirkung entfalte
. Begründet wird diese Ansicht mit dem Schutzzweck des § 498I BGB, aber auch mit der Verbraucherkreditrichtlinie der EU, die im Sinne des Vollharmonisierungsgrundsatzes einen europaweit einheitlichen Verbraucherschutz begründen soll und deshalb Kündigungsregelungen nur noch wegen eines sog. „Vertragsbruches“ zulasse, wozu zwar ein Zahlungsrückstand, nicht aber eine wesentliche Vermögensverschlechterung i. S. § 490I BGB gehöre
.
Würde die dargestellte Ansicht zutreffen, hätte dies für die Banken weitreichende Folgen. Eine Bank müsste zukünftig bei einer Kündigung aus wichtigem Grund zuwarten, bis der Verbraucher quasi insolvent geworden ist und sein Darlehen nicht mehr bedienen kann. Damit aber nicht genug: In den Entscheidungen vom 19.01.2016 sowie vom 22.11.2016 entschied der BGH, dass eine Bank, die ein Verbraucherdarlehen wegen Zahlungsverzug nach § 498I BGB kündigt, auch keine Vorfälligkeitsentschädigung vom Verbraucher beanspruchen könne, da § 497I BGB eine spezielle Regelung zur Schadensberechnung für wegen Zahlungsverzugs gekündigte Verbraucherdarlehen enthalte.
Entgegen der in der Literatur vertretenen Mindermeinung entfaltet § 498 BGB aber gerade keine Sperrwirkung für andere Kündigungstatbestände.
Insbesondere lässt sich die behauptete Sperrwirkung nicht mittels der EU-Verbraucherkreditrichtlinie begründen. Artikel 13 der EU-Verbraucherkreditrichtlinie regelt zwar, dass der nationale Gesetzgeber die Möglichkeit haben soll, zu definieren, wann Verbraucherdarlehen wegen „Vertragsbruch“ gekündigt werden können, schränkt aber dadurch das Recht des nationalen Gesetzgebers zur Definition anderer Kündigungsgründe gerade nicht ein.
Hinzu kommt, dass § 498I BGB und die Vorgängernorm des § 12 VerbrKG ihren Ursprung gerade nicht im europäischen Recht, sondern im bundesdeutschen Recht haben, weshalb schon aus diesem Grunde das Argument der „Vollharmonisierung“ nicht greifen kann. Erst recht kann bei Immobiliar-Verbraucherdarlehen das europarechtliche Argument nicht zum Tragen kommen, weil die EU-Verbraucherkreditrichtlinie Immobilien-Darlehen gerade nicht erfasst.
Tatsächlich ergibt sich auch bereits aus einer Wortlautauslegung des § 498I BGB nicht, dass dadurch andere Kündigungsvorschriften (z.B. § 490I BGB) ausgeschlossen sein sollen, denn § 498I BGB stellt wörtlich nur auf eine „Kündigung wegen Zahlungsverzug“ ab. Eine Vermögensverschlechterung erfordert aber, wie der Fall des OLG Stuttgart zeigt, nicht zwangsläufig den Eintritt eines Zahlungsverzugs beim Kunden.
Auch die Stellung des § 498I BGB im BGB sowie die Erwägungen des Gesetzgebers zeigen, dass durch die verbraucherschützende Norm keine Sperrwirkung für andere Kündigungsgründe entstehen sollte. Schließlich wurde auch durch den Gesetzgeber bei der Begründung des sog. „Risikobegrenzungsgesetzes“ ausdrücklich betont, dass § 498I BGB zwar auch für grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen Anwendung finden solle, dadurch aber eine Kündigung wegen einer wesentlichen Vermögensverschlechterung nach § 490 I BGB nicht ausgeschlossen werde.
II. Fazit
Die Kündigungsgründe nach § 490I BGB und § 498l BGB stehen selbständig nebeneinander und schließen sich nicht gegenseitig aus. Insbesondere entfaltet § 498I BGB keine Sperrwirkung für andere Kündigungsgründe bei Verbraucherdarlehen. Deshalb ist auch gegenüber einem Verbraucher eine fristlose Kündigung des Darlehensvertrags nach § 490I BGB zulässig, obwohl ein Verzug mit der Ratenzahlung noch nicht vorliegt
.
PRAXISTIPPS
- § 498I BGB schließt die Kündigung des Verbraucherdarlehens durch die Bank wegen einer eingetretenen oder drohenden wesentlichen Vermögensverschlechterung nach § 490 BGB nicht aus.
- Gerade wegen der hohen formalen Anforderung einer Kündigung nach § 498 I BGB, v. a. aber auch wegen des Wegfalls einer Vorfälligkeitsentschädigung bei einer Kündigung nach § 498 BGB, sollte die Bank im Zweifel eine außerordentliche Kündigung des Verbraucherdarlehensvertrags auf andere Kündigungsgründe stützen, z. B. auf § 490I BGB. Nach bisheriger Rechtslage bliebe dadurch auch der Anspruch auf eine Vorfälligkeitsentschädigung – anders als bei einer Kündigung nach § 498I BGB – erhalten.
- Beim Eintritt des Zahlungsverzugs lässt sich eine wesentliche Vermögensverschlechterung des Kunden i. d. R. dadurch überprüfen, dass aktuelle Selbstauskünfte angefordert werden. Oftmals wird sich hier schon ein Grund für die Kündigung nach § 490I BGB ergeben. Eines Zuwartens, bis entsprechende Rückstände für eine Kündigung nach § 498I BGB aufgelaufen sind, bedarf es in diesem Falle nicht mehr.
Beitragsnummer: 616